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Sind wir Muslime tatsächlich frei?

by Hamid Beheschti, Berlin, 7. Oktober 2015

Ein sehr aufschlussreicher Artikel zum Begriff der Freiheit im Islam. Das Thema “Freiheit, das Wesen des Islam” ist auch der Titel des Themenabends im Rahmen der diesjährigen Islamwoche im Berlin.

Zuerst
zum Mittelpunkt der islamischen Lehre: Gott, Allah
.
Gott
ist per Definition der Schöpfer der Natur, des Universums und des Seins
überhaupt. Das bedeutet: Alles, was über Gott gesagt wird, dürfte mit dem Sein,
dem Universum und der Natur in keinem Widerspruch stehen. Die Gesetzmäßigkeiten
der Natur und des Universums sind von Gott geschaffen. Er hat seine
Naturgesetze nie außer Kraft gesetzt.
Die
Wissenschaft ergründet die Gesetze der Natur. Würden die Naturgesetze an
verschiedenen Punkten differieren, so wäre die Wissenschaft nicht allgemeingültig.
Daher ändert sich nichts an der grundlegenden Gesetzmäßigkeit der Natur: Ursache
und Wirkung.
Kurz
gesagt: Gott ist der Schöpfer auf der Grundlage der Ursache und Wirkung. Er hat
nie seine von ihm stammende Grundlage der Schöpfung verworfen. Das bedeutet:
Gott handelt nicht willkürlich!
Gott der Ursache und Wirkung handelt nicht willkürlich!
Nun
zum Begriff Islam!
Islam,
auf den wir uns beziehen, gibt es mindestens in zweierlei Hinsicht. Einmal den
bis zum Tode des Propheten, der direkt seiner Klärung und Interpretation unterlag.
Und dann gibt es den Islam, der sich im Laufe der Geschichte unter der
Einwirkung verschiedener Herrscher und in verschiedenen Teilen der Welt
unterschiedlich entwickelt hat. Den Erstgenannten bezeichne ich als den wahren
Islam und den Zweiten als den wirklichen Islam.

Nun
müssen wir verstehen, was mit der Behauptung: „Freiheit entspräche dem Wesen
des Islam“, gemeint ist. Klar ist, dass bei dem wirklichen Islam in den
meisten, ja fast allen Ländern, die sich islamisch bezeichnen, die Richtigkeit
dieser Behauptung schwer nachvollziehbar ist; z.B. bei Frauen, deren sexuelles
Verhalten den islamischen Gesetzen Saudi Arabiens widerspricht. Sie werden auch
manchmal geköpft. Oder bei Menschen, deren gesellschaftliches und politisches
Leben der Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten im Iran nicht passt. Sie
werden eingesperrt. Das ist der Widerspruch mit der Auslegung des Islam seitens
religiöser Macht.
Es
gibt aber auch einen viel breiteren Widerspruch, der in der allgemeinen
Auslegung des Islam liegt und Muslime persönlich und gesellschaftlich dem Zwang
unterwirft: Kopfbedeckung bei Frauen, Zwang zum 5-maligen Gebet, Zwang zum
Fasten und vieles mehr. Das alles gibt es im wirklichen Islam. Ob diese
Zwanghaftigkeit, auch zur Zeit des Propheten bestanden hat, steht auf einem
anderen Blatt. Denn im Koran steht, dass es keinen Zwang in Sachen der Religion
gibt und nicht geben darf.
Genau
dies ist der ungeklärte Punkt in unserer Auslegung des Islam, der uns die
Freiheit nimmt und uns dem Zwang unterwirft, alles, was als Gottes Gesetze in
der Religion bekannt ist, praktizieren zu müssen. Aus diesem Zwang heraus entsteht
auch der Zwang, uns den Herrschenden im Namen der Religion zu unterwerfen, den
religiösen Autoritäten zu folgen und uns gar nicht zu erlauben, ihre religiösen
Rechtsgutachten, Fatwa genannt, zu hinterfragen.
Nun
möchte ich gerne wissen, wo es im wirklichen Islam die Freiheit gibt. Diese
Freiheit müssen wir uns nehmen. In Sachen islamischer Pflichten meine ich, dass
die individuellen Pflichten freiwillig sein sollen. Die Einzelnen sollen nach
ihrer eigenen Überzeugung handeln dürfen. Bei den sozialen und
gesellschaftlichen Pflichten soll eine gemeinsame Meinungsbildung die
traditionellen Verhaltensweisen klären; ob z.B. zulässig ist, dass junge
Mädchen von ihren Eltern und Brüdern kontrolliert werden, ob institutionelle
Zwänge immer noch geduldet werden sollen, ob der gängige Umgang mit
Nichtmuslimen und ihrer Diskriminierung geduldet werden soll, ob die
Diskriminierung angehöriger Minderheitskonfessionen wie Schiiten, Sunniten,
Yeziden oder sonstige geduldet werden darf. Sie dürfen nicht weiterhin
praktiziert werden. Wir sollen uns melden und einmischen, um die Freiheit zu
erlangen, die uns zusteht.