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Mythos und Wahrheit Der Historiker Simcha Flapan zu den israelischen Legenden



by Heiko Flottau, Rezension zum Buch von SIMCHA FLAPAN: Die Geburt Israels – Mythos und Wirklichkeit. Melzer Verlag,
München 2005. 400 Seiten, 19,95 Euro. Wenn es mit der historischen Wahrheit nicht klappt, müssen Mythen her. Diese werden akribisch konstruiert, um einen Staat wie den zionistischen Staat Israel zu “legitimieren”. Simcha Flapan hat diese Mythen in einem wundervollen Buch mit dem Titel “Die Geburt Israels – Mythos und Wirklichkeit” zusammengefasst. Weitere Infos zum Buch und zu den Mythen finden Sie hier: http://www.palaestina-stimme.de/abhandlungen/abhan-april-mythen-folge1.html
Kaum ein Staat hat um seine Entstehung so viele Mythen gewoben wie Israel. 1991
etwa, zu Beginn des Krieges zur Befreiung Kuwaits von irakischer Besatzung,
stellte sich Benjamin Netanjahu vor die internationalen Fernsehkameras,
breitete eine Karte der arabischen Welt von Algier bis Bagdad aus, deutete auf
das geografisch vergleichsweise winzige Israel und beschwor die Bedrohung,
welcher sich der jüdische Staat stets durch die Araber ausgesetzt sehe.
Inzwischen haben israelische Historiker aus den Mythen die historische Wahrheit
herausdestilliert. Zu ihnen gehört Simcha Flapan. Er wurde 1911 in Polen
geboren, emigrierte 1930 nach Palästina, war von 1954 bis 1981 Sekretär der
Mapai-Partei, gründete die Zeitschrift New Outlook und das Jewish-Arab
Institute und arbeitete am Institute for International Affairs der Harvard
Universität. Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er 1987 ein Buch mit dem Titel
„The Birth of Israel”, das der Melzer-Verlag unter dem Titel „Die Geburt
Israels – Mythos und Wirklichkeit” nun erstmals auf Deutsch herausgebracht hat.
Gleich sieben israelische Gründungsmythen konfrontiert Flapan mit der historischen
Wirklichkeit. Dem ersten von ihm ausgemachten Mythos, wonach die Zustimmung zum
UN-Teilungsbeschluss von 1947 ein großes Zugeständnis des auf den Besitz ganz
Palästinas zielenden Zionismus gewesen sei, kontert der Autor mit dem Argument,
dieses Zugeständnis sei nur taktischer Natur gewesen. Um die Gründung eines
palästinensischen Staates zu verhindern, hätten die zionistischen Führer König
Abdallah I. von Jordanien zugestanden, einen Teil Palästinas zu annektieren;
insgeheim habe Israel aber stets auf Ausweitung seines Territoriums
hingearbeitet.
Dem zweiten Mythos, wonach die arabischen Staaten die Teilung Palästinas
kategorisch abgelehnt hätten, begegnet der Autor mit dem Argument, viele
palästinensische Führer hätten dem Kriegsaufruf des Muftis von Jerusalem
widersprochen und einen Modus Vivendi mit den Israelis gesucht; dieses Ansinnen
aber sei vom Staatsgründer David Ben Gurion zurückgewiesen worden.
Mythos drei, wonach die arabischen Führer die Palästinenser zur Flucht bewegt
hätten, um sie später zurückzuführen, attackiert Flapan mit dem Gegenargument,
seine Forschungen hätten ergeben, dass die israelische Armee arabische
Zivilisten bewusst in die Flucht getrieben habe, weil die Gründung eines
jüdischen Staates die Vertreibung der Araber bedinge. Behauptung vier, wonach
die arabischen Staaten das neue Israel bedingungslos vernichten wollten, ist
nach Ansicht des Autors deshalb nichts als ein Mythos, weil die arabischen
Führer lediglich verhindern wollten, dass Abdallah I. mit Hilfe Israels seinen Traum
von der Gründung eines großsyrischen Reiches unter seiner Führung wahr mache.
Im Übrigen sei die arabische Welt durchaus zu Kompromissen bereit gewesen. Die
fünfte gängige Lesart, der erste Nahostkrieg von 1948 sei unvermeidbar gewesen,
stimme deshalb nicht, weil die Araber im Gegensatz zu den Israelis dem
Vorschlag der USA, für drei Monate die Waffen ruhen zu lassen, zugestimmt
hätten. Das israelische Selbstlob, wonach der junge Staat eine überwältigende
arabische Übermacht besiegt habe, sei nur bedingt mit der Wahrheit in
Übereinstimmung zu bringen; im Frühsommer 1948 nämlich habe Israel so viele
ausländische Waffenlieferungen erhalten, dass der neue Staat fast zwangsläufig
die Oberhand über die schlecht ausgebildeten Araber errungen habe.
Schließlich Mythos sieben, wonach Israel stets „die Hand zum Friedensschluss
ausgestreckt” habe: „Im Gegenteil”, argumentiert Flapan, zwischen 1945 und 1952
hätten die zionistischen Führer „nacheinander etliche von arabischen Staaten
und neutralen Vermittlern unterbreitete Vorschläge” zurückgewiesen.
Simcha Flapan bezeichnet sich selbst als überzeugten Anhänger des
„sozialistischen Zionismus”, der einst auch an die Gründungsmythen Israels
geglaubt habe und von einem Krieg überzeugt gewesen sei, der, wie 1948, „für
die Grundsätze der Menschenwürde, Gerechtigkeit und Gleichheit” geführt worden
sei. „Das war vielleicht naiv, und vielleicht war es der Holocaust, der uns die
Fähigkeit und den Willen raubte, unserem Land und uns selbst gegenüber radikal
kritisch zu sein”; der Wahrheit aber könne man auf Dauer nicht ausweichen,
resümiert Flapan selbstkritisch.
Dass sich beide Seiten, Israelis wie Araber, der historischen Wahrheit stellen,
ist eine der Voraussetzungen zur Lösung des Konfliktes. Flapan selbst sieht
seine Forschungen als einen Schritt hin zur historischen Ehrlichkeit.