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Exkurs über die Sultaninnen in Bhopal, Indien


by Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – In diesem Artikel möchte ich einige Anmerkungen zu den Sultaninnen von Bhopal im heutigen Indien anführen. Auch in diesem Falle handelt es sich um eine in
Europa und in der Geschichte der muslimischen Völker noch nicht vollständig
erforschte Zeit, weil sie wie die Geschichte der Malediven, Komoren[1] und der von Aceh eher unbequem
für androzentrische Denker ist, da sich der Islam hier in einer matrilinearen
Kultur akkulturiert hat, ohne seine Identität zu verlieren. Der Begriff Begum steht für eine weibliche Regentin,
deren offizieller Titel Na’iba Begum von Bhopal war. Auch nach den vier
Regentinnen, die
Bahriye Üçok aufzählt, folgten noch zwei, Sajida Sultan, die
von 1960 bis 1971 regierte, gerade in dem Jahrzehnt, als Bahriye Üçok ihr Buch
schrieb, und Saleha Sultan Begum Sahiba (geboren 1940). 

 Ausschlaggebend für die muslimische Frau heute
ist die globale Betrachtung der Biografien der berühmten Frau in der
muslimischen Geschichte als Ganzes jenseits der nationalen Grenzen und der
ethnischen und kulturellen Unterschiede. Nur auf diese Weise kann man durch das
Studium zahlreicher Bücher aus verschiedenen muslimischen Kulturkreisen auf die
Gemeinsamkeit stoßen, dass es in all diesen Ländern immer schon Frauen gab, die
sich politisch betätigt haben und sogar ganze Länder beherrscht haben. Diese ermöglicht
den Bau einer Brücke zwischen einer glorreichen Vergangenheit und einer
utopischen Zukunft in unserem feministisch-islamischen Sinne. 

Auf diese Tradition weiblicher Herrscherinnen
bezieht sich die derzeitige Frauenbewegung von Bhopal, die sich für die
politischen Rechte der Frauen einsetzt[2]. Ich finde, dass Bhopal
nicht nur wichtig für die muslimische Frau in Indien sein sollte, sondern auch für
alle anderen muslimischen Länder als Beispiel dienen kann. Es geht mir in
dieser Habilitationsschrift gerade darum, eine übernationale, diversifizierte,
islamische Realität der Frauen aus der verdrängten Geschichte und Exegese
herauszukristallisieren, die unsere politische Arbeit als muslimische Frauen im
Hier und Jetzt weltweit unterstützen kann. Dieser übernationale und
panislamische Akzent findet sich meiner Meinung in der islamischen
Frauenvereinigung All-India Ladies‘
Association,
die 1918 unter der Sultanin Nawab Sultan Jahan Begum gegründet
wurde und das Ziel verfolgte, die muslimische Identität in ihrer Interaktion
mit der Weiblichkeit zu stärken, wie die Autorin Siobhan Lambert-Hurley in
ihrem Artikel beschreibt[3].   
Wichtig für die Staaten von Bhopal in der Regierungszeit
dieser Reihe weiblicher Sultaninnen ist, wie wir bereits im Fall von Aceh
gesehen haben, der Zusammenhang zwischen weiblicher Herrschaft und Entwicklung
des islamischen Denkens. Was den weiblichen Islam in meinen Augen so besonders
macht, sind der persönliche Zugang der Frau zur Religion und ihr besonderer
Bezug zur Geschichte und zur Biografie viel mehr als zur Dogmatik und Exegese.
Wir werden diese Eigenschaft erneut in Zaynab al-Ghazali und in Kadriye Hüseyin
wiederfinden.
Mehr als um einen dogmatischen Diskurs, geht es
allen diesen Frauen um Geschichte, um Lebensgeschichte und vor allem um Streben
nach Wissen und nach der Gestaltung des eigenen Weges im großen Ozean des
Islam. Dies gilt auch für Bhopal während des britischen Kolonialismus, wie
Jamal Malik schreibt[4]:
“The strong development of Islamic religious and
cultural reforms in Bhopal throughout the 19th century focused on
architectural projects, educational and literary efforts, economic as well as
administrative reforms… Since most of the Nawabs of Bhopal were female,
inheriting the throne from their mothers, especially women’s interests were
intensively discussed. The British highly estimated and respected the reforms
and modern ideas of the female rulers. They accepted Islamic scholars as
personal advisors of the Begums. The Begums on the other part demonstrated a
pro-British attitude and at the same time clung to their Islamic orientation
and independent political authority”. 
Deutsche
Übersetzung: „Die wesentliche Entwicklung islamischer religiöser und
kultureller Reformen in Bhopal im Laufe des 19. Jahrhunderts fokussierte auf
architektonische Projekte, erzieherische und literarische Bemühungen, sowie
wirtschaftliche und verwaltungstechnische Reformen… Da die meisten Nawab in
Bhopal Frauen waren, die den Thron von ihren Müttern geerbt hatten, wurden
weibliche Belange sehr intensiv diskutiert. Die Briten brachten den Reformen
und modernen Ideen der Herrscherinnen sehr viel Wertschätzung und Respekt
entgegen. Sie akzeptierten die islamischen Gelehrten als persönliche Ratgeber
der Begum. Die Begum bewiesen auf der anderen Seite eine pro-britische
Einstellung und gleichzeitig noch ein Festklammern an der islamischen
Orientierung und an der unabhängigen politischen Autorität“.   
 
Die weiblichen Herrscherinnen setzten einen
islamischen Reformismus im sozialen und pädagogischen Bereich durch, indem sie
sich gleichzeitig mit den Briten arrangierten, um den politischen Frieden zu
gewährleisten. Die politische Vereinbarung mit den Briten geht auf Nawab Nadhr
Muhammad Khan (1818), den Ehemann von Qudsiyya Begum, zurück. Die Vereinbarung
sah vor[5], dass die Nawwab weiterhin
über die hinduistische Mehrheit von Bhopal mit der Unterstützung der Engländer
herrschen durften, und dies geschah nach Nadhr Muhammad Khan auf der Grundlage
eines matrilinearen Prinzips. Die Herrschaft wurde über Jahrzehnte von der
Mutter auf die Tochter übertragen. Die Sultaninnen von Bhopal können heute als
Beispiel dienen, um aufzuzeigen, wie wichtig die Frau in der islamischen
Sozialpolitik sein kann.
Entscheidend für die Organisation der
sozio-politischen Arbeit der Frauen war Nawab Sultan Jahan Begum (1838-1901).
Sie war eine Tochter ihrer Zeit, lebte aber den Islam auf ihre eigene,
persönliche Art und engagierte reformfreudige islamische Rechtsgelehrte und
weibliche und männliche Intellektuelle zwecks Umsetzung sozio-politischer
Projekte für Frauen. Sie versuchte auf der Grundlage des islamischen Weltbildes
von Koran und Sunna aufzuzeigen, wie die Frau das Gleichgewicht zwischen der
Hausarbeit und dem Streben nach Wissen anstreben soll, einen Aspekt, den wir im
zweiten Kapitel dieser Schrift beim Muslimbruder Abdulhalim Abu Shaqqa
wiederfinden werden.
Wir befinden uns in einer Zeit, in der es noch
mehr um Erziehung der Frau als um politisches Engagement ging, wie wir auch am
Beispiel Ägyptens um die Jahrhundertwende sehen. Unsere politische Aufgabe
besteht daher heute als muslimische Frauen darin, ausgehend von diesen
historischen Beispielen der herrschenden Frauen das Bild der muslimischen Frau
als aktive und starke Persönlichkeit aufzuzeigen, vor allem auch, um die
westlichen Vorurteile gegenüber den sogenannten passiven und trägen Frauen mit
Kopftuch zu bekämpfen.
Hierzu schreibt Siobhan Lambert-Hurley treffend
über die zukunftsweisende Neuentdeckung der Weiblichkeit im Islam:
“It is essential that their forgotten stories be told – that the
boundary seemingly created by the veil be dissolved to recover the Muslim
female subject – if widespread misconceptions about women in Islam, so common
in the current political climate in Europe and North America, are to be
countered. Perhaps it will also enable Muslim women themselves to become aware
of a past on which they can draw for the future[6]
. Deutsche Übersetzung:
„Es ist wesentlich, dass die vergessenen Geschichten erzählt werden – dass die
Abgrenzung, die scheinbar durch das Kopftuch erzeugt wurde, aufgehoben wird, um
das weibliche muslimische Subjekt wiederzufinden – wenn die verbreiteten
falschen Auffassungen über die Frauen im Islam, die im politischen Klima in
Europa und Nordamerika heute so üblich sind bekämpft werden sollen. Vielleicht
wird dies die muslimischen Frauen auch in die Lage versetzen, sich der
Vergangenheit bewusst zu werden, um in die Zukunft zu sehen“.   
 Ausschlaggebend für die muslimische Frau heute
ist die globale Betrachtung der Biografien der berühmten Frau in der
muslimischen Geschichte als Ganzes jenseits der nationalen Grenzen und der
ethnischen und kulturellen Unterschiede. Nur auf diese Weise kann man durch das
Studium zahlreicher Bücher aus verschiedenen muslimischen Kulturkreisen auf die
Gemeinsamkeit stoßen, dass es in all diesen Ländern immer schon Frauen gab, die
sich politisch betätigt haben und sogar ganze Länder beherrscht haben. Diese ermöglicht
den Bau einer Brücke zwischen einer glorreichen Vergangenheit und einer
utopischen Zukunft in unserem feministisch-islamischen Sinne.


[1] Zu diesem Thema wurden kaum Studien
verfasst. Ein Autor, der mich aber sehr gut in die Kultur und Religion dieser
Inseln eingeführt hat ist zweifelsohne Abdallah Chanfi Ahmed, der unter anderen
Islam et politique aux Comores verfasst
hat. Seine anderen Werke Ngoma et Mission
Islamique (Da’wa) aux Comores et en Afrique Orientale,
L’Harmattan, Paris
2002 und Les conversions à l’Islam
fondamentaliste en Afrique au Sud du Sahara : Les cas de la Tanzanie et du
Kenya,
L’Harmattan, Paris 2008, zeigen dann wieder ein vollkommen anderes
Bild von Ostafrika und den Komoren, in dem der androzentrische Islam
durchgesetzt wird. Es ist daher von Nöten, diese Partizipation der Frau an der
Herrschaft in den Komoren in den ersten Jahrhunderten zu studieren, um dieses
Modell als ein Modell des Friedens und der Partizipation der Geschlechter zu
sehen und bekannt zu machen. Beispiele von Sultaninnen auf den Komoren sind
Alimah I (1632-33), Alimah II (1672-1711) und Halimah III (1782-92). Sie
herrschten alle auf der Insel von Anjouan. Auf Ngazrdja, der größten Insel der
Komoren, herrschte Nyau wa Faume 17– (genaues Jahr ist unbekannt). Auf den
anderen Inseln gab es auch verschiedene weibliche Herrscherinnen. Die beste
Auflistung habe ich auf der im Folgenden angeführten Website gefunden: http://www.guide2womenleaders.com/Comoro_Islands%20Heads.htm,
letzter Abruf, 30.06.2013, 21.28 Uhr.
Zum
Sultanat von Anjouan vgl. Repiquet J., Le
Sultanat d’Anjouan,
Challamel, Paris 1901. Vgl. hierzu auch: Ahmed A. C., Islam
et politique aux Comores,
L’Harmattan, Paris 1999. Vgl. des Weiteren:
Guebourg J.-L., La grande Comore, Des
Sultans aux Mercenaires,
L’Harmattan, Paris 1993.
Hier findet sich ein sehr interessanter
geschichtlicher Überblick der Hauptinsel, wo die Shirazi-Araber, die den Islam
auf die Insel brachten, ein matrilineares System in Wirtschaft und Politik vorfanden
(vgl. hierzu S. 18). Es entstanden auf den Inseln nach der Islamisierung zwölf
Sultanate. Es wurde ein System der Politik begründet, das den Frauen die
Erbfolge der Macht und den Männern ihre effektive Ausübung in einer Art
politischer Arbeitsteilung zusicherte, die es in dieser Form in der islamischen
Welt kaum gibt. Daher finde ich sollte man diese Kultur der akkulturierten
islamischen Politik nicht außer Acht lassen, auch wenn sie in einem so kleinen
Inselstaat entstand.
Vgl. hierzu den
Kommentar von Guebourg dazu auf S. 21: « En fait, la femme détenait
véritablement le yezi, la
souveraineté, bien que ce fussent les hommes de la lignée qui assurassent
l’exercice effectif du pouvoir… Ce rôle bien tranché entre frères et sœurs se
traduisait spatialement au plan résidentiel ou le palais du sultan différait
nettement du palais des princesses… »
Deutsche Übersetzung : „In der Tat hatte die Frau
die Souveränität (yezi) inne, während
die Männer der Geschlechterfolge die effektive Ausübung der Macht gewährleisteten…
Diese perfekt aufgeteilte Rolle zwischen Brüdern und Schwestern spiegelte sich
auch räumlich im Wohnbereich wieder, in dem sich der Palast des Sultans
wesentlich vom Palast der Prinzessinnen unterschied…“ Ein Modell, das
einzigartig in dieser Form besteht und dem Islam nicht widerspricht.   

[2] Vgl. hierzu das wegweisende Werk von
Siobhan Lambert-Hurley, Muslim Women,
Reform and Princely Patronage.
Nawab Sultan Jahan Begam of Bhopal, Routledge Verlag, London und New
York 2006.
Vgl. hierzu auch die
Rezension von Karuna Sharma auf: http://www.newasiabooks.org/publication/muslim-women-reform-and-princely-patronage-nawab-sultan-jahan-begam-bhopal#comment-12123,
letzter Abruf, 27.06.2013, 19.32 Uhr.

[3] Vgl. hierzu: Lambert-Hurley S.,  Fostering Sisterhood, Muslim Women and the
All-India Ladies‘ Association,
in Journal
of Women’s History,
Band 16, Nummer 2, Sommer 2014. S. 40-65. Auf S. 40
heißt es u.a.:
“…. Muslim
identity of central to these women’s conceptions of themselves, but it was not
monolithic, nor was it exclusive. Rather, it informed and was informed by a
range of other identities, including gender, in a dynamic process of
interaction”.

[4] Vgl. hierzu: Malik J., Perspectives of Mutual Encounters in South
Asian History: 1760-1860,
Brill, Leiden 2000, S. 22.

[5] Vgl. hierzu: Malik J., Perspectives of Mutual Encounters in South
Asian History: 1760-1860,
Brill, Leiden 2000, S. 66-67. Claudia Preckel
schreibt hier unter anderem: “With the support of the British
the four female rulers were able to consolidate their own power and to develop
enormous religious and cultural activities”.

[6] Lambert-Hurley S., Muslim Women, Reform and Princely Patronage.
Nawab Sultan Jahan Begam of Bhopal,
Routledge Verlag, London und New York
2006, S. 2.