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„Über Menschenhandel aufklären“
ProMosaik im Gespräch mit Naile Tanış vom KOK e.V.

Anbei ein wichtiges
Interview mit Naile Tanış, Geschäftsführerin des KOK – Bundesweiter
Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. Wir haben Frau Tanış Fragen zum
Verein, zu ihrer Arbeit und zum Thema des Menschenhandels gestellt. Das Thema
Menschenhandel betrifft uns alle. Menschen sind keine Ware. Dafür stehen wir,
und dafür setzen wir uns ein.
 
Milena Rampoldi: Welche Zielsetzungen verfolgen Sie vor
allem mit dem Buch über den Menschenhandel in Deutschland?
 

 Naile Tanış: Wir möchten mit unserem
 Buch „Menschenhandel in Deutschland – eine
Bestandsaufnahme aus Sicht der Praxis“ einen Beitrag dazu leisten, das sehr
komplexe Phänomen Menschenhandel und die damit zusammenhängenden Themen sowohl
für interessierte Fachkreise als auch für die breite Öffentlichkeit
darzustellen und näher zu beleuchten.
Das Buch stellt in umfassender Weise das Phänomen
Menschenhandel in seinen verschiedensten Ausprägungen dar; wir möchten damit
weiterhin dazu beitragen, zum Thema Menschenhandel sowohl in der Öffentlichkeit
als auch der Politik, Wissenschaft und Praxis aufzuklären. Das Besondere an
diesem Wissenskompendium ist, dass es von erfahrenen Fachleuten aus der Praxis
geschrieben wurde und jeweils die rechtliche und die praktische Perspektive
miteinander verzahnt. Zudem werden alle Ausbeutungsformen beleuchtet und auch
aktuelle angrenzende Themen, wie Datenschutz oder Betroffene von Menschenhandel
im Asylverfahren, behandelt.
Wir wünschen uns, dass das Buch allen, die an dieser
Thematik arbeiten, sowie allen interessierten Personen als gute Informationsressource
dienen wird und einige Anregungen mit in die jeweiligen Arbeitsbereiche
genommen werden können.
MR: Wie wichtig ist die Vernetzung aller Akteure zwecks
Bekämpfung des Menschenhandels in Deutschland und im Ausland?
NT: Vor allem in der
Praxis sind bei der Arbeit mit Betroffenen von Menschenhandel zu
unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedenste Akteure eingebunden und zuständig.
Neben den Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel sind dies u.
a. die Polizei, Justiz, verschiedene Behörden und zum Teil auch weitere
Beratungs- oder Clearingstellen. Um eine gute Zusammenarbeit, die vor allem den
Schutz, die Unterstützung und die Interessen der Betroffenen wahrt,
sicherzustellen, ist die Vernetzung der beteiligten Akteure enorm wichtig. Aber
nicht nur in der Praxis, auch auf politischer Ebene und in der Lobby- und
Öffentlichkeitsarbeit ist Vernetzung ein wichtiges Thema.

MR: Wie wichtig ist die effektive Information darüber? Wie
kann man die Meldungen über den Menschenhandel in den Medien verstärken?
NT: Wenn es um effektive Information über Vernetzungen geht ist unserer
Meinung nach wesentlich, dass die Informationen über die Vernetzung an die
Fachpersonen weitergeleitet werden. Dafür ist es notwendig, bestehende
Netzwerke zu nutzen oder entsprechend neue Netzwerke aufzubauen. Das sind bspw.
die Runden Tische zum Thema Menschenhandel, die in den Bundesländern zum Teil
existieren.  Des Weiteren gibt es in fast
allen Bundesländern Kooperationsvereinbarungen zwischen Fachberatungsstellen
und Polizei, die gemeinsam erarbeitet wurden und die jeweiligen Aufgaben und
Vorgehensweisen bei Fällen von Menschenhandel beschreiben. Es ist notwendig,
dass beispielsweise in Behörden spezielle Handlungsleitfänden existieren, die
Kooperationsvereinbarungen vorliegen und bekannt sind und auch ggfs. Anlagen
wie Indikatorenlisten vorhanden sind.
Zur zweiten Frage: Eine reine Verstärkung der Meldungen über
Menschenhandel ist nicht unbedingt positiv. Es kommt darauf an, wie darüber
berichtet wird. Wir erleben leider immer wieder, dass mediale Informationen
nur zum Teil förderlich sind.
Die meist vereinfachte und/oder
stereotype
Darstellung der Betroffenen und
ihrer
Situationen
wird den Lebensrealitäten der Betroffenen nicht gerecht
und verhindert eine Identifizierung
von Menschenhandelsbetroffenen.
Medien reduzieren
häufig Betroffene auf passive
Opfer, ihre
darüber hinausreichenden Bedürfnisse und vor allem Rechte werden kaum zur
Sprache gebracht. Zum medialen Umgang mit dem Thema Menschenhandel hat der KOK
ein ausführliches
Positionspapier erstellt.
Natürlich ist es wesentlich über das Thema zu informieren –
auch die Allgemeinheit. Dies kann aber auch über andere Maßnahmen gelingen, wie
beispielsweise über Kampagnen von Fachberatungsstellen etc.  
   
MR: Menschenhandel betrifft uns alle, diese ist die Meinung
von ProMosaik e.V. Was denken Sie darüber? Wie kann man das Thema Menschen
nahebringen, die immer noch denken, es würde sie nicht betreffen?
NT: Wir teilen Ihre Auffassung, ansonsten wäre das Ziel
unseres Vereins sinnlos. Menschenhandel tritt in den verschiedensten Formen
auf, zur sexuellen Ausbeutung, zur Arbeitsausbeutung, Zwang zur Bettelei oder
Ausnutzung strafbarer Handlungen (wie bspw. EC Karten Betrug). Er betrifft also
verschiedene Lebensbereiche und so auch die Gesellschaft als Ganzes.
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten das Thema anderen
Menschen nahzubringen:
        
Dies kann gelingen durch eine gute Medienberichterstattung
        
Durch Kampagnen von NGOs sowie auch von
staatlichen Stellen.
        
Durch Veranstaltungen vor Ort von NGOs, die
öffentlich einladen oder berichten
        
Durch Fachvorträge in verschiedenen
Institutionen, die bürgernah sind.
        
Verteilen von Informationsmaterialien bei
verschiedenen Stellen

MR: Welche sind die besten Strategien zwecks Unterstützung
der Opfer?
NT:Was in Maßnahmen und Kampagnen
gegen Menschenhandel häufig in den Hintergrund gerät, ist die Stärkung der
Rechte der Betroffenen. Gerade hier gibt es aber noch die größten Defizite.
Auch bei der Umsetzung internationaler Standards in Deutschland liegt der Fokus
meist auf der Bekämpfung und Strafverfolgung. Ein menschenrechtsbasierter
Ansatz, der die Stärkung der Position der Betroffenen von Menschenhandel in den
Mittelpunkt stellt, ist bisher nicht erkennbar.
Betroffene von Menschenhandel
sollten das Recht und auch die Möglichkeit haben, sich frei und unabhängig
stabilisieren,  informieren und
entscheiden zu können, welchen Weg sie einschlagen wollen. Sie benötigen vor
allem eine Stärkung ihrer Position durch Sicherheit, Rechte, Unterstützung und
Perspektiven.
Eine Abkopplung
aufenthaltsrechtlicher Regelungen von einer Mitwirkung im Strafverfahren, also
eine unabhängige und unbefristete Aufenthaltserlaubnis, ist daher dringend
notwendig.

Neben einer unabhängigen und
unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sollten die Betroffenen zudem die
Möglichkeit bekommen, neue Perspektiven aufzubauen und langfristige Stabilität
zu erlangen. Zugang zu Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, Sprachkursen und
zum Arbeitsmarkt sind dafür notwendige Elemente. Solch ein Ansatz würde entscheidend
auch zur Bekämpfung des Menschenhandels beitragen.

Zudem sollten die bestehenden
spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene des Menschenhandels, die
umfassende Beratung und Begleitung der Betroffenen auf freiwilliger, anonymer
anbieten und im Interesse der Betroffene handeln gestärkt und unterstützt
werden. Viele arbeiten mit sehr unsicherer und oft nicht ausreichender
Finanzierung. Das Netzwerk der Beratungsstellen sollte zudem ausgebaut werden.

MR: Wie kann effektive Präventionsarbeit geleistet werden,
um dem Menschenhandel vorzubeugen, vor allem wenn er Frauen und Kinder
betrifft?
NT: Eine effektive Präventionsarbeit beinhaltet eine gelungene
Verbreitung von Information. Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Unsere Mitgliedsorganisationen arbeiten beispielsweise eng mit Schulen und
führen dort Gespräche oder Veranstaltungen durch. Der KOK hat eine
Wanderausstellung konzipiert, die auch eine Sondertafel hat, die speziell für
Jugendliche konzipiert wurde, um ausdrücklich junge Menschen über verschiedene
Formen von Menschenhandel  (insb. die
Thematik Loverboys) aufzuklären. Einige Beispiele solcher Kampagnen haben wir
im letzten Jahr für den KOK-Bericht
an die GRETA-Kommission
gesammelt, sie sind im Anhang des Berichts zu
finden.
Einige
Beratungsstellen haben zudem Flyer oder andere Informationsmaterialien in
verschiedenen Sprachen konzipiert, die bspw. Migrant*innen die zum Arbeiten
nach Deutschland kommen wollen über ihre Rechte (auch Arbeitsrechte) und die Situation in
Deutschland informieren.
Das Interview wurde von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V., geführt