General

Gideon Levy zum Irandeal – übersetzt von Ellen Rohlfs

Guten Abend aus der Redaktion von ProMosaik e.V.,
es freut uns sehr, Ihnen die Übersetzung des Artikels des israelischen Journalisten Gideon Levy vorzustellen, indem es um den Irandeal und die falsche Reaktion Israels darauf geht. Dieses Thema hatten wir bereits in einem Interview mit Prof. Yakov Rabkin und in einem vorherigen Artikel des Professors aus Kanada aufgegriffen.
Die Links zu unseren alten Beiträgen finden Sie hier:
Die Position von Gideon Levy ist wie immer sehr Israel-kritisch und zeigt einfach auf, wie die Schlussfolgerung von Prof. Rabkin die richtige ist:
Den Iran zu isolieren hätte fatale Folgen. Und die Opfermentalität Israels ist hinsichtlich der gesamten Angelegenheit vollkommen paranoid, dieser Ansicht sind wir auch.
Wir danken Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit und wünschen Ihnen einen friedlichen Abend.
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.

Israel verwandelt den Freudentag des Iran-Abkommens in einen Trauertag


Gideon Levy جدعون ليفي גדעון לוי


Übersetzt von 
Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس



Das
israelische Volk ist durch eine so bedrohliche Propaganda
gehirngewaschen, dass jede Vereinbarung, die durch diplomatische
Bemühungen getroffen wird, als illegitim angesehen wird.



Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu äußert seine Sorgen
über die atomaren Ambitionen des Iran während seiner Ansprache an die VN-Generalversammlung vom 27. September 2012.Zeichnung von Carlos Latuff

Ein intelligentes, nicht gehirngewaschenes und verängstigtes Israel
würde sich diese Woche freuen. Der Tag, an dem das Abkommen mit dem Iran
geschlossen wurde, sollte ein Freudentag sein, an dem der Verhinderung
des nächsten Krieges, des schlimmsten von allen, zugejubelt werden
sollte. Wenn ein Land von sich behauptet, seine Existenz sei auf dem
Spiel, worüber sollte es sich dann mehr freuen, als über die Möglichkeit
der Verhinderung eines Krieges?
Aber es stellt sich heraus, dass in Israel allein die Chance, einen
Krieg zu verhindern, eine Katastrophe, ja ein weiterer Holocaust, ist.
Eine Apokalypse wurde verhindert bzw. mindestens um ein Jahrzehnt
verzögert. Und was macht Israel? Es erklärt den Notstand. Hilfe, es gibt
keinen Angriff auf den Iran! Unsre klugen Pläne sind dazu verdammt, im
Papierkorb zu landen.
Israel will nur Flugzeuge sehen, die in der Dämmerung abheben und
massiv bombardieren, wie es seit Jahren der Fall ist. Benjamin Netanjahu
und seine Medien lechzen geradezu danach. Am besten wenn es
US-amerikanische Bomber sind, aber die israelischen tun es auch.
Was für ein berauschendes Bombardieren wäre das gewesen! Was für
einen Empfang würden wir unsern Jungs bei ihrer Rückkehr von der
gewagten Operation über Bushehr gegeben haben! Und was für ein Desaster
hätte sich ereignen können! Aber die Verhinderung all dessen ist für
Israel eine Katastrophe.
Die Kollborateure Isaak Herzog und Yair Lapid wurden schon
mobilisiert. Die israelische Antwort auf das Nuklear-Abkommen mit dem
Iran enthüllt, wie die israelische Seele in ihrem Inneren arbeitet.
Israel hat sich in diesen Jahren so was von verdorben, und die von einer
solch einschüchternden Propaganda gehirngewaschenen Menschen halten
jegliche Vereinbarung, die durch gewaltfreie, diplomatische Bemühungen
erzielt wird, für illegitim.
Wir sind im Denken so gut trainiert worden, dass Alles mit Gewalt,
und zwar nur mit Gewalt getan werden muss, dass wir vergessen haben,
dass es noch andere Wege gibt, um etwas zu erreichen. Aber diese Wege
gibt es im israelischen Wortschatz nicht mehr.
Dies geschieht, wenn ein Land mit dem Schwert lebt und davon
überzeugt ist, es gäbe keine anderen Handlungsmöglichkeiten. Und gerade
dies ist der Fall, wenn auf jegliche, ob nun konkrete oder imaginäre
Gefahr, mit Gewalt reagiert wird.
Ein Brigadekommandeur, der einen Steinwerfer tot schießt und ein
Israel mit Angriffsplänen gegen den Iran sprechen ein und dieselbe
Sprache. Wenn diese Sprache die einzige ist, die hier gesprochen wird,
und Israel sich weigert, anderen Sprachen zuzuhören – geschweige denn
versucht, diese zu lernen – dann hat Israel ein Problem. Vielleicht
liegt gerade darin die Bedrohung seiner Existenz, denn kein Land hat in
der Geschichte allein durch das Schwert lange überlebt.
Israel zittert aber nicht wegen der Details des Irandeals, die kaum
jemand gelesen hat. Es handelt wohl eher so, weil überhaupt ein Deal
erreicht wurde. Jegliches Abkommen, sogar wenn es eine iranische
Kapitulation festgelegt hätte, hätte dieselbe Antwort bewirkt.
Bombenangriffe von 10-15 Jahren hätten nicht dasselbe Ziel erreicht
wie dieser Deal. Es ist nämlich viel besser, Iran zurück in die Familie
der Nationen zu holen, als das Land an die Wand zu drücken und zu
isolieren.
Diese Meinungen werden in Israel als Wahn angesehen. Schließlich
ist hier jeder ein Experte, der weiß, dass der Iran – übrigens anders
als Israel – sich über internationale Resolutionen hinwegsetzt und sich
nicht an Abkommen hält.
Unsere Spielregel lautet nämlich: „Halte jeden für schuldig, bis
seine Unschuld bewiesen wird“. Wenn wir nichts anderes haben als endlose
Verdächtigungen – die ganze Welt beschäftigt sich nur mit der Planung
unserer Zerstörung und hat nichts anderes zu erledigen  – dann haben wir
mit einem Verfolgungswahn in einem fortgeschrittenen und alarmierenden
Stadium zu tun. Frage jeden israelischen Rucksacktouristen, der aus dem
anderen Ende der Welt zurückkommt. Wetten wir, dass er Antisemitismus
erlebt hat.

Die Lage ist besonders ernst, wenn die Antwort zu einem Chor wird, der
keinen anderen Stimmen Raum gibt. Ob es gegen den Iran oder gegen Gaza
geht. Es ist ein endloses Lied: Lasst uns Bomben auf sie werfen!