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Eine Kita im Frauengefängnis

by Leonie March, freie Journalistin (Südafrika), gekürzter Auszug aus: Mosambik-Rundbrief, Juli 2015, Terre des hommes. Ein sehr positives Projekt, das den Frauen in den Gefängnissen weltweit sehr große Vorteile bringen könnte. 

Um kurz nach sechs macht sich Maria* auf den Weg zu ihrer kleinen
Ackerparzelle. Ihren einjährigen Sohn hat sie in einem bunten Tuch auf
den Rücken gebunden. Breitbeinig vornübergebeugt beginnt die 26-Jährige
zwischen Möhren, Spinat, Zwiebeln und Bohnen Unkraut zu jäten.
Frauenalltag in Mosambik, könnte man auf den ersten Blick denken – wären
da nicht die hohen Mauern, der Stacheldraht, die Wachtürme und die
bewaffneten Aufseher. Maria ist wegen Drogenschmuggels im
Frauengefängnis Ndlavela inhaftiert. Frauen, die wie sie hier eine
langjährige Haftstrafe absitzen müssen, bekommen ein kleines Feld
zugewiesen, auf dem sie Gemüse anbauen dürfen.
Alle Kinder haben ein Recht darauf, zu spielen und zu lernen
Alle Kinder haben ein Recht darauf, zu spielen und zu lernen

Maria wurde zu zwölf Jahren verurteilt, nachdem sie am
Flughafen von Maputo festgenommen worden war. Damals befanden sich in
ihrem Bauch nicht nur dutzende Kokainkugeln, sondern auch ein Embryo.
Das stellten die Ärzte im Krankenhaus fest, als sie die Drogen aus ihrem
Körper holten. Es sei ein Schock gewesen, erinnert sich die junge
Mutter. »Hätte ich von der Schwangerschaft gewusst, wäre ich nie ein
solches Risiko eingegangen und hätte mich und mein Baby nicht in
Lebensgefahr gebracht.« Ihr Freund habe sie zu der Straftat gedrängt.
Seitdem hat sie nie wieder von dem Vater ihres Sohnes gehört. Damals
habe sie nicht gewusst, wie es weitergehen solle. Doch als sie erfuhr,
dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein ist und Mütter wie sie im
Gefängnis besondere Unterstützung bekommen, schöpfte sie wieder Kraft
und Hoffnung. »Sogar einen Kindergarten gibt es hier!« 


Recht auf Spielen

Vor ein paar Jahren war dieser Kindergarten nicht mehr als ein
kahler Raum, in dem die Kinder zwar beaufsichtigt aber nicht
beschäftigt wurden. Das Kalkül von Gefängnisdirektorin Judith Florencio
war eher pragmatischer Natur: »Die Mütter sollen arbeiten können, ohne
von ihren Kindern abgelenkt zu werden.« In Ndlavela müssen die
Gefangenen selbst putzen und kochen; sie halten den Hof und die Zellen
sauber, bereiten Mahlzeiten zu und bauen dafür auch das Gemüse an.
Kinder wären dabei nur fehl am Platz. Diese Situation war der
mosambikanischen Nichtregierungsorganisation »Wona Sanana«, die sich
insbesondere für die frühkindliche Förderung engagiert, ein Dorn im
Auge. »Auch in dieser kinderfeindlichen Umgebung haben diese Kinder wie
alle anderen ein Recht darauf, zu spielen und zu lernen«, betont
Direktor Flávio Liberato Fernandes.

Frühkindliche Förderung ist in Mosambik noch Mangelware
Frühkündliche Förderung ist in Mosambik noch Mangelware

Mit Unterstützung von terre des hommes hat Wona Sanana ein
entsprechendes Projekt auf die Beine gestellt. Ziel war es, die Kinder
zu stärken und zu fördern. Dazu musste nicht nur der Raum
kinderfreundlich gestaltet, Spielsachen sowie Lernmaterialien
angeschafft werden, sondern vor allem auch die Betreuerinnen besser
ausgebildet werden. Vor Beginn des Projekts hätten sie nur aus ihrem
eigenen Erfahrungsschatz als Mütter geschöpft, erzählt Fernandes. »Bei
unseren Workshops lernten sie, wie Kinder in ihrer kognitiven,
körperlichen und Sprach-Entwicklung gefördert werden können.« Der Tag in
der Kita ist strukturierter und abwechslungsreicher; gemeinsame
Mahlzeiten und Gymnastik stehen ebenso auf dem Stundenplan wie Singen
und Lernspiele.

Frühkindliche Förderung

»Frühkindliche Förderung wie diese ist in Mosambik insgesamt
noch Mangelware«, betont Fernandes. Nur etwa fünf Prozent der Kinder
zwischen drei und fünf Jahren profitierten von entsprechenden Angeboten.
Die Regierung sei zwar bemüht diese Lücke zu füllen, bislang
konzentrierten sich die staatlichen Leistungen aber auf Schulen.
Kleinkinder würden traditionell von ihren Müttern, Verwandten oder
Nachbarinnen betreut, die keine entsprechende Ausbildung hätten. Es sei
also kein Wunder, dass sich die Nachricht von der Kita bald auch
jenseits der Gefängnismauern herumgesprochen habe, fügt er lächelnd
hinzu.

Als Maria ihren Sohn in die Kita bringt, öffnet sich hinter
dem Zaun das große Metalltor. Der Wärter lässt eine Gruppe Kinder
hinein, die das Gefängnisgelände überqueren, als sei dieser Weg zum
Kindergarten das Normalste der Welt. Mit ihren kleinen Rucksäcken auf
dem Rücken gehen sie zielstrebig zu dem Gebäude und begrüßen ihre
kleinen Freundinnen und Freunde. Ideal wäre natürlich eine Kita
außerhalb der Gefängnismauern, beton Dalila Dáia, terre des
hommes-Projektkoordinatorin für Mosambik. Aber das sei logistisch zu
kompliziert gewesen. »Die Mütter können das Gelände ja schlecht
verlassen, um ihre Kinder zur Kita zu bringen.«
Kindgerechte Umgebung in der Gefängnis-Kita
Kindgerechte Umgebung in der Gefängnis-Kita
Mütter schöpfen Hoffnung

Für Maria ist es von unschätzbarem Wert, dass ihr Sohn
wenigstens in der Kita eine kindgerechte Umgebung vorfindet. Was das
bedeutet, lernte sie gemeinsam mit anderen Frauen in einem Workshop von
»Wona Sanana«. Gesunde Ernährung und Körperhygiene standen ebenso auf
dem Programm wie einfache Methoden zur frühkindlichen Förderung. »Wir
basteln jetzt Spielzeug für unsere Kinder, gehen bewusster mit ihnen um
als früher und können jetzt auch eher erkennen, wenn es ihnen nicht gut
geht.« Das Verhältnis der Mütter zu ihren Kindern habe sich grundlegend
verändert, sagt Maria mit einem strahlenden Lächeln.

Ehemals unter- oder mangelernährte Kinder seien gesünder als
zuvor, bilanziert Dalila Dáia die Erfolge des Projekts. Sie wären mehr
an der frischen Luft und entwickelten sich durch die Förderung
altersgerechter. Aber nicht nur die Kinder profitieren: »Unter den
Müttern hat die Solidarität zugenommen.« Sie seien nicht mehr länger
Einzelkämpferinnen, sondern würden auch mal gegenseitig auf ihre Kinder
aufpassen. Zuvor sei das undenkbar gewesen, bestätigt Maria. Aber durch
das Training weiß sie, dass ihr Sohn auch bei anderen Müttern gut
aufgehoben ist. Das sei jedoch nicht alles: »Ich habe endlich wieder
eine Zukunftsperspektive.« Maria träumt davon, selbst eine Kita zu
gründen, sobald sie nach der Hälfte ihrer langen Haftstrafe auf
Bewährung raus kommt. So wären die langen Jahre im Gefängnis wenigstens
nicht vollkommen verloren gewesen.
*Der Name wurde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.