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ProMosaik e.V. im Gespräch mit Sophie Wagenhofer über den jüdisch-muslimischen Dialog


von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. 
Dr.  Sophie Wagenhofer ist Historikerin und Museologin
mit einem besonderen Interesse für die Kulturen und Gesellschaften des Nahen
Ostens und Nordafrikas. Sie studierte Geschichte, Judaistik und
Islamwissenschaft in Wien und Berlin und verbrachte während des Studiums
mehrere Monate im Nahen Osten. Über zehn Jahre arbeitete sie im Jüdischen
Museum Berlin, wo sie unter anderem ein bildungspädagogisches Konzept für den
jüdisch-muslimischen Dialog entwickelte. 2005 ging Sophie Wagenhofer nach
Marokko, wo sie im Jüdischen Museum in Casablanca arbeitete und ihre
Doktorarbeit über das Museum und seine politische und soziale Funktion
vorbereitete. Nach fünf Jahren akademischer Arbeit an Humboldt Universität
und dem Zentrum Moderner Orient arbeitet sie heute beim Berliner
Wissenschaftsverlag De Gruyter. Das Ziel unseres Interview mit Frau Dr. Wagenhofer bestand darin, Wege zu finden, in dieser schwierigen Zeit des Nahostkonflikts den muslimisch-jüdischen Dialog hervorzuheben, vor allem am marokkanischen Beispiel von Simon Levy, der so schön sagte: “Meine Religion ist das Judentum, meine Kultur der Islam”.

MR:
Was bedeutet für Sie jüdisches Selbstbewusstsein als Minderheit im islamischen
Raum? Wie kann religiöse und kulturelle Vielfalt im Sinne eines Mosaiks zu
einer toleranten und offenen Gesellschaft beitragen, indem man Unterschiede
würdigt und betont? Wie kann das Judentum in Marokko und im Ausland dazu
beitragen?



Sophie
Wagenhofer: Ich denke, es ist wichtig Vielfalt, kulturelle, sprachliche und
religiöse Unterschiede immer wieder als Wert und Bereicherung zu beschreiben.
Dabei sind Akteure aus unterschiedlichen Feldern, wie Politik, Bildung, Medien,
Kunst und der Zivilgesellschaft gefragt. Über das reine „Sprechen“ hinaus muss
diese Vielfalt auch tatsächlich positiv erfahrbar gemacht werden, um zu zeigen,
wo und wie diese Vielfalt für Menschen im Alltag einen Wert darstellt. Für das
Beispiel des marokkanischen Judentums wären Kunst- und Kulturpräsentationen im
Rahmen von Festivals, Konzerten oder Ausstellungen denkbar, oder auch der Blick
auf den Beitrag einzelner Personen für Politik, Gesellschaft, Kunst oder
Wirtschaft. Auf diese Weise könnte der Beitrag der marokkanischen Jüdinnen und
Juden an der marokkanischen Kultur deutlich gemacht werden.

Eine
Gruppe allein wird wenig ausrichten können. Die Arbeit an einer pluralen
Gesellschaft und am Abbau von Vorurteilen funktioniert nur, wenn die
Mehrheitsgesellschaft mit der Gruppe, welche die Minderheit darstellt, zusammen
agiert. So können die marokkanischen Jüdinnen und Juden alleine und isoliert wohl
keinen starken Beitrag leisten, sondern nur im Dialog. Es ist aber wichtig,
dass sich die marokkanischen Jüdinnen und Juden selbst auch offen und vor allem
positiv mit ihrem „Marokkanisch-Sein“ auseinandersetzen und dies auch im Alltag
bejahen.

http://www.projetaladin.org/assets/images/casaemusee.jpg







Milena
Rampoldi: Wie können wir durch Initiativen wie die des Jüdischen Museums in
Casablanca zur islamisch-jüdischen Freundschaft beitragen? Denke hier vor allem
an den Nahostkonflikt und seinen negativen Einfluss auf diese Freundschaft.




Sophie
Wagenhofer: An dieser Stelle ist „Freundschaft“ vielleicht ein sehr großes
Wort. Vielleicht müssen Menschen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit nicht
gleich „befreundet sein“. Sie sollten sich aber auch nicht bloß „tolerieren“. Es
sollte vielmehr eine Selbstverständlichkeit sein, das Menschen
unterschiedlicher ethnischer, religiöser oder sprachlicher Zugehörigkeit
zusammenleben können. Dafür sind die Begegnung mit „dem Anderen“ und das Lernen
über „den Anderen“ zentral. Da solche Begegnungen heute im Alltag nicht mehr so
selbstverständlich stattfinden (einfach aus dem Grund, weil es nicht mehr so
viele Jüdinnen und Juden in Marokko gibt und darüber hinaus unbefangene
Begegnungen durch den Einfluss des Nahost-Konflikts schwieriger geworden sind),
braucht es Begegnungsräume, wie beispielsweise Vereine oder Veranstaltungen.
Ein solcher Ort ist das jüdische Museum in Casablanca. Es trägt dazu bei, dass
muslimischer Besucherinnen und Besucher jüdische Kultur als Bestandteil ihrer
eigenen wahrnehmen können. Zudem ermöglicht es Begegnung und Austausch.

In
Bezug auf Israel ist meiner Meinung nach eine offene Diskussion wichtig. Der
Konflikt ist sehr komplex und wird auf unterschiedlichen Ebenen politische
instrumentalisiert. Vielleicht ist der Weg, den Simon Levy im Museum gewählt
hat, nämlich Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Muslimen in den Vordergrund zu
stellen, ein guter. Denn bevor über den Nahostkonflikt gesprochen werden kann,
müssten erst viele Berührungsängste und Vorurteile aus dem Weg geräumt werden,
die mit dem Konflikt zunächst nichts zu tun haben, durch diesen aber genährt und
verstärkt werden.

http://www.darnna.com/06/culturesettraditions/Photo210.jpg

 
Jüdisches Selbstbewusstsein in einem arabisch-muslimischen Staat bedeutet aus
meiner Sicht, sich selbstverständlich als Teil der Gesellschaft zu verstehen,
auch wenn die Mehrheitsgesellschaft muslimisch ist. Als Jude zu sagen: „Ja ich
bin Marokkaner oder Türke oder Iraner“ und nicht „Die anderen sind Marokkaner
und ich bin Jude“, das zeigt für mich jüdisches Selbstbewusstsein. Bis heute
hört man sowohl von Muslimen als auch von Juden häufig die Unterscheidung „Marokkaner
(=Muslime) und Juden“. Aber dieses Phänomen gibt erschreckender Weise es auch
noch in Deutschland („Juden und Deutsche“) und anderswo.



MR:
Wie können Museen zur Vermittlung jüdischen Lebens beitragen?




SW:
Museen leisten insbesondere dort einen wichtigen Beitrag, wo gelebte Kultur aus
dem Alltag verschwunden ist, wo die jüdische Minderheit so klein ist, dass es
persönliche Begegnungen nur noch selten gibt. Museen sind Institutionen, die
zur unverbindlichen Information einladen; ein Interesse muss nicht legitimiert
oder begründet werden. Ein Museumsbesuch gehört inzwischen – zumindest für ein
„Bildungsbürgertum“ zum normalen Kanon der Freizeitgestaltung und
Weiterbildung. Interessierte müssen sich nicht gleich in einem Verein
engagieren oder in direkten Kontakt mit dem Gegenüber treten, wenn sie das
(zunächst) nicht möchten. Museen sind aber nicht nur Orte der Information,
sondern ermöglichen auch Begegnung und Partizipation. Insbesondere im Rahmen
von kulturellen und politischen Veranstaltungen oder auch Workshops wird
gemeinsam gesprochen und diskutiert. Ein Museum kann auch Lücken schließen, die
es beispielsweise im Bildungssystem gibt und Einblicke geben, die Lehrer im
Klassenraum nicht liefern können.  

Auf
einer abstrakteren Ebene schaffen es Museen im öffentlichen Diskurs einem Thema
Raum und damit Bedeutung zu verleihen. Ein Thema, dass es ins Museum
„geschafft“ hat scheint bedeutend, bekommt medial und auch politische
Aufmerksamkeit und vor allem Raum. Dies wird auch von Menschen wahrgenommen,
die ein Museum selbst vielleicht gar nicht besuchen, wohl aber in Medien
darüber lesen oder es als Gebäude im öffentlichen Raum wahrnehmen.  



MR:
Wie wichtig ist die Vernetzung von Vereinen und Institutionen, um den Dialog
zwischen Juden und Muslimen heute zu fördern?



SW:
Ich denke, es ist sehr wichtig, dass sich Vereine über Genregrenzen (also
politische Gruppen, kulturelle Organisationen oder auch „Freizeitvereine“)
sowie über nationale Grenzen vernetzen und austauschen, denn jeder bringt
andere Erfahrungen mit. Je nach Kontext gibt es unterschiedliche Ansätze und
Probleme, aber auch vielfältige Perspektiven. Vielleicht tut es einer
politischen Gruppe gut, sich einmal die ganz „banale“ Arbeit eines interkulturellen
Sportvereins anzuschauen und zu sehen, wie Zusammenleben tatsächlich im Alltag
funktionieren kann. Vielleicht gelingt es durch einen kulturellen Ansatz im
Alltag scheinbar unüberbrückbare Gräben überwinden, indem in der Kunst
plötzlich doch eine gemeinsame Sprache gesprochen wird, welche in politische
Debatten noch keinen Einzug gehalten hat. Solche Perspektivwechsel können sehr
hilfreich sein. Es lohnt sich auch immer der Blick darauf, wie Dialogarbeit in
unterschiedlichen Ländern ausgestaltet wird. Gerade im Fall von
jüdisch-muslimischem Dialog in Marokko, denke ich hier an Kanada, Frankreich
und Israel. Hier können verschiedene Impulse für Institutionen und Vereine sehr
viel bringen.

MR:
Die Vorbildfunktion des Museums und des Erbes von Levy sind für ProMosaik das,
was dieses Museum heute der Welt beibringen kann. Wie würden Sie diese beiden
Aspekte unseren Leserinnen und Lesern schildern?




SW:
Die Arbeit von Simon Levy ist in mehrfacher Hinsicht für mich beeindruckend. Er
hat einfach nicht akzeptiert, dass aufgrund politischer Entwicklung eine ganze
Kultur, seine Kultur, verloren gehen soll. Es hat dafür gekämpft, dass Sprache,
Kultur und Traditionen des marokkanischen Judentums nicht einfach verschwinden.
Seine kulturpolitische Arbeit zeigt, dass ein Mensch mit Überzeugung sehr viel
bewirken kann. Er hat dieses Museum mit seiner Ausstellung, all seinen
Veranstaltungen und Aktivitäten selbst aufgebaut. Er hat sich immer Zeit
genommen, mit allen Interessierten persönlich zu sprechen. Denn der Austausch,
das Sich-Kennenlernen, der Abbau von Vorurteilen beginnt in einer persönlichen
Begegnung. Jeder war willkommen, mit jedem hat er seine Botschaft geteilt. Mich
hat beeindruckt, dass er frei von Illusion und Naivität unermüdlich für ein
Miteinander ohne Rassismus, Vorurteile und Hass plädiert hat, für ein
gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen. Er hat nichts verklärt und
nichts beschönigt, aber er hat aufgezeigt was möglicht ist, wenn wir
Vorurteile, Ignoranz und Intoleranz ablegen. Dies war für ihn ein ganz
grundsätzliches Anliegen, dass sich nicht nur auf Juden und Muslime bezog,
sondern auch auf alle anderen Fragen von Ausgrenzung, Benachteiligung und
Ungleichheit. Ich habe selten jemanden kennen gelernt, der so deutlich
Missstände angesprochen hat und so klar alternative Lesarten und
Handlungsoptionen angeboten hat, um einem gleichberechtigten Miteinander näher
zu kommen.



Im
Rahmen der Ausstellung sind seine Arbeit und sein Anliegen heute noch
erfahrbar. Allerdings reicht die reine Präsentation von Objekten nicht aus; um Dialog
nachhaltig zu fördern. Es braucht nach wie vor jemanden, der die Objekte zum
Sprechen bringt und es braucht auch über die Ausstellung hinaus Räume der
Begegnung. An dieser Stelle möchte der neu gegründete Verein AAMJM (
Association des Amis du Musée du
Judaïsme Marocain
) ansetzen, um die Arbeit des Museums genau in diesem
Punkt zu unterstützen. Wir wollen aktiv das jüdische Erbe weiter erhalten und
Möglichkeiten eines Austauschs zwischen marokkanischen Juden und Muslimen
bieten.