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“Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen”
Harald Neuber, amerika21, im Gespräch

Guten Abend aus der Redaktion von ProMosaik e.V., ich möchte Herrn Harald Neuber herzlichst für seine Zeit danken.

Er schreibt für amerika21, das Nachrichtenportal für Lateinamerika. Für ProMosaik e.V. ist es sehr wichtig, Nachrichten nach den ethischen Prinzipien des Muts und der Wahrheit zu verbreiten.
Und dies ist nicht nur für Palästina und die muslimischen Länder wichtig, die wir schwerpunktmäßig bringen, sondern auch für Lateinamerika und den Rest der Welt.
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Journalismus bedeutet für mich der Mut, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und sie dann auch den Anderen mitzuteilen.
Und die Wahrheit über den großen Chavez ist nur ein Beispiel… sehen Sie anbei seine Rede für Palästina, die wir letztes Jahr brachten:
Ich finde, dass Anti-Imperialismus und gesunde Kapitalismuskritik die Aspekte sind, die wohl alle engagierten Journalisten in unserem Mosaik zusammenhalten.
Freue mich auf Ihre Kommentare zu den Antworten von Herrn Neuber auf unsere Fragen.
dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist heute in Europa eine deutschsprachige, professionelle
Berichterstattung über Lateinamerika?
Harald Neuber: Lateinamerika hat in der
deutschen Presselandschaft in den vergangenen Jahrzehnten ja verschiedene
Phasen durchlaufen. Seit den 1950er Jahren waren lateinamerikanische Staaten
vor allem Handelspartner, später gab es die großen politischen Konflikte und
die blutige Zeit der Diktaturen. Damit nahm auch das Interesse zu, weil es eine
Solidaritätsbewegung mit den Widerstandsbewegungen gab und weil westdeutsche
Unternehmen und die damalige BRD an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren.
Nachdem das Thema Lateinamerika später weitgehend aus den Medien verschwunden
ist, bekam es am Ende der 1990er Jahre mit dem Aufstieg linker
Reformregierungen wieder mehr mediale Aufmerksamkeit. Aber wie? Besonders im
Fall von Venezuela lässt sich nachweisen, wie Vieles einfach nicht oder sogar
falsch berichtet wurde. Der Ursprung des Chavismus …
… benannt nach dem 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez.
Ja, diese Bewegung
konnten Konsumenten deutscher Medien lange gar nicht verstehen. Da hieß es
lediglich, Chávez sei ein ehemaliger Militär, dass er „umstritten“ sei und die
Kritik an ihm zunehme. Was es mit der Bewegung auf sich hatte, die ihn
hervorbrachte und dass die Regierung Chávez von einer breiten
Bevölkerungsmehrheit getragen wurde, das wurde völlig ausgeblendet. Andere
Dinge wurden schlicht falsch dargestellt. Das nahm irgendwann richtig skurrile
Züge an: Während Chávez in Venezuela ein Dutzend Wahlen gewann, war hier – vor
allem in Medien des Springer-Verlags – vom „Diktator“ die Rede.
Vor diesem Hintergrund
hat sich damals amerika21 gegründet. Es ging darum, Hintergründe über das
Geschehen aus Lateinamerika auf Deutsch und in möglichst professioneller Form
zu bieten. Uns ging es darum, zu berichten, welche Debatten in Lateinamerika
selbst laufen, wie dort diskutiert wird.
Um welche Hauptthemen dreht sich Ihre Arbeit?
Harald Neuber: Venezuela stand zunächst
im Zentrum. Dann kamen mit neuen Autorinnen und Autoren auch neue Themen dazu.
Kuba, Bolivien, Ecuador. Auf der einen Seite schauen wir auf die progressiven
Regierungen, die, etwa im Fall von Ecuador oder Argentinien, durchaus auch
Lösungskonzepte für die Eurokrise bieten. Auf der anderen Seite sind uns
Basisbewegungen wichtig, die für Menschenrechte kämpfen und dabei in Staaten
wie Mexiko und Kolumbien – übrigens zwei enge Handelspartner Deutschlands –
täglich ihr Leben riskieren.
Wie wichtig ist heute die Kritik am Neoliberalismus und am
US-Neoimperialismus für die Entwicklung Lateinamerikas?
Harald Neuber: Beide kritischen Diskurse
waren für die Integrationsbewegung der vergangenen Jahre sehr wichtig. Wobei
die Auseinandersetzung mit dem US-Imperialismus in Lateinamerika und der
Karibik schon eine viel längere Geschichte hat. Der Neoliberalismus war nach
Lateinamerika sozusagen auf den Spitzen der Bajonette der Pinochet-Soldaten
importiert worden. Nach dem blutigen Putsch gegen die demokratisch gewählte
Regierung von Präsident Salvador Allende am 11. September 1973 wurde die neoliberale
Misswirtschaft in Chile brutal durchgesetzt. Es folgten andere Staaten, immer
begleitet von einer autoritären bis diktatorischen Politik gegenüber der
Arbeiterschaft. Die neuen progressiven Regierungen sind die Gegenbewegung: Sie
gingen ausnahmslos aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem
Neoliberalismus hervor.
Wie würden Sie unseren Leserinnen und Lesern die Bedeutung einer gesunden
Kapitalismuskritik erklären?
Harald Neuber: Ich denke, dass wir vor
allem in Deutschland – einem Gewinner der Eurokrise – über den Tellerrand
hinausschauen müssen. Deutschland hat in den vergangenen Jahren an der
Verelendung in Südeuropa verdient. Zugleich exportieren deutsche
Waffenschmieden so viele Rüstungsgüter wie nie zuvor in alle Welt. In
Lateinamerika sind deutsche Unternehmen an der rücksichtslosen Ausbeutung von
Bodenschätzen beteiligt, während ein Transfer von Technik und Know-how
verhindert wird. Diese Mechanismen aufzuzeigen, ist auch die Aufgabe eines
alternativen Journalismus, der also nicht hiesigen Staatsinteressen dient,
sondern Missstände hinterfragt und Zusammenhänge erklärt. Gerade in
Lateinamerika zeigt sich, dass
die bestehenden sozialen
Probleme mehrheitlich auf die Art zu wirtschaften zurückgehen und darauf, dass
das kapitalistische Wirtschaftssystem die Lebensgrundlagen vieler Menchen
zerstört.
Was hat Ihr Portal schon erreicht und was wünschen Sie sich für die
Zukunft?
Harald Neuber: Amerika21 ist in den
vergangenen Jahren stärker gewachsen, als wir es uns vorgestellt hätten. Ich
muss dazu sagen, dass das Portal als locker bestückter Blog von zwei Kollegen
und mir begonnen hat. Heute schreiben mehrere Dutzend Journalistinnen und
Journalisten für amerika21. Viele befinden sich in Lateinamerika, was uns sehr
wichtig ist. Es gibt ein Redaktionsteam, das die Arbeit koordiniert und ein
Lektorenteam. Mehrere Kunden in Politik, Diplomatie und im NGO-Spektrum haben
das Nachrichtenangebot von amerika21 abonniert, Dutzende Spender unterstützen
uns. Aber die Arbeit ist weitgehend ehrenamtlich. Wir können es allerdings
inzwischen leisten, zumindest eine kleine Aufwandsentschädigung für die
ständigen Mitarbeiter zu bezahlen, die ja ständig neue Autoren ausbilden.
Deswegen brauchen wir weiterhin neue Abokunden und Unterstützer.
Wie wichtig sind heute die sozialen Medien für Presseportale und politisch
aktive Vereine?
Harald Neuber: Wer die Menschen erreichen will, kommt ohne die
sozialen Netzwerke nicht mehr aus. Diese Erkenntnis hat sich bei uns im Team
von amerika21 schnell eingestellt. Im Hintergrund arbeitet deswegen ein Team,
um täglich die Inhalte über die größten sozialen Netzwerke zu verbreiten. Unter
Ziel ist schließlich nicht, für eine kleine, begrenzte Community zu schreiben.
Wir wollen authentische Informationen aus Lateinamerika weit verbreiten, um auf
den politisch-medialen Diskurs zu Lateinamerika Einfluss zu nehmen. Das gelingt
immer öfter, eben gerade auch durch eine konsequente Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit.