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Offener Brief an Prof. Dr. Reinhard Schramm


Günter Schenk

by Günter Schenk, Mitglied des Collectif Judéo Arabe et
Citoyen pour la Palestine, Strasbourg und der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands (1966). Kommentar von ProMosaik e.V.: Es geht um die Beschuldigungen gegen den Oberbürgermeister der Stadt Jena, der wie viele andere Israelkritiker in Deutschland als Antisemit bezeichnet wird. Herr Schenk setzt sich mit dem Thema auseinander und erklärt, warum Israel begründet ist und wie der kolonialistische Zionismus der größte Feind der Juden ist. Wer Israel kritisiert, wenn Israel gegen die Menschenrechte verstößt, ist ein kritischer Bürger und keinesfalls ein Antisemit.  Solidarität mit Palästinenser als Antisemitismus zu bezeichnen ist auch terminologisch falsch, da Palästinenser wie Juden “Semiten” sind. Jedes antisemitische Gefühl bedeutet ein negatives Gefühl gegenüber einem Menschen, weil er zu ethnischen Gruppe der “Semiten” gehört. Antisemitismus und Arabophobie, Judenphobie und Islamophobie kreuzen sich manchmal. Sie haben alles etwas gemeinsam: die Verurteilung eines Menschen aufgrund seiner ANDERSHEIT gegenüber der Mehrheitskultur, -ethnie und -religion.


Sehr geehrter Herr Professor Dr. Reinhard Schramm,
ich beziehe mich auf den Beitrag in
der gestrigen Thüringischen Landeszeitung, in dem Sie
den Oberbürgermeister der Stadt
Jena, Partnerstadt von Beit Jala in Palästina, beschuldigen
– ich zitiere – “Dr. Schröter
bedient Klischees”. 
Das gerade tut OB Schröter, nach
allem was ich von ihm weiß, gerade nicht. Er, anders
als viele, jedoch wie wir, die
internationale BDS-Bewegung, unterscheidet nicht nur,
selbstverständlich, zwischen Juden
und Israel, nein, er geht noch weiter: er unterscheidet – aus gutem Grund, schon wegen
seiner persönlichen guten Freunde in Israel – zwischen israelischen Juden und der Politik
Israels!
So tut er nicht einmal das, wozu vor
genau 10 Jahren eine große Anzahl, d.h. die
fühhrenden zivilgesellschaftlichen
Gruppen, Palästinas aufgerufen haben, Israelische
Waren per se zu boykottieren und
damit eine Kehrtwende der israelischen Politik 
gegenüber der palästinensischen
Ursprungsbevölkerung herbeizuführen. Gemeinsam
mit Pax Christi behieht sich seine
Boykott-Forderung nur auf Waren aus den besetzten
Gebieten (in Israel:OPTs), womit er
in voller Übereinstimmung mit der EU ist, wie auch
dem EuGH in Luxemburg ist.
Dass Israel Besatzerstaat ist,
wird Ihnen auf Anfrage gern auch das Auswärtige Amt
bestätigen, ebenso ist dies keine
Meinung, sondern tatsächlicher Sachverhalt, nach 
allen Regeln des Völkerrechts und
des Internationalen Rechts. Dies zu benennen, ist demnach gerechtfertigt, es zu
leugnen, ein nicht-hinnehmbarer Fehler.
Wenn Sie aber, Gt behüte, Israel und
“Die Juden” gleichsetzten, so begäben Sie sich,
sehr geehrter Herr Professor Dr.
Schramm, auf gefährliches Glatteis und damit in
die Nähe von Antisemiten (was Sie
natürlich nicht beabsichtigen!).
Ich möchte hier nicht weiter auf den
“Nahost-Konflikt” eingehen – mit Fontane zu
sprechen, “ein weites Feld”,
aber doch betonen, dass es sich bei diesem seit dem
Jahr 1948 nicht nur, wie Sie sagen,
“um einen tragischen Nahostkonflikt handelt,
dessen Lösung leider nicht in Sicht
ist”, sondern um die ausschließliche Folge einer
Politik des Staates, der sich anmaßt,
im Namen aller Juden zu handeln” und dessen
fehlender Bereitschaft, sich an
Internationales Recht zu halten und die mehrfachen
Resolutionen der Vereinten Nationen,
beginnend mit der Staatsgründung, zu befolgen.
Dass diese Poltitik nicht im
Interesse aller Juden ist, dass es vielmehr eine zutiefst
anti-jüdische Politik ist, in vollem
Gegensatz zu elementaren Werten des, besonders
europäischen – Judentums (Moses
Mendelssohn!) muss ich Ihnen gegenüber gewiss
nicht erläutern.
Darum halte ich Ihre Reaktion auf
Aussagen Dr. Schröters für eine vielleicht aus
Gruppendenken verständliche, aber
gewiss gefährlich reflexartige. Können Sie
sich nicht vorstellen, dass auch
Sie, wenn Sie Verbrechen der Regierung Israels
nicht als solche beim Namen nennen,
in Gefahr geraten, für gerade jene Verbrechen
in Mithaftung genommen zu werden?
Darin seh ich eine wirkliche Gefahr!
Dass aber alles im Nahen Osten, auf
die eine oder andere Weise, oft zu Unrecht 
und um von eigenen Fehlern
abzulenken, mit Israel und der ungelösten Frage
der Existenz Palästinas zusammen
hängt, wird Ihnen, sehr geehrter Herr Professor
Schramm, kaum verborgen gebliebens
sein. Apropos Syrische Flüchtlinge und
Israel: wie ist es möglich, dass die
einzige Demokratie “in der Nähe” und dazu
ein reicher Staat, Isael, den
anderen Nachbarstaaten (Königreich Jordanien,
Libanon, Türkei) Millionen
Flüchtlinge zumutet, selbst aber dem wichtige
jüdischen (!) Gebot, dem Fremden
Schutz zu gewähren (“denn auch Ihr
ward Flüchtlige…”) in keiner
Weise Folge leistet. Das versteht die Welt nicht!
Was nun die, so nimmt der Leser das
wahr, die von Ihnen mitgetragene,
Medienkampagne gegen Jenas OB
Schröter angeht, so ist die Bezeichnung
“unanständig” eine höfliche Unterreibung. Dass Sie sich aber dabei
der Sekundierung
eines Mitgliedes einer
“messianisch-jüdischen Gemeinde bei Augsburg und dazu eines
offensichtlich “christlichen
Zionisten”, des ehemaligen SPD-Politikers Gunter Weißgerber
bedienen, ist besonders bedauerlich
und für die Jüdischen Gemeinschaften Thüringens
schädlich. Weiß man doch, wie
zwiespältig gerade diese sich philosemitisch (sozusagen
als gewendete Antisemiten) Gebenden
“christlichen Zionisten” und messianischen
“Juden” (?) ganz anderes
im Sinn haben, als das Wohlergehen jüdischer Gemeinden in
aller Welt und jüdischen Lebens in
Thüringen. (als Sachkundigen muss ich Ihnen das
gewiss nicht weiter erklären)
Kurz zurück zur Anzeige, bzw.
“Staatsanwaltlicher Ermittlung” gegen OB Albrecht
Schröter, so ist sie hanebüchen und
kann nur als ungeeigneter Versuch gewertet
werden, einer bestimmten,
Israel-Staats-nahen Sichtweise Publizität in Thüringen
zu geben. Ungeeignet und gefährlich
für die Betreiber, meine nicht nur ich.
Ein auch nur annähernd informiertes
Gericht würde die Anschuldigungen zurückweisen.
Was aber versteht der unbedarfte
Leser im Land? “Thüringische Juden kritisieren den
OB Jenas, weil er sich mit den
Palästinensern solidarisch erklärt”
Dies wäre dann wirklich klischeehaft, um
Ihren Begriff zu verwenden. Dumm und
gefährlich
Vielleicht, sehr geehrter Herr
Professor Schramm, lassen Sie sich meine hier dargelgten
Gedanken einmal durch den Kopf
gehen. Es wäre gut für den Ruf der Juden Thüringens
und es wäre gut für den sozialen
Frieden und die notwendige Wiederherstellung der nicht
nur von Ihnen zu unrecht
angezweifelten Ehre von Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Schenk
1a rue des Aveugles
F-67000 Strasbourg