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„Objektivität“ und „Neutralität“ sind ein Mythos


by Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Kit O’Connell ist ein Daily Staff Writer für das amerikanische
Nachrichtenportal MintPress News und Associate Editor bei
Shadowproof. Nach einer mehrjährigen schriftstellerischen
Tätigkeit wurde er 2012 zum Vollzeit-
Gonzojournalisten.
Inspirieren ließ er sich von seiner Erfahrung bei Occupy Austin. Kits Arbeit,
die auf soziale Gerechtigkeit und Bürgerprotest fokussiert, erschien auch auf Firedoglake,
Truthout und Occupy.com. Er beantwortete die Fragen unserer Redaktion.
Welche sind die wichtigsten Etappen der historischen Entwicklung von Mint
Press?
Mnar Muhawesh lancierte MintPress News im Jahre 2012,
nachdem sie Jahre lang als unabhängige Journalistin tätig gewesen war.
Sie ist auch die erste amerikanische Frau mit Kopftuch,
die als Reporterin und Nachrichtenmoderatorin tätigt war. Mnar hatte nie Angst,
sich von der Masse abzuheben. Und MintPress ist dieser Philosophie gefolgt und
erzählt Geschichten, mit denen sich viele Läden gar nicht abgeben würden.  
2013 war der Bericht von MPN über den Einsatz
chemischer Waffen von Seiten der syrischen Rebellen gleichzeitig umwälzend und
kontrovers. MPN und Mnar wurden online und in den Medien stark angegriffen,
weil sie sich weigerten, die Kriegsvorbereitungen der USA gegen Assad zu
unterstützen, aber bald mussten selbst die Mainstreammedien zugeben, dass es
keinen Zweifel an der offiziellen Geschichte des Einsatzes chemischer Waffen
gab. Ich denke, dass MintPress einen kleinen und auch wesentlichen Beitrag
geleistet hat, um einen anderen nutzlosen Krieg zu verhindern.
Während wir unser Leserpublikum aufbauten,
orientierten wir uns dann immer mehr auf die Berichterstattung über die
Regierung und die Wirtschaftskorruption.
Welche sind die Hauptziele Ihres Portals?
MintPress News ist ein unabhängiger
Watchdog-Medienladen, der auf Wirtschafts- und Regierungskorruption fokussiert.
Wir konzentrieren uns auf einige der drängenden Themen unseres Landes durch
Themenbasierten, detaillierten Journalismus. Wir kümmern uns vor allem um die
Auswirkungen des großen Business, der besonderen Interessensgruppen und Lobbyisten
in der US-Regierung, inklusive der Innen- und Außenpolitik.  
Mnar ist der Meinung, dass die „vierte Gewalt“ – wie
man die Presse in der ersten Änderung der US-Verfassung nennt – dafür da ist,
als Wachhund über die Regierung zu sehen. Und genau das inspiriert unseren
Journalismus bei MintPress.
Warum sind Vernetzung und Übersetzung so wichtig für die Nachrichtenportale
und die Journalisten unserer Zeit?
Der große Vorteil, den Internet mit sich bringt,
besteht darin, dass wir Menschen weltweit auf eine zuvor unbekannte Art
erreichen können.
Mir ist klar geworden, wie sehr Internet und die
sozialen Netzwerke die Welt verändert haben, als ich 2011 bei Occupy Austin
involviert war. Ende Oktober 2011 verhaftete die Polizei in Austin Dutzende von
Aktivisten, nachdem ein Konflikt eskaliert war, der von einem Esstisch
ausgegangen war – die Polizei beharrte darauf, es wäre illegal, Hungrige nach
22 Uhr zu versorgen (was natürlich nicht stimmt!). 
Was mich faszinierte, war, dass nach der Verbreitung
der Nachrichten über die Verhaftungen über Twitter, die ägyptischen Aktivisten
vom Tahrir Platz zur US-Botschaft marschierten, um dort zu demonstrieren! Was
für eine inspirierende Handlung internationaler Solidarität, die noch vor
einigen Jahren unmöglich gewesen wäre.  
Diese Aktion spornte uns an, weiterzumachen und
härteren Widerstand zu leisten. Als wir vor das Gefängnis marschierten, um
unsere entlassenen Kameraden zu empfangen, gingen wir den Bürgersteig entlang.
Aber bei unserer Rückkehr zum Lager von Occupy und auch Monate danach
marschierten wir auf den Straßen, blockierten den Verkehr und forderten Raum
für Demokratie — „Wessen Straßen? Unsere Straßen!“, wie das berühmte Lied so
schön sagt.
Aber wir sprechen nicht alle Englisch, und viele
Amerikaner beherrschen nur ihre Muttersprache (ich selbst kann nur ein paar
Worte Französisch und Spanisch). Wir brauchen Übersetzer, um diese neue
Technologie global nutzen zu können und das wahre Potential der internationalen
Solidarität zu entdecken.
Wie wichtig ist ein wahrer und engagierter Journalismus über den Islam
heute und warum?
Vorab möchte ich betonen, dass MintPress News keine „muslimische“
Nachrichtenorganisation ist — unsere Berichterstattung ist für alle gedacht.
Ich hoffe, dass wir in der Lage sind, Muslime gleich zu behandeln, und dies
unabhängig von der Zusammensetzung unseres Teams, die sich aktuell sehr bunt
gestaltet. Leider gehören die Muslime in den Mainstreammedien zu den am
ungerechtesten behandelten Gruppen. Sie werden als Sündenböcke und Kriminelle
dargestellt, um von unserem wahren, gemeinsamen Feind, dem 1%, abzulenken.
Wir brauchen einen wahren Journalismus, um die
Realität der Muslime darzustellen – sie sind Menschen wie wir alle, mit
denselben Bedürfnissen nach Liebe und Anerkennung und denselben existentiellen
Anforderungen. Wahrer Journalismus ist in der Lage, die Propaganda zu
durchschauen und uns zu zeigen, wen wir wirklich bekämpfen müssen.
Welche sind die wichtigsten Botschaften an die Amerikaner über den Islam?
Was die Amerikaner meiner Meinung nach am meisten verstehen sollten, ist
was ich oben angesprochen habe, nämlich, dass die Mehrheit der 1,5 Milliarden
Muslime weltweit normale Menschen sind wie wir, die nur ums Überleben kämpfen
und sich für das Wohl und den Schutz ihrer Gemeinschafen einsetzen. Das trifft
auf alle zu, die unterdrückt sind und von denen uns die Regierung erzählt, sie
wären unser „Feind“ – wir müssen unsere gemeinsame Menschlichkeit und die
gemeinsame Sache, die wir teilen sollten, betonen.

Wie wichtig ist der Kampf gegen die Diskriminierung im Journalismus und wie
können wir die Stimmen der unterdrückten Völker in die Medien bringen?
Neben ihrer Tätigkeit bei MintPress News ist Mnar als
Dozentin in Journalistenschulen und für andere Studentengruppen tätig, denen
sie aufzeigt, wie wichtig es ist, die Stimmen der Frauen und unterdrückten
Völker in den Medien zu erheben. Das ist einer der Aspekte, den ich an ihr
besonders bewundere und der mich motiviert, beim Portal MintPress News, dessen
allgemeines Konzept ich natürlich auch unterstütze, zu arbeiten.   
Der revolutionäre Bürgerrechtler Malcolm  sagte: „Wenn du nicht vorsichtig bist, werden
die Zeitungen dich dazu bringen, die Menschen zu hassen die unterdrückt werden,
und die Menschen zu lieben, die Unterdrückung ausüben.“
Und das stimmt bis heute. Und das ist genau das
Gegenteil von dem, was die Medien tun sollten. Eines der Leitprinzipien meines
Journalismus ist, dass der Arme nicht unser Feind sein kann und dass jegliche
Geschichte, die dem zu widersprechen scheint, nicht tiefsinnig genug ist.
http://shadowproof.com/2015/08/28/the-poor-are-never-the-enemy-talking-with-shadowproof-readers/
Wir müssen auf alle Stimmen der unterdrückten Völker
aller Art fokussieren. Wir dürfen nicht nur ihre Geschichten erzählen, sondern
ihnen helfen, ihre Geschichten direkt zu erzählen. Die neuen Medien sind
wirklich demokratisch – wir werden alle zu Journalisten, aber wir müssen Wege
finden, um zu gewährleisten, dass diese neue Schule der Bürgerjournalisten für
ihre Leistungen auch finanziell entschädigt wird.
Welche sind die falschesten Dinge, die die Mainstreammedien tun?
Ich gehöre zur „Gonzo“-Journalistenschule, die von Hunter
S. Thompson ins Leben gerufen wurden und von anderen großen „neuen“
amerikanischen Journalistenschriftstellern der 1960er wie Ken Kesey, Tom Wolfe
und Truman Capote. Wenn wir noch einen Schritt weitergehen, können wir auf
Pioniere wie Nellie Bly zeigen, die in den 1880er Jahren in einem verdeckten
Einsatz in eine Nervenheilanstalt ging, indem sie behauptete, sie wäre eine
Patientin und sich dann engagierte.
Ich stimme Thompson zu, wenn er sagt, dass
„Objektivität“ und „Neutralität“ ein Mythos sind. Die Fakten sind nicht
neutral, und es gibt nicht immer zwei Seiten ein und derselben Geschichte. Die
Klimaveränderung ist das klassische Beispiel dafür – indem die Medien versuchen
„fair beide Seiten“ zu zeigen, geben sie weiterhin den
Klimaveränderungsleugnern eine Stimme, nachdem die Welt der Wissenschaft aber
schon lange neue Erkenntnisse hat. Dies hindert uns daran, auf die wahren
Gegebenheiten zu fokussieren, die uns belasten, weil wir immer wieder dieselben
Themen aufrollen. Denn wir können nicht wirklich über Klimaänderungen sprechen,
wenn wir immer noch darüber diskutieren, ob es diese gibt oder nicht und ob die
Menschen dafür verantwortlich sind.
Für MintPress habe ich vor kurzem über die tragische
Geschichte von Larry Jackson, Jr, einem Schwarzen aus meiner Stadt Austin in
Texas berichtet (http://www.mintpressnews.com/delays-abound-in-prosecution-of-austin-police-detective-for-2013-shooting-of-larry-jackson/209093/).
Charles Kleinert, der damals Polizeibeamter in Austin war, ermordete 2013
Jackson brutal, nachdem er einen Fehler begangen hatte, sich in eine Bank zu
begeben, die er nicht kannte und die am selben Tag von einem Weißen ausgeraubt
worden war. Kleinert verfolgte Jackson, der unbewaffnet und noch nie verdächtigt
worden war, eine Straftat begangen zu haben, indem er sogar ein ziviles Fahrzeug
benutzt, ganz gleich wie die Cops in den Filmen. Dann schlug Kleinert unter
einer Brücke neben einem Wanderweg Jackson brutal zusammen, bis dieser auf
seine Hände und Knie fiel. Dann traf er ihn mit einem tödlichen Schuss in den
hinteren Nacken. 
Was ich gerade beschrieben habe, ist keine objektive
Version der Gegebenheiten, aber es ist nach meinem besten Wissen die wahrste
Version von dem, was wirklich geschah. Um Larry Jackson, seiner überlebenden
Familie und seinen Freunden Recht zu tun und so auch einer breiten
Öffentlichkeit, die in einer rassistischen Gesellschaft nach Gerechtigkeit
ruft, ist das die Geschichte, die erzählt werden muss.
Wie Sie sich sicherlich denken können, habe ich einige
Ideen zu den Fehlern, die die Medien begehen und über wie der Journalismus der
Zukunft auszusehen hat. Hier finden Sie ein Essay, das ich für MintPress auf
der Grundlage eines Vortrages geschrieben haben, den ich in einem
anarchistischen Buchladen in Austin gehalten habe:
– See more
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http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/09/0bjectivity-and-neutrality-are-myth-kit.html#sthash.uc4JTCi2.dpuf