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Sind wir bereit für Feminismus?

von Anna Schulz, Die Starke Frau, 07.10.2015

Diese Frage haben wir uns gestellt und zu dem Thema eine sehr
interessante, selbstbewusste Frau befragt. Dr. phil. Milena Rampoldi ist
Menschenrechtlerin, freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie macht
sich für die Rechte der Frauen stark, kämpft gegen Unterdrückung und für
Gleichberechtigung. Was Feminismus bedeutet und wie es um die Rolle der
Frau in unserer Gesellschaft steht erklärt Dr.phil. Milena Rampoldi uns
im Gespräch.


Frau Rampoldi, sind Sie eine Feministin?

Ich finde, dass man als Frau keine andere Wahl hat, als
Feministin zu sein. Wie dann der eigene Feminismus aussieht, hängt sehr
stark von der eigenen Lebensgestaltung, Erfahrung, Kultur, Ethik und
Religion ab. Als Muslimin mache ich mich natürlich für den islamischen
Feminismus stark, um gegen die Unterdrückung der Frauen in der
muslimischen Welt zu kämpfen und den Islam als Befreiung der Frau den
Männern als Spiegel vorzuhalten.


Was bedeutet für Sie Feminismus?

Feminismus bedeutet für mich Diversität, Erziehung,
Komplementarität und Selbstbewusstsein. Eines der Hauptziele des
Feminismus besteht ohne Zweifel darin, die Frau zu stärken, sie
psychologisch und emotional unabhängig zu machen, damit sie dann ihre
Identität und ihr Selbstbewusstsein in die sozio-politische Gestaltung
der Gesellschaft investieren kann. Denn ohne die Kooperation der Frau
kann es keine Entwicklung der Familie und somit auch nicht der
Gesellschaft und Politik geben. Ohne eine starke Frau gibt es auch
keinen Frieden und keine Durchsetzung der Menschenrechte. Für mich
bedeutet Feminismus die Anerkennung der Stärke der Frau und die
Erziehung jeder Frau zu dieser Stärke und weiblichen Identität, ganz
nach Simon de Beauvoir, die so schön sagte: „Man kommt nicht als Frau
zur Welt, man wird dazu gemacht.“ Der Feminismus muss aber von der Frau,
von ihrer Kultur und von ihrem religiösen und sozialen Umfeld kommen
und darf nicht fremdgesteuert oder importiert sein. Der Feminismus ist
eine Bewegung, die von Innen kommt. Somit gibt es für mich nur einen
Feminismus im Plural, da der Feminismus eine Welt der kulturellen,
ethnischen und religiösen Diversität ist.

Was hat sie dazu bewegt, sich für Frauen stark zu machen?

Die Unterdrückung der Frau durch sich selbst und durch
die Männer ist in der Welt, unabhängig von Kultur und Religion, Herkunft
und Ethnie, so allgegenwärtig, dass es einer starken Bewegung bedarf,
um die Frau zu ihrer würdevollen Weiblichkeit zu führen. Die
Weiblichkeit ist für mich in diesem Zusammenhang gleichzeitig der Weg
und das Ziel. Als Menschenrechtlerin setze ich mich intensiv mit den so
vielfältigen Verletzungen der Frauenrechte weltweit auseinander. Ob es
nun um die Sklaverei in Mauretanien, das Loverboy-Phänomen in Holland,
die Zwangsheirat, die häusliche Gewalt, die Vergewaltigung, das
Brustgbügeln in Kamerun, die Genitalverstümmelung der Frau in Afrika,
den Frauenhandel, die Segregation oder die Zwangsprostitution geht:
Frauen werden psychisch, physisch und emotional unterdrückt und vor
allem manipuliert. Diesen Frauen, die ihrer Würde, Identität und
Persönlichkeit beraubt werden, die manipuliert, verdrängt und unsichtbar
und stimmlos gemacht werden, müssen wir Frauenrechtlerinnen eine Stimme
verleihen. In der muslimischen Welt wie im Westen werden Frauen auf
verschiedenste Arten und Weisen unterdrückt. Frauen werden nicht ernst
genommen. Somit sind feministische Erziehung und weibliche
Bewusstseinsbildung durch Kunst, Literatur, Soziologie, Politik,
Religion und Musik der Weg, um Frauen in ihrer Diversität zu einer
starken Identität zu verhelfen. Empowerment ist hier eines der
Zauberworte. Aber nach diesem Empowerment folgt für mich nicht die
Loslösung von der männlichen Hälfte der Gesellschaft, sondern die
Kooperation als starke Frauen zwecks Aufbaus einer gerechten und vor
allem friedlichen Gesellschaft.

Waren Sie schon immer eine starke Frau? Sind Sie so erzogen worden?

Ich wurde katholisch erzogen und entdeckte den Feminismus
erst an der Universität. Habe lange nach dem wahren Feminismus gesucht
und ihn dann durch meine akademische Arbeit und mein Engagement für die
Menschenrechte gefunden. Selbstbewusstsein und weibliche Identität sind
aufgrund meiner Lebenserfahrung die Zauberworte, die den Weg der Frau
zum wahren, inneren Feminismus führen. Feminismus ist rational,
emotional und geistig in Einem.

Sind Sie verheiratet? Wer hat zuhause die Hosen an?

Ich bin seit fast neun Jahren glücklich verheiratet und
habe drei Kinder. Für mich basiert die Ehe im Islam auf der Kooperation,
Liebe und Komplementarität. Daher finden sich neben den Hosen und
Röcken auch Hosenröcke in meinem Schrank. Diese Diversität steht für
eine Ehe, die auf Beratung und Kommunikation basiert. Da aber die
Demokratie die Diktatur der Mehrheit ist und zwei keine ungerade Zahl
ist, muss darüber beraten werden, wer welche Entscheidung treffen darf.
Wie Bilqis, die Königin von Saba im Koran so schön sagt: „O ihr
Vornehmen, ratet mir in dieser Sache. Ich entscheide keine
Angelegenheit, solange ihr nicht zugegen seid.“ Und auf diese Weise
kristallisieren sich Schritt für Schritt im Dialog die Bereiche heraus,
in denen Mann und Frau entscheiden. Die Entscheidung ist aber nie der
Ausdruck einer Macht über den Anderen, sondern die Folge ethischen und
verantwortlichen Handelns.

Gibt es falschen Feminismus und wenn ja, was ist für Sie falscher Feminismus?

Der falsche Feminismus existiert auf jeden Fall. Er ist
für mich der aufgedrängte, imitierte Feminismus, der nicht von Innen
kommt und die Kultur und Religion der Frau respektiert, sondern
importiert oder gewaltsam von Außen aufgedrängt wird. Ein Beispiel ist
für mich die provokatorische Art, mit der die Aktivistinnen von FEMEN
mit ihren nackten Oberkörpern für die muslimischen Frauen demonstrieren
und sie praktisch retten wollen, indem sie sie vollkommen auslöschen.
Ich finde die arabischen und persischen Frauen von FEMEN manipuliert von
einem Feminismus, der nicht der ihre sein kann.

Sind Männer und Frauen in Deutschland Ihrer Meinung nach gleichberechtigt?

Ich finde, dass die Geschlechter in Deutschland zu sehr
nivelliert sind und dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu
wenig betont werden. So kann auch keine wahre Gleichberechtigung
entstehen. Mir scheint es manchmal, als wäre die Frau zu sehr auf eine
dünne, blonde Puppe reduziert, die am Ende am besten nichts sagen
sollte. Die Weiblichkeit wird des Öfteren auf das Objekt der männlichen
Vorstellungen reduziert. Ich finde, die deutsche Frau sollte ihre
Diversität gegenüber dem Mann mehr betonen und so auch ihre Schwächen.
Denn die Anerkennung der eigenen Grenzen beweist für mich Stärke. Dem
männlichen Ideal entsprechen zu wollen führt nicht zu denselben Rechten,
sondern eher zur Nivellierung der Geschlechter und zur
Gleichberechtigung auf dem Papier. Vielleicht sollte es in Deutschland
auch mehr Debatten zum Thema des Feminismus im Plural geben, um auch
verschieden Formen und Traditionen des Feminismus aus anderen
Kulturkreisen, Religionen und Ethnien zur Sprache kommen zu lassen.

Zum Thema Frauen in der Geschichte. Haben Sie Vorbilder?

Die sozio-politische Geschichte der Frauen ist noch nicht
geschrieben. Was mich seit einigen Jahren fasziniert, sind die
weiblichen Herrscherinnen der muslimischen Geschichte. Ich versuche die
Frauen in ihre Biografie, in ihrem Charakter und in ihren ethischen
Werten zu erfassen, um Modelle zu erstellen, die uns heute als Frauen
dabei unterstützen können, unser Selbstbewusstsein aufzubauen, vor allem
wenn es um das sozio-politische Handeln und die Menschenrechtsarbeit
geht. Besondere Vorbilder habe ich nicht. Was mich bei diesen Frauen aus
der Vergangenheit inspiriert, sind ihre Werte, ihre Haltungen, ihre
Bereitschaft, sich für die Unterdrückten und den Frieden einzusetzen.
Ein anderes Element ist natürlich ihr Kampfgeist und die damit
verbundene Fähigkeit, auch mal würdevoll verlieren zu können.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit? Was haben Sie bisher erreichen können?

Das Ziel, das ich mit meinen Büchern und Artikeln
verfolge, besteht in der Förderung des Dialogs zwischen Kulturen und
Religionen zwecks Aufbaus einer gerechteren und besseren Welt. Das
klingt nach einer Utopie, aber ich finde, dass man ohne diesen Traum den
Sinn des Lebens verlieren würde. Ohne vom Frieden zu träumen, würde es
den Frieden gar nicht geben. Dasselbe gilt für die Schönheit und die
Gerechtigkeit. Für mich hängen Frieden, Gerechtigkeit und Schönheit eng
zusammen. Im Islam heißt es, dass Allah schön ist und die Schönheit
liebt. Und diese Schönheit sehe ich, wenn ich mich für die unterdrückten
Frauen dieser Welt einsetze am meisten, da ich auch fest davon
überzeugt bin, dass Frieden und Gerechtigkeit ohne den sozio-politischen
Kampf der Frau undenkbar wären.

Ihr größter Wunsch für die Zukunft?

Mein Traum ist eine bessere Welt für meine Kinder. Was
mich im Moment sehr beschäftigt, ist die exponentielle Zunahme von
blinder Gewalt weltweit. Ich denke hier im Besonderen an den Nahen
Osten. Ich glaube an den Aufbau des Friedens und der Gerechtigkeit von
Unten, an die kleinen Veränderungen durch die kleinen Leute, die diese
Werte leben und weitergeben. Und hier kommen wir zum Feminismus zurück.
Frauen geben die Werte der Schönheit, Gerechtigkeit und des Friedens
weiter. Starke Frauen machen ganze Gesellschaften stark und verändern so
Schritt für Schritt die Welt.


Wir danken Dr. Phil. Milena Rampoldi von promosaik für das nette Interview und den tollen Kontakt!