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Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe: Nahrung, Bildung, Direkthilfe


 Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. .- Anbei ein wichtiges Interview mit Herrn Peter Renner,Vorstand
von Menschen für Menschen – Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe, München. Er berichtete uns von Äthiopien, von der Bedeutung der Hilfe zur Selbstentwicklung, der absoluten Wichtigkeit der Nahrung und Bildung für die Menschen vor Ort in Äthiopien. Er zeigt uns ganz klar auf, wie wichtig direkte Hilfe vor Ort für die Menschen ist. Möchte ihm und seinem Kollegen, Herrn Jeske, nochmal herzlichst für ihre Zeit und auch für die Zusendung der Fotos danken.

ProMosaik:
Vor welchen Herausforderungen steht die äthiopische Gesellschaft im Augenblick?
Peter Renner: Obwohl sich
in Äthiopien in den vergangenen Jahren viel bewegt hat, gibt es noch zahlreiche
Herausforderungen am Horn von Afrika, die gelöst werden müssen. Ganz aktuell
sehe ich die größten Herausforderungen in der unsicheren
Lebensmittelversorgung, mit der Millionen Menschen jeden Tag in Äthiopien zu
kämpfen haben. Gerade jetzt, während der schlimmsten Dürre seit 30 Jahren,
zeigt sich, dass große Teile der äthiopischen Bevölkerung immer noch zu
abhängig von zu einfacher Landwirtschaft sind. Demgegenüber wird in vielen
Regionen noch zu wenig nachhaltiger Anbau betrieben, also der Boden nicht
vorausschauend und effektiv genutzt. Denn Hunger kommt nicht über Nacht.
Hinzu kommt die rasante
Entwicklung der modernen Wirtschaft auf der einen Seite, und den traditionellen
– und leider veralteten und überholten – handwerklichen und
landwirtschaftlichen Methoden auf der anderen Seite. Hier muss die Entwicklung
zu einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft unterstützt werden.

ProMosaik:
Welche zentralen Ziele verfolgt Ihre Stiftung, um die Menschen vor Ort zu
unterstützen?
Peter Renner: Unser Ziel
ist, dass die Menschen in den Regionen in denen wir tätig sind, Schritt für
Schritt über einen besseren Lebensstandard verfügen. Zu diesem Zweck bieten wir
in unseren Projektregionen Hilfe zur Selbstentwicklung an. Die Menschen sollen
lernen und in die Lage versetzt werden, ihre Entwicklung selbstständig
fortzusetzen, auch nachdem wir eine Region verlassen haben – das geschieht
meist nach 15 bis 20 Jahren. Deshalb setzen wir auf sog. integrierte ländliche Entwicklungsprojekte,
in denen wir Maßnahmen aus den Bereichen Landwirtschaft, Bildung, Wasser,
Gesundheit und Einkommen miteinander verzahnen. Im Gegensatz zu anderen
Organisationen arbeiten wir nicht punktuell in Einzelprojekten, sondern sind in
ganzen Regionen, in denen meist über 100.000 Menschen leben, tätig.
ProMosaik:
Wie wichtig ist es, auch im Ausland über die Probleme Äthiopiens zu sprechen?
Peter Renner: Gerade heute
ist das ein ganz wichtiger Punkt. Selten war es so deutlich zu sehen, was passiert,
wenn wohlhabende Länder über Jahre und Jahrzehnte ihre Augen und Ohren vor
Armut und Hunger in anderen Ländern verschließen. Äthiopien gehört nach wie vor
zu den armen Ländern der Welt und die aktuelle Hungersnot kann zur
ausgewachsenen Flüchtlingskrise werden, die dann auch Europa und speziell
Deutschland betrifft.
Sowie die Menschen in
Äthiopien unsere Unterstützung brauchen, benötigen wir von Menschen für
Menschen den Rückhalt der Spender in Deutschland und in Europa. Doch nur wer
die Probleme in Äthiopien kennt, ist auch bereit dafür zu spenden. Ohne Spenden
können wir keine langfristigen und damit nachhaltigen Projekte in Äthiopien mit
Erfolg durchführen, können wir den Menschen nicht helfen. Aus diesem Grund
versuchen wir kontinuierlich über die aktuelle Lage zu berichten und für die
Herausforderungen zu sensibilisieren.
Unser leider im vergangen
Jahr verstorbene Gründer Karlheinz Böhm erkannte schon vor 35 Jahren, wie
wichtig die Hilfe vor Ort ist und nutzte seine Bekanntheit dazu, Spenden für die
Hilfe zur Selbstentwicklung in Äthiopien zu sammeln. Heute führen wir, unter
Beachtung und Anpassung an neue Gegebenheiten und Herausforderungen, seine
Arbeit weiter.

ProMosaik:
Erzählen Sie uns von Ihrem Magazin Nagaya und von einigen Themen, die Sie darin
aufgreifen.
Peter Renner: Unser
Nagaya-Magazin beinhaltet ganz unterschiedliche Themen, aber im Vordergrund
stehen Geschichten über die Menschen in Äthiopien. Wir berichten über aktuelle
Geschehnisse im Zusammenhang mit unserer Arbeit vor Ort, über Probleme,
Erfolge, aber im Sinne höchst möglicher Transparenz auch über Misserfolge.
Derzeit stehen natürlich
Berichte über die Nothilfemaßnahmen aufgrund der Dürre im Vordergrund der
Berichterstattung.
Außerdem informieren wir
über persönliche Schicksale von Frauen, Männern und Kindern, die uns in den
Projektgebieten begegnet sind. Auf diese Weise versuchen wir der äthiopischen
Bevölkerung ein authentisches Gesicht zu geben und etwas gegen
Verallgemeinerungen und Anonymität zu unternehmen. Wir möchten Äthiopien
unseren Spendern näher bringen, allerdings ohne erhobenen Zeigefinger oder
Schockbilder. Nagaya heißt übrigens auf Amharisch Frieden.

ProMosaik:
Wir sind der Ansicht, dass Bildung der erste Schritt für die Entwicklung eines
Landes ist. Wie setzen Sie sich in Äthiopien für die Bildung der Kinder ein?
Peter Renner: Bildung ist
die Grundlage für jegliche Entwicklung eines Landes. Wir haben deshalb den
Ausbau des äthiopischen Bildungswesens in unseren Projektgebieten zur
Schlüsselaufgabe erklärt. Bis heute wurden u.a. bereits über 400 Schulen in
Äthiopien gebaut, derzeit zählen wir weit über 500.000 junge Menschen an
unseren Bildungseinrichtungen.
Das Programm umfasst den
gesamten Bildungsweg samt Abitur, Berufsschule und unserem College, dem ATTC.
Besonders wichtig ist uns dabei, dass die Jugendlichen nach der Schule auch
etwas mit ihrem Wissen anfangen können. Die fünf Berufsschulen für sog.
Technical and Vocational Education and Training (TVET) legen den Fokus auf
praktisches Training und bieten Kurse in Fächern wie Automobil- und
Elektrotechnik, Maschinenbau oder Holzverarbeitung.
Darüber hinaus verfügen
wir auch über ein eigenes College, dem Agro Technical and Technology College
(ATTC) in Harrar. Die Absolventinnen und Absolventen wurden in den staatlich
anerkannten Studiengängen Agrarökologie, Elektrotechnik, Maschinenbau und
Automobiltechnik ausgebildet. Am Ende des jeweiligen Studiengangs erhalten sie
nach vier Jahren und bestandener Prüfung den Titel des Bachelor of Science.
Uns ist bewusst, dass der
Bau einer Schule allein nicht reicht, um den Lebensstandard der Menschen
nachhaltig zu verbessern. Erst die gleichzeitige Berücksichtigung anderer
Lebensbereiche bietet Hilfe zur Selbstentwicklung. Aus dieser Perspektive
heraus bietet beispielsweise ein neuer Brunnen nicht nur eine lebenswichtige
Wasserquelle, er ermöglicht es auch jungen Mädchen die Schule zu besuchen,
anstatt stundenlang zur nächsten Quelle gehen zu müssen, um Wasser für die
Familie zu holen. Wasser schafft Bildung. Aus diesem Grund legen wir so viel
Wert darauf, dass alle Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden.

   

ProMosaik:
Was haben Sie bisher erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Peter Renner: In den über
30 Jahren, in denen Menschen für Menschen in Äthiopien tätig ist, wurde sehr
viel erreicht. Ich möchte jetzt aber nicht alle Zahlen und Leistungen
aufzählen, die finden Sie auf unserer Homepage oder in unseren Jahresberichten.
Viel wichtiger ist: Wir konnten weit über 5 Millionen Menschen zu einem besseren
Leben verhelfen. Jeder einzelne Mensch, dem es besser geht, der nicht mehr
Hunger leiden muss, der eine bessere Bildung erhält oder Zukunftschancen für
seine Familie sieht, ist unser aller Erfolg. Es sind die einzelnen Menschen und
nicht die Zahlen. Das ist jede Mühe wert!
Der wichtigste Wunsch für
die Zukunft Äthiopiens ist ein schnelles Ende der Hungersnot. Ich persönlich
wünsche mir noch, dass die Menschen in Europa und Deutschland erkennen, dass
jeder Euro, der in die nachhaltige Hilfe und Unterstützung vor Ort gesteckt
wird, eine Investition in die Zukunft von uns allen ist. Denn wenn wir den
Menschen vor Ort eine Perspektive bieten, hilft das jedem von uns!