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MAITI Nepal : Der Kampf gegen die Verschleppung junger Mädchen und Frauen

von Ann-Katrin Bauknecht, Honorargeneralkonsulin von Nepal, Juni 2014


Ein sehr wichtiges Schreiben über die Situation der verschleppten Frauen in Nepal. Sie erwartet sexueller Missbrauch anstatt der versprochenen Stelle im Ausland als Haushälterin oder als Angestellte in der Gastronomie. MAITI Nepal, die Vereinigung “Haus der Mutter” unterstützt die Opfer der Zwangsarbeit und Zwangsprostitution. Erheben Sie mit uns Ihre Stimme für die Würde der Frau! ProMosaik e.V.
Mit der Übernahme des Honorarkonsulats von Nepal in
Baden-Württemberg kam ich in
offizieller Funktion 1993 in Berührung mit
der Bewegung „Lost Daughters of Nepal“, die zur Gründung der Initiative
„MAITI Nepal“ führte, was „Haus der Mutter“ bedeutet. „MAITI Nepal“ hat
sich dem Kampf gegen die Verschleppung junger Mädchen und Frauen aus
unteren Kasten über die grüne Grenze nach Indien und Weiterschleusung in
angrenzende Länder verschrieben. Dort erwartet sie anstelle der
versprochenen Anstellung als Haushaltshilfe oder einer Tätigkeit im
Hotel/Restaurantwesen in der Regel Zwangsarbeit und Zwangsprostitution.
Diese unheilvolle Entwicklung nahm über die Jahre ihren Lauf,
verursacht durch gewiefte Schlepperbanden, die es bis heute verstehen
armen Bauernfamilien in den Landregionen das verlockende Versprechen zu
unterbreiten, ihren Töchtern eine Anstellung im Haushalt oder eine
Tätigkeit im Restaurantwesen in den Städten zu vermitteln. Auf diese
Angebote gehen arme Bauernfamilien nur zu bereitwillig ein, in der Hoffnung, dass die Mädchen mit der Überweisung eines Teils des
vermeintlichen monatlichen Lohns zum Unterhalt der Großfamilie beitragen
würden.

In der größtenteils hinduistischen Gesellschaft Nepals sind in den
unteren Kasten noch heute Mädchen nicht willkommen, denn nur die Söhne
bleiben der Großfamilie und dem sozialen Netz verbunden. Töchter sind
ohne Mitgift in Nepal nicht zu verheiraten. Sie gehen der Großfamilie
durch Heirat verloren oder werden, falls sie unverheiratet bleiben, als „
unnütze“ Esserinnen betrachtet, welche nur die kargen Einkünfte der
Familien schmälern. Umso grösser ist seit jeher die Versuchung armer und
ungebildeter Familien, den verlockenden Versprechungen raffiniert
operierender internationaler Schlepperbanden Glauben zu schenken und die
Mädchen in deren Obhut zu geben. Auch die Bereitschaft der Mädchen
freiwillig mitzugehen, ist – aufgrund ihres Wunsches zum Unterhalt der
eigenen Familie beizutragen – groß.

A. Koirala (Photo: Tora Mårtens)
A. Koirala (Photo: Tora Mårtens)
Die Gründerin von „MAITI Nepal“, Mrs. Anuradha Koirala,
die hohes Ansehen in Asien genießt, und ihre Mitstreiter/innen haben
seit 1993 den Aufbau von „MAITI Nepal“ mit Hilfe von Spenden und
Zuwendungen internationaler Organisationen mit hohem Engagement
vorangetrieben. Den Anfang machte ein zentrales Mutterhaus mit
angeschlossenem Rehabilitationszentrum in Kathmandu, in welchem die aus
Versklavung befreiten Mädchen aufgenommen werden, um sie psychologisch
betreuen zu können. In einer weiteren Stufe wird den Mädchen und Frauen
eine einfache Ausbildung vermittelt, um sie wieder in die Gesellschaft
zu integrieren und ihnen eine einfache Existenz zu ermöglichen. Ein
weiterer wichtiger Baustein im MAITI-Konzept ist die Aufklärung breiter
Bevölkerungsschichten in besonders gefährdeten Armutsgebieten, um der
wachsenden Verschleppung junger Mädchen und Frauen Einhalt zu bieten.

Seit Übernahme meiner konsularischen Aufgaben in 1993 habe ich
die vielfältigen Aktivitäten unterstützt, zunächst mit privaten
Zuwendungen und Spenden meines gemeinnützigen Vereins VEBW e.V. (Verein Entwicklungshilfe Baden-Württemberg e.V.).
In 1999 traf ich des Weiteren eine Vereinbarung mit Anuradha Koirala,
mit unserem Verein maßgeblich den Aufbau einer Kette von Rettungshäusern
entlang der Grünen Grenze nach Indien zu unterstützen. Diese Grenze,
welche Nepal im Westen, Süden und Osten in einer Gesamtlänge von 1.850
km umgibt, gilt als längste Grüne Grenze der Welt. Alle, der insgesamt
15 Übergänge nach Indien können mit LKWs, Bussen, Rikschas und
Motorrädern passiert werden: alles bevorzugte Verkehrsmittel für den
Transport von Verschleppungsopfern.

Die Rettungshäuser bzw. Rescue & Transit Homes dienen in erster
Linie der sicheren Unterkunft von Mädchen und Frauen, die vor der
Verschleppung bewahrt werden konnten, indem sie an den Übergängen aus
Fahrzeugen aller Art von einer eigenen MAITI-Inspektionstruppe in
Zusammenarbeit mit der Grenzpolizei geholt werden. In diesen Rescue
Homes werden monatlich vorrübergehend rd. 30 Mädchen betreut und wird
der Versuch unternommen, ihre Herkunft zu ermitteln, um eine
Wiederzusammenführung mit der Familie zu ermöglichen. Sollte dies
scheitern, werden die Mädchen im Rehabilitationszentrum am Mutterhaus in
Kathmandu untergebracht, wo sie nach einer psychologischen Betreuung
eine einfache Tätigkeit erlernen, damit sie in die Zivilgesellschaft
zurückkehren und auf eigenen Beinen stehen können. Einige Mädchen
verbleiben auch immer wieder in der MAITI-Organisation, um dort als
soziale Aktivistinnen z.B. im Rettungsdienst entlang der grünen Grenze
oder bei den Aufklärungskampagnen in den Dörfern und
Präventionsmaßnahmen mitzuwirken.

Im Rettungshaus aufgenommen Mädchen
Im Rettungshaus aufgenommene Mädchen
Dank intensiver Einwerbung von Spenden und einer guten
Zusammenarbeit mit der „Stiftung RTL – Wir helfen Kindern e.V.“ und der
Stiftung „Bild hilft – Ein Herz für Kinder“, aber auch anderen deutschen
Stiftungen sowie durch regelmäße privaten Spenden konnte VEBW e.V. in
der Zeit von 2003 – 2008 dazu beitragen, dass 2 Rettungshäuser an den
wichtigsten Grenzübergängen (auf nepalischem Staatsgebiet) gebaut und
weitere 4 Rettungshäuser langfristig angemietet werden konnten und die
Verwaltung dieser 6 Heime langfristig immer wieder gesichert werden
kann.

So konnte durch intensive Bemühungen des VEBW e.V. das
MAITI-Rettungsheim-Konzept im RTL-Spendenmarathon im November 2004 und
in der ZDF/Bild hilft- Gala „Ein Herz für Kinder“ im Dezember 2010
erfolgreich vorgestellt werden und hierfür sowie für weitere damit
zusammenhängende MAITI- Aktivitäten namhafte Zuwendungen eingeworben
werden. Hinzu kommt, dass VEBW über seine Förderer zum Unterhalt der
inzwischen entstandenen beiden wichtigen MAITI-Präventionsheime für
gefährdete Mädchen im Landesinneren und des Rehabilitationszentrums in
Kathmandu beiträgt, in dem sich durchschnittlich 240 gerettete Mädchen
und Frauen bis zu 24 Monate aufhalten.

Ferner unterstützt VEBW e.V. die unter „Teresa Academy“
zusammengefasste MAITI-Schule – bestehend aus Kindergarten, Grund- u.
Hauptschulklassen Kl. 1 – 10 auf dem Gelände des Mutterhauses – und das
Waisenhaus für Halbwaisen, die mit ihren Müttern aus ihrer Versklavung
mit zurück zurückkehrten wie auch verlassene Kinder und Straßenkinder
aus Kathmandu und arme Kinder aus der Nachbarschaft. Die „Teresa
Academy“ betreut durchschnittlich 420 Klein- und Schulkinder, darunter
rd. 140 MAITI-Halb- und Vollwaisen.

Um die immensen Gesamtkosten allein für den Unterhalt der Häuser und
die allgemeinen jährlichen Betreuungs- und Betriebskosten aufbringen zu
können, ist „MAITI Nepal“ auch auf die Spenden von internationalen
Institutionen und Einrichtungen sowie der traditionellen „Geberländer“
Nepals angewiesen. Hier konnte „MAITI Nepal“ in Deutschland bisher neben
VEBW e.V. vor allem auf die Kill-Familienstiftung bauen, die MAITI den
gesamten Gebäudekomplexes der MAITI-Zentrale in Kathmandu inkl.
Rehabilitations-zentrum, Gesundheitszentrum und Hospiz erstellten, sowie
auf weitere großzügige Stifter, und Spender, u.a. „Die Sternsinger“ aus
Aachen. Hinzu kamen Förderer und Spender weltweit, vor allem aus den
USA, Skandinavien und Australien. Jedoch ist diese finanzielle
Unterstützung seit der weltweiten Finanzkrise stark zurückgegangen, so
dass viele Aktivitäten von „MAITI Nepal“ spürbar zurückgefahren werden
musste in einer Zeit, wo Verschleppung bzw. Versklavung von jungen
Mädchen und Männern jenseits der eigenen Landesgrenzen stark zugenommen
hat.

Die Bilanz von „MAITI Nepal“ ist hingegen sehr beeindruckend: So
konnte „MAITI Nepal“ seit seiner Gründung in 1993 die Verschleppung von
rund 18.000 Mädchen und jungen Frauen an der Grenze zu Indien verhindern
oder eine Rückführung nach Nepal ermöglichen. In Indien, wo die
internationalen Schlepperbanden mit immer neuen Taktiken den
Verfolgungsmaßnahmen zu entziehen versuchen, versuchen sie ihre Opfer an
die zahlreichen Bordelle in den Industriegürteln im Südosten und
-westen oder an die zahlreichen Etablissements in den Großstädten zu
verkaufen, wo Bedarf und Nachfrage ständig im Steigen begriffen sind und
wo in diesem millionenschweren internationalen Menschenhandel nach
immer jüngeren Opfern verlangt wird.

Die verschleppten Mädchen und Frauen erwartet in diesen Bordellen,
die in den Industriegebieten vornehmlich von Arbeitern aus niederen
Kasten frequentiert werden oder in den Großstädten, wo sich alle
gesellschaftliche Schichten der Bordelle bedienen, eine brutale
Behandlung und grausamste Ausbeutung. Von den bisher rd. 2.500 Mädchen,
deren Befreiung durch „MAITI Nepal“ mit Hilfe ihrer indischen
Partner-organisation glückte, wurde bestätigt, dass die Opfer brutal in
den Etablissement festgehalten werden, so dass es in der Regel kein
Entrinnen gibt und Mädchen und Frauen nur dann freigesetzt werden, wenn
sie sich ansteckende Krankheiten zugezogen haben. Auf dem Wege über
indische Bordelle hat z.B. auch AIDS in den früher unberührten
Bergregionen Nepals Einzug gehalten.

Eine weitere dramatische Entwicklung ist in vergangenen Jahren
entstanden: Junge nepalische Mädchen und Frauen werden über die grüne
Grenze nach Indien gebracht und mittels gefälschter Papiere – weiter in
die arabischen Emirate, nach Saudi Arabien und Kuwaitgeschleust. Dieser
Trend hat sich Anfang 2000 stetig verfestigt, so dass die indischen und
nepalischen Behörden Mrs. Koirala zuletzt in 2008 baten, nahe dem
Drehkreuz Flughafen Neu-Delhi eine Anlaufstelle „MAITI-India“
einzurichten, an welche sich nepalische Opfer vor Weiterschleusung in
die Emirate und nach Arabien wenden können, da sie in der Fremde in der
Regel nicht wissen, wohin sie sich wenden können. „MAITI-India“ ist
inzwischen in der Szene unter Verschleppungsopfern, die ihrem traurigen
Los entkommen konnten, mittels Mundpropaganda zum „Geheimtipp“ für
Befreiung und Hilfe geworden.

In den arabischen Staaten, vor allem aber in einigen Emiraten,
erwartet die angehenden „Haushaltshilfen“, ähnlich wie die nepalischen
Männer, die sich hoffnungsfroh als Bauarbeiter vor allem auf den
Baustellen in Qatar (Fußball-WM 2022) anheuern lassen, ebenfalls ein
gnadenloses und ausbeuterisches Schicksal. Den jungen Männern, Frauen
und Mädchen werden in der Regel bei Ankunft die Papiere abgenommen, sie
reisen auch auf einem „Einwegticket“ ein, sind abhängig von
einheimischen „Paten“ und werden meist wie Sklavenarbeiter gehalten,
schlecht versorgt und untergebracht und junge Frauen als sogenannte
Haushaltshilfen und Dienstboten – auf sich allein gestellt –
eingesperrt, misshandelt und zur Prostitution gezwungen, ohne eine
Chance, auf sich aufmerksam machen zu können.
Was die skandalösen Ereignisse in Qatar anbelangt, so sind hier seit
2013 britische und deutsche Medien um Aufklärung bemüht, so dass der
Druck nach Beendigung der Fußball-WM in Brasilien wieder erhöht werden
dürfte. Bisher gilt diese Medienaufmerksamkeit zunächst den prekären
Arbeitsverhältnissen der Wanderarbeiter, vornehmlich aus Asien und
insbesondere aus Nepal.
Was die Situation der jungen Nepalinnen aus unteren Kasten anbelangt,
so wandten sich Indien und Nepal 2008 hilfesuchend an Mrs. Koirala mit
der Bitte, mit ihrer Expertise dabei behilflich zu sein, eine
MAITI-Anlaufstelle in Neu-Delhi in der Nähe des internationalen
Flughafens aufzubauen, um die Weiterschleusung der Nepalinnen zu
unterbinden. Gleichzeitig jedoch wurde ihr jedoch verdeutlicht, dass
weder von offizieller indischer noch nepalischer Seite staatliche Mittel
für Aufbau und Betreibung von „MAITI-India“ zur Verfügung stünden.
Seither unterstützt VEBW e.V. Dank unserer Förderer, z.B.
RTL-Foundation, die Existenz von „MAITI-India“ mit eine namhaften
Bezuschussung. Die Anlaufstelle bei Neu-Delhi registriert inzwischen
regen Zulauf durch hilfesuchende Nepalinnen.
Da VEBW und unsere Unterstützer sich nach wie vor auch für eine
funktionierende Betreibung der MAITI-Rettungs- und Übergangshäuser
einsetzen und vor allem auch die immer wichtiger werdenden Präventions-
und Aufklärungsmaßnahmen in Nepal mit finanziellen Zuwendungen
unterstützen, stößt auch unser Verein aufgrund des immer grösser
werdenden Erwartungshorizonts, einhergehend mit ständig steigendem
finanziellen Bedarf, für dieses umfassende humanitäre Projekt allmählich
an seine Leistungsgrenzen.
Grundsätzlich sollten die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Folgen der immer raffinierter arbeitenden Schleuserbanden vom
nepalischen Staat und den Anrainerstaaten aufgebracht werden. Aber der
Bewusstseinswandel in den patriarchalischen Strukturen des nepalischen
und des indischen Staates wie auch der hinduistischen Gesellschaft in
beiden Länder vollzieht sich nur allmählich und war während der
maoistisch-kommunistischen Regierungszeit von 2006 – 2013 in Nepal
völlig ausgeblendet gewesen. Die Hoffnungen ruhen jetzt vor allem auf
der jungen Generation der gebildeten Mittelschicht beider Länder einen
solchen Wandel in ihren eigenen Gesellschaften herbei zu führen, da
Einwirkung von außen selten zu irgendeinem Erfolg geführt hat.
Da seit Februar 2014 in Nepal wieder eine bürgerliche
Koalitionsregierung an der Macht ist, die seit der Abdankung des Königs
im Jahr 2006 die noch immer ausstehende neue demokratische Verfassung
angehen und die angestauten Reformen dringend anpacken muss, sind die
Hoffnungen groß, dass sich hier auch in Bezug auf die sozial-humanitäre
Problematik auch seitens des Staates ein Sinneswandel vollzieht. Es
sollte dringend über wirksame Hilfsmaßnahmen nachgedacht werden, mit
welchen Programmen und Methoden dem Abwandern der jungen Männer und
Frauen aus Nepal, die in den angrenzenden Ländern stets nur in prekären
Arbeitsverhältnissen landen bzw. Ausbeutung und Zwangsprostitution
ausgesetzt sind, Einhalt geboten werden kann, da sonst durch den Wegzug
der jungen Generation das Land auszubluten droht.
VEBW und ich sind sehr bemüht, die Medien auch auf die Themen
„Schleusung von Mädchen und Frauen in den Nachbarstaaten bzw. die
Ausbeutung von „ Wanderarbeitern als moderne Arbeitersklaven des 21.
Jahrhunderts“ in Arabien und den Emiraten“ aufmerksam zu machen und
stehe in diesem Zusammenhang auch in engem Kontakt mit der
internationalen Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“,
Sportorganisationen, Medien und offiziellen Stellen in Nepal und
Deutschland.
Was sich in Nepal abspielt, ist besorgniserregend, da eine ganze
Generation junger Mädchen und Frauen ihre Heimat im Glauben verlassen,
ihre Familien daheim mit ihrem Lohn mit ernähren zu können, um anstatt
dessen in den meisten Fälle in prekären Arbeitsverhältnissen landen und
schamlos und menschenunwürdig ausgebeutet werden. Sollten diese jungen
Menschen je wieder den Weg zurück nach Nepal finden, werden sie
geschunden und ausgelaugt daheim erneut vor dem Nichts stehen und die
Großfamilie wird es wahrscheinlich nicht mehr geben, um die junge
Generation von Heimkehrern wieder aufzufangen, wenn dieser Exodus von
jungen Frauen und Männern aus den ländlichen Regionen Nepals nicht
gestoppt werden kann.