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Revolutionäre Medien – Kit O’Connell


Was sind revolutionäre Medien? Drei Grundgedanken
Der folgende Artikel basiert auf
einer kurzen Präsentation, die ich am 18. Juli im Buchladen Monkeywrench Books in Austin, Texas, als Teil
des Projektes “Imagining Revolutionary Media” gehalten habe. Die Besprechung
wurde von Solidarity Circuit und Peaceful
Streets Project
organisiert.
Ein Paar Bürgerjournalisten stehen eng nebeneinander, während einer am Laptop
tippt, vor einer Reihe von Polizisten während der Occupy Wall Street Demo vom
12. Dezember 2011. In den revolutionären Medien bleiben die
Bürgerjournalisten nicht mehr neutral oder distanziert von der Handlung, die
sich auf den Straßen abspielt. (Flickr / Jessica Lehrman)

Heute
möchte ich über die Herausforderungen sprechen, in unserem Zeitalter ein
neuer Medienjournalist zu sein. Ich möchte drei Grundgedanken und einige
Herausforderungen hervorheben, denen wir uns stellen müssen.
Wir sind
alle einer Meinung: die alten Medien werden aussterben. Und dies ist auch der
Grund, wofür es uns gibt. Aber bevor sie aussterben, unterdrücken die alten
Medien die Menschen, da sie noch einen letzten Trotzanfall bekommen, was in
allen einen großen Schmerz verursacht. Das gilt vor allem für die, die eine
nachhaltige Journalistenkarriere anstreben und für all die, die Menschen
erreichen möchten.
 
Aber die
neuen Medien sind auch eine echte Schwitzbude! Am 1. Juli veröffentlichte
Digiday eine Studie über das Volumen der Publikationen in den modernen
Online-Medien. Quantitativ betrachtet, beschäftigt Huffington Post ein
Team von 532 Leuten, die 1.200 Artikel pro Tag veröffentlichen. Zusätzlich
dazu gibt es 400 unbezahlte Blogposts, die täglich herauskommen. Buzzfeed,
die größte „Erfolgsgeschichte“ des modernen, listenbasierten Journalismus,
hat derzeitig 100 bezahlte Teammitglieder, die pro Tag 350 Artikel
produzieren.
 
Die beiden
arbeiten zwar nach sehr unterschiedlichen Modellen, aber es ist einfach
Standard, dass man heutzutage von einem Journalisten kostenlose Arbeit
erwartet. Wenn Sie dann Glück haben, wachsen Sie auch noch über einige Andere
hinaus, die genauso hart arbeiten wie Sie und eigentlich für Ihre Arbeit
bezahlt werden. Einige bezahlte Autoren produzieren am laufenden Band 10-15
Artikel pro Tag, um diese Veröffentlichungsstandards zu halten. Und das ist
nicht nachhaltig.
 
Und alte
Programme werden in die neuen Medien importiert. Ich habe versucht, meine
Sucht nach der Podcasting App Stitcher aufzugeben, weil die eine Werbung für
das neue Goldman Sachs Podcast zeigte. Und ich will das Zeug nicht auf meinem
Telefon haben! Aber das ist das perfekte Beispiel, wie alte Programme in
neuen Formaten wieder aufgerollt werden. Und was wir auch noch importieren,
ist die Idee der Neutralität, die einfach Blödsinn ist.
 
Hier sind
die drei Hauptaspekte, auf die wir fokussieren sollten, wenn wir uns die
revolutionären Medien vorstellen.
Die revolutionären Medien sind dezentral und vielfältig
Die alte
Idee der News Room (Nachrichtenredaktion) ist tot. Die modernen Nachrichten
werden nicht mehr an einem zentralen Standort verfasst. Lokale Reporter und
Bürgerjournalisten können von überall her mit einem globalen Netzwerk anderer
Reporter verbunden sein, die eine ähnliche Arbeit ausüben oder ähnliche
Themen behandeln. Gleichzeitig können auch die sozialen Medien eine globale
Solidarität schaffen und Aktivisten aus aller Welt miteinander verbinden.
 Das sollte idealerweise verschiedenen Stimmen die Möglichkeit geben,
sich auszudrücken, einschließlich die der Minderheiten und der unterdrückten
Gruppen gelten, die vormals von den herrschenden Medien vollkommen
ausgeblendet wurden.
 
Natürlich
entstehen dadurch neue Herausforderungen  — die lokalen Medien haben
unter dem Verschwinden der alten Medien gelitten, und die sozialen Medien
müssen sich ihren eigenen Herausforderungen stellen. Viele neue Medien hängen
von Facebook ab, um Seitenaufrufe zu generieren, aber Facebook drosselt
dauernd die Anzahl der Seitenaufrufe, die man ohne ein hohes Budget für die
Werbung erzielt. Es ist schwer herauszufinden, welche Netzwerke man
bevorzugen soll, wobei die neuen sozialen Netzwerke wie Snapchat an
Wichtigkeit gewinnen.

Einige dieser neuen Tools können uns dabei unterstützen, neue
Kommunikationsformen zu entwickeln und jenen alten Nachrichtenraum an das
neue Zeitalter anzupassen. Vor kurzem nahm ich an einem neuen Projekt teil,
das Slack
nutzt. Das ist eine zum größten Teil kostenlose Mischform von Chat- und
E-Mail-Portal, die den Reportern und Herausgebern die Möglichkeit bietet,
doofe Links zu teilen und über die Tagesthemen zu diskutieren. Es erleichtert
gleichzeitig auch eine ernsthafte Arbeit wie das gemeinsame Editieren eines
Artikels.

Zuschauer und Bürgerjournalisten nehmen die Verhaftung eines Aktivisten durch
die New-York-Polizei auf ihren Smartphones und auf ihren digitalen Kameras am
11. Dezember 2011 auf. Soziale Medien weisen neue Wege, um Menschen sofort zu
erreichen, wenn ein Ereignis eintritt. Aber sie können auch neue
Herausforderungen stellen, wenn Netzwerke als Torwächter agieren. (Flickr /
Jessica Lehrman)

Die revolutionären Medien sind nicht neutral oder ausgeglichen
Ich bin
ein Gonzo-Journalist, aber heute würde ich
behaupten, dass die besten Medien die sind, die in den Geschichten involviert
sind, die sie schreiben. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, völlig
neutral und ausgeglichen und distanziert vom Geschehen zu sein. Die
Neutralität gibt letzten Endes den Menschen eine Stimme, von denen ich denke,
dass sie die Feinde der Menschheit sind und die sich dafür einsetzen, dass
„beide Seiten“ aller Themen „dieselbe Aufmerksamkeit“ erhalten. Die
revolutionären Medien geben hingegen immer den Leuten Priorität.
 
Indem wir
unsere Themen offen auf den Tisch legen, helfen wir den Menschen die News
selbst „aufzubauen“. Die modernen Leser holen sich nicht mehr alle
Nachrichten aus einer einzigen Quelle, sondern besuchen die sozialen
Netzwerke und verschiedene Webseiten, wovon jede ihre eigene Meinung zum
Tagesgeschehen äußert. Indem wir offen das sagen, woran wir glauben und nicht
mehr versuchen, es allen gut zu machen, inklusive unseren Feinden
(Umweltverschmutzern, Konzernen, brutalen und rassistischen Polizisten,
korrupten Politikern, usw.), verstehen die Mediennutzer dann auch, wo wir
stehen, wenn sie ihre Nachrichten des Tages aufbauen.
 
Wir müssen unsere Arbeit aber
trotzdem strikt auf Fakten und Beweisen aufbauen. Dies kann auch heißen, dass
wir uns mit Menschen unterhalten müssen, deren Meinungen wir nicht teilen,
aber es ist einfach wichtig, unseren Lesern ein Gesamtbild rüberzubringen.
Zum Beispiel habe ich vor kurzem über Themen rund um die
Häftlingstransporte
 für Truthout berichtet und u.a. mit einem
Beamten der Gefängnisbehörde  im Vermont gesprochen. Aber ich habe dafür
gesorgt, dass die Stimmen der ehemaligen Häftlinge viel lauter und länger
sprechen.
Die revolutionären Medien sind nachhaltig
Werbung
reicht nicht aus, um den modernen Journalismus nachhaltig zu gestalten. Denn
sie ist auch nur eine Luftblasenwirtschaft. Wenn Sie sich eine Bannerwerbung
auf einer Nachrichtenseite ansehen, so hat diese Webseite im Prinzip einen
kleinen Fleck vermietet. Aber die Firma, die sich diesen Fleck gekauft hat,
verkauft ihn oft auch weiter, sogar drei bis vier Mal pro Bannerwerbung. Und
das ist gar nicht nachhaltig, sondern nichts anderes als eine Blase, die zum
Platzen verurteilt ist.
Außerdem
sollten die Journalisten auch für die von ihnen geleistete Arbeit bezahlt
werden, damit sie überleben und weiterarbeiten können. Wir müssen auf die
neuen Methoden der Finanzierung, wie Mitgliedschaft, Crowdfunding
(Gruppenfinanzierung, aber vermeiden Sie Gofundme) und andere
Formen der Unterstützung sehen. Wir müssen aber auch transparent aufzeigen,
wie wir unser Geld verdienen und wie wir unsere Reporter bezahlen. Wir können
die Transparenz anstreben, unabhängig davon, ob wir eine Genossenschaft, ein
Gewerkschaftlicher Laden (wie Truthout!), eine gemeinnützige oder
traditionellere Organisation sind. Ich bin dabei, für eine neue
Veröffentlichung zu arbeiten, deren Lancierung ich unterstütze. Dabei bemühen
wir uns darum, zu den Freelancern, mit denen wir darüber sprechen, immer ganz
ehrlich darüber zu sein, was wir auch wirklich zahlen können, im Gegensatz zu
dem, was ihnen wirklich zustehen würde.
 
Das Publikum und die Teilnehmer warten auf den Beginn des Vortrags “Imagining
Revolutionary Media” am 18. Juli 2015 im Buchladen Monkeywrench Books in
Austin, Texas. (MintPress News / Kit O’Connell)
 
Vor allem
laufen alle drei Aspekte auf den gegenseitigen Respekt und die gegenseitige
Solidarität hinaus – eine Solidarität mit den Menschen, die wir interviewen,
aber auch eine Solidarität mit den Medienarbeitern. Ich kann Ihnen nur sagen,
dass es eine komische Erfahrung ist, über „Fight For 15“ [Kampagne für einen
Mindestlohn von 15 $ pro Stunde, AdÜ
] zu berichten, wenn Sie nicht in der
Lage sind, als Journalist ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
 
Ich freue
mich auf Ihr Feedback zu diesen Aspekten. Ich möchte gerne in Erfahrung
bringen, wie Sie glauben, dass wir Medien schaffen können, die dezentral und
vielfältig, leidenschaftlich, aber zuverlässig und nachhaltig sind. Danke für
Ihre Aufmerksamkeit.
►Hören Sie meinen Vortrag “What is Revolutionary Media?
auf Soundcloud
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http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=16066#sthash.2oCCt3hJ.dpuf