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Die weiblichen Herrscherinnen in der muslimischen Geschichte nach Bahriye Üçok


Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.


Wie sich aus der muslimischen
Geschichte entnehmen lässt, wurden der Frau ihre sozio-politischen Rechte, die
sie zu Beginn des Islam genoss, immer mehr aberkannt. Die muslimische Frau
wurde Schritt für Schritt in den Hintergrund gerückt und erfuhr die sogenannte
„horizontalte Segregation“. 
Erstaunlich ist aber, dass es
ihr im Laufe der muslimischen Geschichte immer wieder gelang, sich als
Herrscherin auf der Bühne der Macht durchzusetzen. Gerade solche Beispiele
herrschender, türkischstämmiger Frauen präsentiert die türkische Historikerin,
Feministin und Islamgelehrte Bahriye Üçok (1919-1990) in ihrem Werk
„Islam
Devletlerinde Türk Naibeler ve Kadın Hükümdarlar“ (Türkische Regentinnen und Herrscherinnen in den islamischen Ländern).


Ich habe bereits die Ideologie
der Autorin und die Videomaterialien über ihren tragischen Tod durch eine
Paketbombe präsentiert:


In diesem Artikel möchte ich
nun erörtern, warum die politische Macht der Frau im Islam möglich ist und wie
dialektisch sie sich in der Realität gestaltet. Ein Thema, das hier
enttabuisiert und aufgegriffen werden sollte, ist meiner Meinung nach das des
sogenannten „Verlierertums“, wie es Marian Nebelin (vgl. „Umrisse einer
allgemeinen Theorie des Verlierertums“, in: Verlierer
der Geschichte. Von der Antike bis zur Moderne
, hrsg. v. Sabine Graul u.
Marian Nebelin, Berlin 2008, S. 63–100) nennt. Dieses Verlierertum zieht sich
nämlich wie ein roter Faden durch die Schicksale fast aller muslimischer
Herrscherinnen, die die Autorin präsentiert und die fast alle ihrer Macht
beraubt und gewaltsam getötet wurden. All diese Niederlagen hängen aber wohl
eher mit dem Weltbild vom Fürst von
Machiavelli als mit der islamischen Weltanschauung zusammen, in der die wahren,
muslimischen Regierenden als gerecht und tugendhaft beschrieben werden.

Die Geschichte der muslimischen
Herrscherinnen ist daher für mich die Geschichte der Realpolitik, von der aus
ich eine Brücke zur islamischen Utopie der Herrschaft bauen möchte, in der auch
die Frau politisch involviert ist.  
All diejenigen, die sich auf den Ausschluss der
Frau aus der islamischen Politik beriefen, zitierten, um ihren Standpunkt in
Stein zu meißeln, die folgende Überlieferung des Propheten, die er bei der
Thronbesteigung in Persien der Tochter von Chosrau II. ausgesprochen hatte und
die sich auch auf diese historische Begebenheit bezog, ohne allgemein zu gelten:
„Ein Volk, das die Staatsgeschäfte einer Frau
anvertraut, wird niemals gedeihen“. 
Was nicht direkt und
zweifelsfrei in Koran und Sunna geregelt ist, bedarf einer Auslegung von Seiten
der Islamgelehrten im Rahmen ihrer sozialen und politischen Umgebung und auf
der Grundlage ihrer Kenntnisse und ihres Wissenstandes. Diese müssen
analogische Schlüsse (qiyas) ziehen
und sich dialektisch mit anderen Gelehrten über gewisse Themen
auseinandersetzen. Die islamische Gesetzgebung ist ein dynamischer Korpus, in
dem konstant neue Interpretationswege notwendig sind, um neue Themen in der
Politik zu besprechen und konstruktiv zu debattieren. Somit darf der Ausschluss
der Frau aus der islamischen Politik auf keinen Fall auf der Grundlage der
islamischen Quellen dekretiert werden. 
Der Prophet überließ die Wahl
des Nachfolgers der muslimischen Gemeinde und eröffnete somit den Weg zu einer
wahren islamischen Demokratie auf der Grundlage des Prinzips der Beratung, der
so genannten Schura, wie wir sie auch
bei der Königin von Saba, die nicht zufällig eine weibliche Herrscherin ist,
finden. Im Koran werden kulturelle Unterschiede, Interpretation und rationales
Denken sehr hoch gehalten. Daher gilt es auch in der Politik, sich zu beraten
und die jeweiligen sozio-kulturellen und geschichtlichen Umstände zu
berücksichtigen, um den besten Führer bzw. die beste Führerin für die Muslime
zu finden. Dass eine Frau die Gemeinde nicht führen darf, wurde vom Propheten nie
verordnet. Dass aber das Perserreich mit der Führung der Tochter von Chosrau
II. nicht gedeihen würde, hat der Prophet (sas) vorausgesagt, ohne es auf alle
Frauen zu beziehen, die möglicherweise im Islam herrschen, regieren oder
politisch tätig sein werden.
Mit ‘Uthman und
Muawiya beginnt meiner Ansicht nach durch die Einführung des dynastischen
Prinzips eine erste schwere Abweichung vom islamischen Ideal der politischen
Führung. Und diese dynastische Tradition findet sich auch in den weiblichen
Herrscherinnen der muslimischen Geschichte wieder, obwohl sie oft auch
Beispiele von Tugend, politischer Kompetenz und Wissen sind.
Für mich findet sich
die Kernaussage des Propheten (sas) zu den Eigenschaften des muslimischen
Herrschers in der folgenden Überlieferung von Muslim:
„Ein Führer, dem die
Angelegenheiten der Muslime übergeben wurden und der sich aber nicht (um ihren
materiellen und moralischen Fortschritt) bemüht und nicht aufrichtig (um deren
Wohlergehen) Sorge trägt, der wird nicht zusammen mit ihnen das Paradies
betreten.“
Aus dieser
Überlieferung des Propheten geht klar hervor, wie weit fast alle muslimischen
Herrscher vom Islam entfernt waren und wie sich die Realpolitik von der
moralischen Kernaussage des Propheten entfernte. Der politische Führer bzw. der
Herrscher hat im Islam nämlich die Aufgabe, das Volk vor der Unterdrückung zu
schützen und die Gerechtigkeit und den Frieden zu fördern. 
Diese negative Dialektik der
Rache und des Krieges im Gegensatz zu Gerechtigkeit und Frieden findet sich in
den Herrschern beider Geschlechter wieder. In den nächsten Artikeln werde ich die
Schicksale, Intrigen und Biographien dieser Herrscherinnen vorstellen. Vorab
möchte ich aber noch auf die islamischen Eigenschaften eines/r Regierenden
eingehen, die jenseits des Geschlechts für alle Musliminnen und Muslime damals
wie heute gelten.