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Der Zeugenbericht der Tochter Kumru Üçok über das Attentat gegen Bahriye Üçok

von Dr. phil. Milena Rampoldi? ProMosaik e.V. 
Nun möchte ich anhand der
direkten Quelle des Zeugenberichtes ihrer Tochter Kumru, die bis heute im Haus
der Mutter in Ankara lebt, im türkischen Fernsehen[1] mit dem Titel „Wir
gedenken
Bahriye Üçok mit Respekt und Liebe“[2]
über den tragischen Tod der Autorin sprechen, der hätte vermieden können, hätte
man sich im offenen Dialog mit den Streitthemen auseinandergesetzt. Mein
Ehemann hat Frau Kumru genau im Haus des Attentats besucht und mit ihr über das
tragische Ereignis gesprochen. 

Zu
Beginn der Ermittlungen wird die Ermordung der Autorin in die islamistische
Mordserie gegen Journalisten und Intellektuelle bzw. Islamkritiker eingeordnet:
„Die Türkei wurde nach Muammer
Aksoy, Çetin
Emeç und Turan
Dursun durch die Verübung der
Mordattentate u.a.
an die Professorin Bahriye
Üçok, SHP Parteiratsmitglied, ehemalige Abgeordnete und Theologin, erschüttert.
Kumru Üçok war bei der Ermordung ihrer
Mutter
Bahriye Üçok durch die Paketbombe vor Ort dabei“. Bevor ich auf den Film übergehe, möchte ich noch
kurz einige Anmerkungen zu den anderen Mordopfern machen. 

Muammer Aksoy war ein türkischer Rechtswissenschaftler und Kolumnist, der
auch politisch tätig war. Er lehrte nach seiner Rückkehr in die Türkei aus
Zürich, wo er studiert hatte, Recht an der Universität Ankara. Seine politische
Laufbahn ist der unserer Autorin sehr ähnlich. Er war auch bei der CHP und nach
dem Putsch regimefreundlich eingestellt. Er wurde am 31. Januar 1990 ermordet.
Wiederum handelt es sich wie bei unserer Autorin um sogenannte unbekannte
Mörder. Seine politische Einstellung ist auch dem Laizismus sehr nahe wie die
der Autorin.[3]

 
Statue in Ankara im Gedächtnis der Islamwissenschaftlerin
und Historikerin Bahriye Üçok

Çetin Emeç stammt aus einer Familie mit Journalistentradition und durchlebte
eine großartige Karriere an verschiedenen Istanbuler Zeitungen[4].  Nach seinem Tod verfasste Sadun Tanju ein Buch
mit dem Titel „Çetin Emeç – Bir Basın Şehidinin Anatomisi“ (zu Deutsch: Çetin
Emeç – Die Anatomie eines Pressemärtyrers), das 1992 veröffentlicht wurde.
Außerdem hat der Verlag Doğan Kitap zum 15. Todestag von Çetin Emeç ein Buch
mit dem Titel „Çetin Emeç – Genel Yayın Yönetmeni 1935-1990“ (zu Deutsch: Çetin
Emeç – Chefredakteur 1935-1990) vorbereitet und veröffentlicht. Zusammen mit
dem Buch wurde auch die CD des Lieds „Reverie – Uzak Bir Rüya“ herausgegeben.
Das Lied wurde von Çetin Emeç’s Tochter, der Pianistin Mehveş Emeç (Birol), für
ihren Vater komponiert und vom Künstler Yavuz Bingöl gesungen. Sein Grab
befindet sich am Zincirlikuyu Friedhof. Ein Stadion in Istanbul/Bayrampaşa,
sowie Boulevards in Kadıköy/Suadiye, Antalya/Manavgat und Ankara/Çankaya und
verschiedene Straßen in Ümraniye/Dudullu, Tekirdağ/Çorlu, Aydın/Kuşadası und
Tunceli, des Weiteren ein Saal in der Großstadtgemeinde Izmir und außerdem ein
Ausstellungsgebäude wurden nach Çetin Emeç benannt. Zuletzt wurde Emeç, am 20.
März 2010, am 20. Todestag an seinem Grab auf dem Zincirlikuyu Friedhof
gedacht. Zu diesem Anlass sprach Enis Berberoğlu, Chefredakteur der Zeitung
Hürriyet:

„Aus welchem Motiv
heraus sie auch getötet werden; welchen dunklen Zwecken sie mit diesen Taten
auch dienen mögen; aber ich weiß Eines, dass nämlich die Arbeit von Çetin Emeç,
oder besser gesagt, die Arbeit eines Journalisten nicht aufhört. Auf jeden Fall
folgt ihm jemand, der die Fackel, die er zurücklässt, aufhebt und weiter trägt.“





Diese Details habe ich angeführt, um zum Ausdruck zu bringen, wie eine
einseitige Berichterstattung nicht zum Ziel führt. Es folgte nach keinem dieser
Morde ein wahrer Dialog zwischen den verschiedenen Weltanschauungen zwecks
Erklärung des Sachverhalts und der gemeinsamen Verkündigung des Prinzips, nach
dem religiös gerechtfertigte Gewalt zu keiner Lösung führt und auch
ultra-laizistische Provokationen gegen ein muslimisches Volk dieses demütigen
und somit zu einer Spirale verbaler Gewalt führen, die in Morde entartet, wenn
man nicht konstruktiv über die Pressefreiheit und ihre Grenzen spricht.

Noch klarer kommt dieses Grundproblem anhand des Umgangs mit dem brutalen
Mord gegen Dursun zum Ausdruck, den ich nun kurz beschreiben möchte.
Vorab einige
Informationen zur Biografie und Weltanschauung des Journalisten Turan Dursun,
dessen Ermordungsdatum (der 4. September 1990) dem der Autorin am nächsten
steht. Im Unterschied zu den anderen beiden ermordeten Journalisten, die aus
einer linken Familientradition stammten, tritt Dursun in der Türkei als der
Mann in Erscheinung, der aus einer religiösen Familie stammt, sogar Mufti und
Imam wird und dann den Weg zum offenen und „atheistischen“ Religionskritiker
einschlägt.
Er setzte sich
regelrecht gegen die Religion ein und schloss sich der Evolutionstheorie an,
indem er gleichzeitig den Islam sehr stark angriff. Bekannt ist sein Werk mit
dem Titel Din bu (zu Deutsch: Das ist die Religion). Vor allem die
Kritik an der Heirat des Propheten (sas) trifft gläubige Muslime sehr stark, da
die Frauen des Propheten in Dursuns Überlegungen als Sexualobjekte oder Mittel
zwecks Machterweiterung dargestellt werden, so ähnlich wie bei Salman Rushdie
in Die Satanischen Verse[5].



Da fragt man sich
dann, wer hier hinter den Frauen steht, der Islam mit seiner patriarchalischen
Ordnung, welche den Frauen ihre Würde lässt, oder eine solche Position, die
fast die einer westlichen, feministischen Haltung von Luce Irigaray nahesteht,
welche die Ehe als legalisierte Prostitution bezeichnet oder einigen Passagen
aus Salman Rushdie. Um zu beweisen, dass diese Gegenüberstellung ohne Dialog
immer noch präsent ist, in der Türkei sowie im islamfeindlichen Diskurs im
Westen, der Blasphemie als höchste Pressefreiheit verherrlicht[6],
und dass dies vor allem der muslimischen Frau schadet, sei anhand der folgenden
eurozentrischen Pressereaktion auf Dursuns Ermordung aufgezeigt[7]:



„Turan Dursun kam
1924 im mittelanatolischen Sivas/Sarikisla im Dorf von Gümüştepe als Kind
gläubiger armer Eltern (Vater Türke, Mutter Kurdin) zur Welt. Sein Vater wollte
aus ihm einen guten Islam-Gelehrten machen. Schließlich wurde Dursun zu einem
Mufti in Adana, dem Imame – Vorbeter – unterstanden. 14 Jahre lang arbeitete er
für das staatliche „Amt für Religiöse Angelegenheiten“. Später wurde er nach
Sinop, in den Kreis Türkeli, strafversetzt, weil er sich für die Verbesserung
der Lebensverhältnisse und Ausbildungsmöglichkeiten (Schulen, Kranken-häuser,
usw.) der einfachen Bevölkerung einsetzte, anstatt den Moscheebau
voranzutreiben. Er ging sogar mit seinen Imamen in Kinoveranstaltungen, bis
dann die Einstellung einer Frau als Gehilfin in seinem Büro das Fass endgültig
zum Überlaufen brachte. In Türkeli kam er erstmals mit der linken Ideologie in
Kontakt. Da er in seiner neuen Umgebung als „Kom-munist“ beschimpft wurde,
begann er sich mit der marxistischen Literatur zu beschäftigen. Dadurch
öffneten sich ihm neue Horizonte. Später fing er an, die Wurzeln des Islam zu
erforschen. Je mehr er diese Religion ergründete, desto mehr distanzierte er
sich von ihr. Schließlich ließ er seine Tätigkeit als Mufti ruhen und
entwickelte sich zum kämpferischen Aufklärer. „Ängstigen sollen sie sich vor
dem Licht in meiner Hand. Sie sollen spüren, wie sogar ein Kerzenlicht einen
riesigen dunklen Raum erhellen kann. Der Tag wird kommen, an dem die
tausendjährigen Lügen in den Köpfen zerspringen.“
Ihm war bewusst, dass es
nicht einfach war, die tausendjährigen Tabus zu brechen. Er wusste, dass dazu
ein entschlossener Kampf notwendig war. Mit seiner einzigen Waffe, dem
Bleistift ging er mutig gegen die Rückständigkeit im Lande vor. An vorderster
Front setzte er sich für die Befreiung des Individuums von der Religion ein.
Der prominente Islamkritiker publizierte in verschiedenen Zeitschriften und
Zeitungen hunderte von theoretisch-wissenschaftlichen Essays und
veröffentlichte zahlreiche Bücher zum Islam. Dursun beherrschte dabei wie kaum
ein anderer in der islamischen Welt den Koran und seine Exegesen.
Er nahm an zahllosen Konferenzen und Diskussionsveranstaltungen teil, um die
Menschen von den Fesseln der Religion zu befreien. Seine Gegner lud er zu
öffentlichen Veranstaltungen ein, um deren wahres Gesicht zu zeigen. Da die
Islamvertreter seine Behauptungen nicht widerlegen konnten, wurde er beschimpft
und mit dem Tode bedroht, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Am 4. September 1990 wurde er wenige Meter von seiner Wohnung entfernt in
Istanbul mit sieben Kugeln erschossen.“[8]

Die diametral
entgegengesetzte Version bezüglich seiner Ermordung ist die siegreiche
Mitteilung von Radio Teheran, die den Tod von Dursun als den Tod des
„türkischen Salman Rushdie“ meldete und anpries.  

Diese völlige
Gegenüberstellung zwischen der Hermeneutik des modernen und dialektischen
Islam, der den Islam als Befreiung für die Frau von der Djahiliya sieht (Beispiel: Zaynab al-Ghazali) und der
eurozentrischen Islamkritik wird immer wieder wie ein roter Faden durch die
zeitgenössische Islamdebatte ziehen.
Ich finde, dass
gerade die Einbeziehung der Frau in die islamische Politik dazu beitragen kann,
friedlichere Lösungen im Gespräch zu finden, die solche Morde einfach vorbeugen
können.

Denn wie Mahatma Gandhi
so schön sagte: „Auge um Auge macht die ganze Welt blind“. Von der Rache zum
Dialog, von der Blasphemie zu den ethischen Grenzen der Pressefreiheit. Das ist
der Paradigmenwechsel, den ich mir in der westlichen und islamischen Politik
der Zukunft wünsche. Dies kann nur geschehen, wenn die Frau in die islamische
Politik einbezogen wird.  

Nun möchte ich die
Dokumentarfilme zur Ermordung der Autorin vortragen, bevor ich dann auf das
Buch übergehe und geschichtlich aufzeige, wie sich Frauen auf der männlich
geprägten Szene der muslimischen Macht durchzusetzen versuchten.


ORADAYDIM – ICH WAR DORT
Ein
Dokumentarfilm von Soner
Yalçın

 

ORADAYDIM berichtet von
Zeugen und klärt Ereignisse, welche
die Tagesordnung erschütterten.

(Ali Kırca):
Nun möchte ich zu Frau Bahriye Üçok kommen. Frau Üçok, Sie waren als Islamhistorikerin
tätig.
Sie haben über einen Zeitraum vieler Jahre an der
Theologischen Fakultät als Dozentin gelehrt, und es ist bekannt, dass Sie gegen das Kopftuch sind. Aus welchem Grunde?[9]

(Bahriye Üçok): Bevor
der Bedeckungsvers geoffenbart wurde, lebten die arabischen Frauen sehr frei.
Um die Möglichkeit zu bieten, diese unbedeckten Frauen von den Sklavinnen zu
unterscheiden, da diese belästigt wurden, überbrachte der Prophet den gläubigen
Musliminnen die ihm herabgesandte Offenbarung bezüglich ihrer Bedeckung. Es
handelt sich hierbei um den 31. Vers der Sura
an-Nur
, in dem es heißt (ich lese einen Teil): „Sprich zu den gläubigen
Frauen, dass sie bis auf das,
was von ihrem Schmuck sichtbar sein darf, außer vor ihren Vätern, den Vätern
ihrer Gatten, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder, Söhnen ihrer Schwestern,
sogar vor Sklavinnen und Sklaven, oder solchen von ihren männlichen Dienern,
die keinen Geschlechtstrieb mehr haben, bedecken sollen.“
Also
handelt es sich hier um eine Hausbekleidung. Viele junge Studentinnen mit Kopftuch
sind der Auffassung, man solle sich auf die in diesem Vers beschriebene Art und
Weise bedecken. Doch wenn man den 59. und 60. Vers der Sura al-Ahzab betrachtet, wird dort erwähnt: „O Prophet, sag deinen
Frauen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen von ihrem
Überwurf über sich ziehen, wenn sie auf die Straße gehen.“ „Dadurch werden sie
erkannt und es wird verhindert, dass sie belästigt werden.“ In diesem
Zusammenhang sind zwei Aspekte hervorzuheben. Erstens geht es um den Schutz der
Keuschheit der Frauen nach dem Willen Gottes. Auf der anderen Seite heißt es
aber in den Versen 59 und 60 der Sura
al-Ahzab
: „Damit sie erkannt werden“. Wenn die Frauen nun ihre Keuschheit
schützen können und es in unserer Zeit keine Sklaverei mehr als Institution
gibt, dann wird das Gebot Gottes erfüllt. Wenn anderenfalls auf den Wortlaut
des Korans Wert gelegt wird und die Frauen die wörtliche Bedeutung desselben
befolgen wollen, dann dürfen sie nicht neben Männern sitzen, nicht mit Männern
beisammen sein, den Männern ihre Stimme nicht hören lassen und müssen auf jeden
Fall eine Gesichtsbedeckung tragen und auch einen Schleier tragen. Also, sie
müssen Tschador, Gesichtsschleier und sehr weite Kleider tragen[10].
Es ist ihnen untersagt, alleine von einem Ort zum anderen innerhalb der Stadt
zu gehen.
Die
Autorin schließt somit aus der Koraninterpretation zu Gunsten des Kopftuchs
meiner Meinung nach einen falschen Schluss, der das Kopftuch direkt mit der
Segregation der Frau in der Gesellschaft durch die Männer in Verbindung bringt.
Das Verbot sich fortzubewegen, vor allem innerhalb einer selben Stadt, ist auch
nirgendwo im Koran festgelegt. Dass es dann Muslime gibt, die diese Verbote
ihren Frauen auferlegen, hat mit Tradition und Folklore und nicht mit dem
grundlegenden, koranischen Islam zu tun.
[11]
(Ali Kırca): Gut, ich
danke Ihnen.
(Kumru Üçok): Im
Dezember 1988 fand eine Podiumsdiskussion bei TRT statt. Das Thema war
religiöser Natur und betraf das Kopftuch. Auch meine Mutter nahm an der
Diskussion teil. Während der Werbepause nach dem Abschluss des ersten Teils der
Podiumsdiskussion ging eine große Menge an Glückwunsch- und Bedrohungsanrufen
ein. Nach dem zweiten Teil der Podiumsdiskussion dauerten die Drohanrufe bis
Mitternacht an. Natürlich gingen sowohl Gratulations- als auch Drohanrufe ein.
So dauerte diese Art von Anrufen und Briefen vier bis fünf Monate an.
Anbei noch ein Zitat
der Autorin zum Thema des islamischen Kopftuchs, aus dem klar wird, wie sie
sich doch zu sehr von einem konservativen Kreis türkischer Gläubiger entfernt
und dies bewusst tut, um das neokemalistische Erbe als emanzipierend für die Frau
zu bestätigen.
(Bahriye Üçok): Hätte die Angelegenheit eine religiöse
Grundlage, so hätte ich das Kopftuch respektiert, da es sich um eine
Angelegenheit des Glaubens handelt. Aber es ist nicht als eine Angelegenheit
des Glaubens, sondern als Gegenstand einer Politik vorgebracht worden, welche
mit der Zielsetzung entstanden ist, die Grundsätze Atatürks zu beseitigen. Ich
bin fest davon überzeugt, dass die diesem Problem zugrunde liegende Tatsache
sich direkt gegen das Prinzip des Säkularismus in der Türkei und gegen das
Regime richtet[12].
Ich finde, dass sich
hier zusammenfassend die gesamte politische Einstellung der Autorin findet,
welche Islam und Atatürk, Gottesstaat und Säkularismus, Kopftuch und
Nicht-Kopftuch, als feste Gegensätze sieht und dabei die muslimischen Männer
und Frauen ihres Volkes vergisst, das für sie so zentral ist wie auch das
Konzept der türkischen Nation. Ich würde sagen, dass sich die Autorin hier dem
sogenannten Staatsfeminismus der Türkei unbewusst anschließt und die Befreiung
der Frau im Kemalismus findet, anstatt sie wie beispielsweise Abdelhalim Abu
Shaqqa in der Sira des Propheten und im frühen Islam zu suchen. Sie distanziert
sich so nach ihrer Dissertation vom historischen Thema, das sie so prägnant
recherchiert und aufgedeckt hat, nämlich das der politischen Stellung der Frau
in der muslimischen Geschichte. In diesem Aspekte sehe ich den größten
politologischen Widerspruch in ihrem Werk.
Wo wir dann diese
Befreiung der Frau suchen, ob nun im Modell des Westens oder des Islam, sei
hingestellt. Aber meiner Ansicht nach muss sich die Frau im Klaren sein, dass
sie sich über die Manipulation der feministischen Bewegungen durch die Männer
bewusst sein muss und sich diese eingestehen soll, da sie irgendwie
unumgänglich und unbewusst sogar von den Frauen ausgeübt wird.
(Kumru Üçok): Die Anrufe waren anonym. Es
wird ein Anruf getätigt, und der Anrufer sagt zum Beispiel: „Ich habe dir einen
Platz in der Hölle reserviert“ und Ähnliches. Manchmal habe ich die Telefonate
entgegengenommen, manchmal war es meine Mutter. Beschimpfungen wie: „Du wirst
deine Strafe bekommen. Du bist verdammt.“ Wir wurden auf alle möglichen und
erdenklichen Arten und Weisen beleidigt. Meine Mutter war daran gewöhnt. Viele
Jahre kamen solche Drohanrufe und -briefe. Ich will damit sagen, dass es nichts
Neues für sie war. Es gehörte zur Normalität unseres Lebens. Vor kurzem
verloren wir meinen Vater. Meine Mutter war vollkommen mit ihrer Trauer
beschäftigt. Sie befand sich in tiefster Trauer und war nicht in der Lage, sich
mit den Bedrohungen zu befassen. Mit der Zeit ließen die Drohungen nach, und
schließlich kamen keine mehr. Als das Leben wieder seinen normalen Lauf nahm,
wurde Muammer Aksoy ermordet. Als Muammer Aksoy ermordet wurde, hatte ich
Angst. Ich meine, als hätte ich an jenem Tag geahnt, was auf uns zukommen
würde. Meine Mutter hatte keine große Angst und hatte auch nicht darüber
nachgedacht, dass es auch sie mal treffen könnte. Sie teilte mir nicht mit,
dass vom Staatssekretariat des türkischen Geheimdienstes MIT eine Warnung gekommen
war. In anderen Worten wusste ich nichts davon. Im Sommer 1990, zwischen Mai
und Juni, berichtete ein Journalist meiner Mutter, dass er ihren Namen über
Funk gehört hatte. Sobald sie diese Nachricht bekam, rief meine Mutter beim
Polizeipräsidium an. Ich weiß nicht, wen sie beim Polizeipräsidium erreichte,
aber dieses stellte sofort Personenschutz. Zwei Tage begleitete sie der
Personenschutz, aber meine Mutter meinte: „Ach, dieser junge Mann wartet den
ganzen Tag. Es ist unklar, wann ich komme oder gehe. Manchmal gehe ich ein bis
zwei Tage überhaupt nicht aus dem Haus. Auch die Uhrzeiten sind
unterschiedlich. Ich meine, ich wollte den Personenschutz nicht, aber ein
Wachposten direkt vor dem Haus wäre für uns besser geeignet“. Daraufhin stellten
die Behörden Wachposten für das Haus. Somit kamen die Wachposten zum Einsatz.
Drei Polizisten teilten sich im 24-Stundentakt die Schicht. Es ist
unvorstellbar, dass sie mir nichts sagte, wenn vom türkischen Geheimdienst MIT
oder von einer anderen Sicherheitsbehörde eine Information über die Paketbombe
gekommen wäre. Es handelt sich also um eine Angelegenheit, die nicht in
Betracht gezogen werden kann. Ich bin die erste Person, die sie darüber
informieren würde. Weil sie außer mir niemanden in ihrem Leben hatte. Für sie
bin ich der wertvollste Mensch in ihrem Leben. Vermutlich hätte sie zuallererst
daran gedacht, mich zu warnen und mir gesagt: „Oh, sei vorsichtig. Wenn so
etwas passiert“. Zu Hause gab es nur uns beide. Entweder werde ich öffnen, oder
sie. Dies bedeutet, dass ich sofort davon erfahren hätte, wenn eine solche
Warnung kommen würde. Wir verbrachten alle Abende zusammen. Tagsüber
telefonierten wir miteinander. Es ist unvorstellbar, dass sie mir nicht sagen
würde: „Ich habe mich heute mit dem MIT[13]-Staatssekretär
unterhalten.“ Wir kamen am 5. Oktober abends von Draußen nach Hause. Vor der
Tür fand sich eine Benachrichtigung von 
Ekspress Kargo, auf der stand: „Wir möchten Sie bitten, Ihr Paket abzuholen“.
Vielleicht wurde es vorher schon einmal zugestellt und es war niemand da, oder
es könnte auch das dritte Mal sein. So gehen die Mitarbeiter der Firma nun
davon aus, dass man das Paket selber holen soll. Sie war sehr beunruhigt und
fragte: „Was ist das? Wer hat das geschickt? Was haben sie geschickt?“ Ich entgegnete:
„Mach dir keine Sorgen, morgen werde ich es holen“. Die darauf vermerkte
Adresse lautete „Kuzgun Sokak“. „Ich werde morgen Nachmittag hingehen und es
abholen“, sagte ich. „Wer hat das geschickt? Was wurde geschickt?“ sagte sie
und daraufhin scherzte ich: „Vielleicht ist es ja eine Bombe“. Dann kam der
Samstagmorgen vom 6. Oktober. Es war um die Mittagszeit. Meine Mutter wurde zu
einer Versammlung oder Podiumsveranstaltung oder Ähnliches beim Türkische
Institut für Recht eingeladen. Sie sollte um fünf Uhr das Haus verlassen. Der
Heizkessel funktionierte nicht mehr. Ich rief wegen des Heizkessels den
Gas-Wasser-Installateur an. Der Installateur traf aber bis Mittag nicht ein. Da
sprach meine Mutter zu mir: „Warte du auf den Installateur“ und brach auf. Sie
war eine Woche zuvor aus Deutschland zurückgekehrt. Ich hatte mir einen
Kassettenrecorder für das Auto, einen Radio- Kassettenrecorder, gewünscht, den
sie mir auch mitgebracht hatte. Ich fuhr nach Dikmen und ließ den
Kassettenrecorder einbauen. Der Kfz-Mechaniker ließ sich für den Einbau des
Kassettenrecorders viel Zeit. Die langsame Arbeitsweise des Mechanikers rettete
mir sozusagen das Leben. Es wurde ungefähr vier Uhr. In der Zwischenzeit begab
ich mich auf den Markt. Daraufhin kehrte ich vom Markt zurück. Ich fuhr zur
Kuzgun Sokak. Ich stellte mein Auto in der Nähe des Ekspress Kargos ab. Ich
lief und gab die Benachrichtigung ab. Sie fragten nach dem Ausweis. „Mein
Ausweis ist im Auto, ich hole ihn“, sagte ich. „Nicht nötig“, erwiderten die
Mitarbeiter der Firma und überreichten mir ein kleines Paket, in dem sich ein
Buch befand. Das Paket war an der Kante eingerissen. Darin befanden sich zwei
Bücher, die übereinander lagen. Ich nahm das Paket und warf es auf den
Beifahrersitz. Dann verließ ich die Firma und fuhr von dort aus nach Hause. Ich
parkte mein Auto vor die Haustür und trug meine Markteinkäufe hinein. Die
Haustür stand offen. In der Zwischenzeit hatte ich das berüchtigte Paket auf
dem Marmor abgelegt. Nebenbei rief ich hinauf: „Habe deine Bombe mitgebracht“.
Fünf Minuten später kam meine Mutter nach unten. Natürlich waren die Bücher von
der eingerissenen Kante aus zu sehen. „Es ist keine Bombe“, rief sie mir zu.
Ich erwiderte daraufhin: „Na klar!“ und fügt hinzu: „Es war doch nur ein
Scherz!“ Währenddessen holte ich die Einkaufstüten und setzte sie an der
Türschwelle ab. „Muammer schaut unten nach dem Heizkessel“, sagte mir meine
Mutter. Sie war gut gekleidet und hatte sich zum Ausgehen vorbereitet. Es war
ungefähr Viertel vor fünf. Sie nahm eine Schere in die Hand und schnitt die
Schnüre des Pakets ab… Als sie dies tat, standen wir nebeneinander. Daraufhin
fügte sie nach dem Schnitt hinzu: „Es lässt sich etwas schwer öffnen, ich öffne
es am besten draußen“. Sie lief die Treppe hoch. „Ist da noch etwas anderes
drin oder was? Bleib etwas fern von mir“, meinte sie.
Es folgt nun ein
Flashback mit einem erneuten Zitat der Autorin aus dem Jahre 1988.
(Ali Kırca): Leider
haben wir nur mehr sehr wenig Zeit. Bitte bringen Sie noch Ihre letzten Sätze
vor. (Bahriye Üçok): Atatürk hat sich nicht in die Angelegenheit der weiblichen
Bekleidung eingemischt, auch nicht gesetzlich. Vor kurzem hat Frau Korkmaz
erwähnt, er habe in Sarayburnu erklärt: „Türkische Frauen mögen ihre Gesichter
öffnen, um die Welt zu sehen! Auch die Welt möge die türkischen Frauen sehen
und respektieren“.
Erneut zeigt sich die
zentrale Bedeutung Kemal Atatürks in der politischen Ideologie der Autorin, die
sich auf diese Weise sehr stark vom Kernthema ihrer Dissertation distanziert,
die sie eigentlich dazu führen sollte, die emanzipatorischen Aspekte des Islam
zu erkennen und die Zeichen des politischen Engagements der muslimischen Frau
auf der Grundlage der muslimischen Geschichte aufzuwerten. Nun setzt der Film
mit dem Bericht der Tochter der Autorin über den Tag des Attentats fort.  
(Kumru Üçok): Ich meinte:
„Es ist Viertel vor fünf. Geh doch zu deiner Veranstaltung.“ „Muammer hat noch
viel zu tun, ich werde auf ihn warten“, meinte ich. „Bring du mich doch hin“,
entgegnete sie. „Gut, wenn die Sitzung vorbei ist, kannst du dann gehen“, sagte
ich. Und ich drehte mich um und ging nach unten. Ich ging runter, um nach dem
Installateur zu sehen. Es vergingen gerade mal 30 Sekunden oder so. Es gab eine
gewaltige Explosion. Natürlich sah ich zunächst nach dem Heizkessel. Ich sah
den Heizkessel an seiner üblichen Stelle, ging dann zurück und sah nach der
Erdgasleitung. Sie war ebenfalls an Ort und Stelle. In diesem Moment wurde mir
alles klar, und ich raste in höchster Geschwindigkeit im Takt von zwei bis drei
Stufen auf einmal hoch. Überall lagen Scherben herum. Über die Scherben gelangte
ich an die Vordertür. Vor lauter Staub und Rauch konnte man die eigene Hand vor
den Augen nicht mehr sehen. „Mama! Mama!“ rief ich, aber ich schaute natürlich
auf Augenhöhe. Niemand war zu sehen. Nach zwei bis drei Sekunden legte sich der
Rauch. Da sah ich plötzlich meine Mutter auf dem Boden vor der Treppe lag. Ihr
linker Arm lag unter ihrem Kopf und ihre Hand fehlte. Als ich sie erblickte,
blieb ich selbstverständlich unbeweglich auf der Stelle stehen. In dem Moment
lief unsere Nachbarin Frau Sevil Korum auf der Straße vorbei. „Was ist
geschehen, Kumru?“ fragte sie. Unbekannte Menschen tummelten sich. Die
Installateure kamen von unten. Die hatte ich in dem Moment vollkommen
vergessen. Von allen Seiten fragten mich die Menschen: „Was ist passiert,
Schwester?“ Sie versuchten mich wegzubringen. Ich stand wie betäubt da. „Wenigstens
sammle ich das Gemüse ein“, sagte ich. Jemand, ich weiß nicht wer, bemerkte:
„Nichts berühren, fasst nichts an.“ Ich ging hinein. Das Telefon vor der Tür
funktionierte nicht. Ich lief dann zum Telefon in der Bibliothek und rief meine
Freundin an: „Komm schnell, in den Händen meiner Mutter ist eine Bombe
explodiert“. „Was ist passiert?“ fragte sie. „Sie ist wahrscheinlich tot, ihr
fehlt ein Arm“, erwiderte ich. Dann ging ich raus. Inzwischen begann das Blut
aus dem Arm zu tropfen. Eine junge Frau sagte: „Ich bin Ärztin, bitte kommen
Sie zu sich.“ Dann stand ich 1-2 Minuten draußen. Es fiel mir ein, dass ich
meine Familie benachrichtigen müsste. Ich rannte zurück ins Haus und rief meine
ältere Schwester schreiend an, sie sollte kommen. „Ich komme sofort“,
antwortete sie. Es gab einen ungewöhnlichen Stau, einen immensen Stau, in dem
sich kein Auto mehr bewegte. Nachdem ich mit meiner Schwester telefoniert hatte
und zurückgekommen war, war meine Mutter nicht mehr da. „Was habt Ihr getan?“
fragte ich. „Wir haben sie zur Konditorei gebracht“, antworteten die
Installateure. „Ist sie am Leben?“ fragte ich. „Sie atmet“, sagte einer von
ihnen. Dann setzten sie mich draußen auf den Marmor. Sie brachten mir Wasser.
Ich wartete etwa eine Stunde alleine. Keine meiner Verwandten konnte jetzt
hierher kommen. Kurz nach sechs oder so kam meine Freundin herbeigeeilt und
teilte mir mit: „Es war viel Verkehr auf der Straße. Ich bin aus dem Taxi
gestiegen. Sonst hätte ich es nicht geschafft zu kommen“. In der Zwischenzeit kamen
einige Leute, Beamte aus dem Polizeipräsidium. Auch Leute von der
Erdgasversorgungsgesellschaft kamen. Ich meinte: „Es ist keine
Erdgasexplosion.“ Was auch immer, sie sahen sich das Ganze an und gingen dann
wieder. Die Kriminalpolizei kam. Ein Journalist ging ins obere Stockwerk und
lief im Haus umher. Ich sah ihn am Fenster. Als ich ihn anschrie, hielt ihn ein
Polizist fest. Journalisten sammelten sich vor der Tür. Dann kam eine
Nachricht, man würde sie operieren und sie schwebte nicht in Lebensgefahr. Dann
fassten wir auch den Entschluss, uns ins Krankenhaus zu begeben. Wir stiegen in
das Auto unseres Installateurs. Es wurde uns mitgeteilt, dass sich meine Mutter
im Krankenhaus Hacettepe befand. Dann fuhren wir von dort runter nach
Hacettepe. Wir warteten vor der Notaufnahme. Allmählich kam es zu einem
Menschenauflauf in der Notaufnahme. Es gab keinen Platz mehr um, sich zu
bewegen. Hier sah ich einige Leute, die ich kannte. Ich traf Murat Karayalçın,
weinend an eine Säule gelehnt. Ich fragte ihn: „Was ist passiert?“. Er
antwortete nicht. Aus der Entfernung sah ich Deniz Baykal und Hikmet Çetin beim
Hereingehen und Herauskommen.
(Hikmet Çetin): Ein
schreckliches Ereignis. Frau Üçok hatte eine sehr wichtige Besonderheit. Sie
war den Prinzipien der säkularen türkischen Republik sehr stark verbunden, sie
fühlte sich verbunden mit den Grundsätzen Atatürks und war in dieser Hinsicht
eine unbeugsame Persönlichkeit. Sie sagte, dass sie seit einiger Zeit,
besonders nach dem Tod von Herrn Aksoy, in diesem Zusammenhang immer wieder
Drohbriefe erhalten hatte, aber trotzdem ihre Arbeit für die säkulare Republik
Türkei ohne Zugeständnisse fortführte. Dieser Vorfall ist so traurig, es ist
ein schreckliches Ereignis.
(Kumru Üçok): Ich sah
Halil Şıvgın und fragte ihn: „Was ist vorgefallen?“ „Sie bemühen sich sehr
intensiv. Sie bemühen sich sehr intensiv, “ antwortete er. Inzwischen,
sammelten sich einige meiner Freunde und diejenigen, die davon erfahren hatten,
da im Fernsehen eine Kurzmeldung gesendet wurde. Alle kamen. Es war kurz nach
acht und die Menschenmenge kam in Bewegung. Ich wurde in einen Büroraum
geschoben, wo sie mich sitzen ließen. „Was ist passiert?“ fragte ich. Sie
sagten nichts. Die andere Freundin fragte ich: „Was ist passiert?“. Sie sagte
auch nichts. Ich fragte meine ältere Schwester: „Ich weiß es nicht“, war ihre
Antwort. „Ich gehe raus“, fügte sie dann hinzu. Sie haben versucht, mich von
hinten festzuhalten, ich kam schwer nach draußen und sah meinen Bruder in der
Menge. „Ist sie gestorben, Tengiz?“ fragte ich. „Sie ist gestorben, meine liebe
Schwester“, antwortete er und umarmte mich. Ich spürte sein Schluchzen. Aus dem
Verhalten der Menschenmenge hatte ich sowieso den Ernst der Lage erkannt.
(Nachrichtensprecher):
Nach den Informationen, die der TRT-Reporter vom Polizeidirektor von Ankara
Mehmet Ağar erhielt, kam es heute um 16:30 Uhr zu einer Explosion, als Bahriye
Üçok ein aus Istanbul per Kurier zu ihrem Haus in Çankaya versendetes Päckchen
öffnete. Mehmet Ağar, der Polizeichef von Ankara, berichtete bei seiner
Erklärung am Tatort, dass es vor dem Haus Bahriye Üçoks stets einen Wachposten
gegeben hätte. Außerdem wäre sie auch von den Streifenpolizisten auf der
Köroğlu Caddesi geschützt gewesen. Der Generalstaatsanwalt am
Staatssicherheitsgericht von Ankara Nusret Demiral sagte nach seiner
Untersuchung am Tatort, es werde vermutet, dass das Päckchen von einer
illegalen Organisation gesendet worden wäre. Nusret Demiral erklärte des
Weiteren, dass die Ermittlungen bereits eingeleitet worden wären.
(Kumru Üçok): Die
Fensterscheiben der Vorder- und der hinteren Front des Hauses waren vollkommen
zerstört. Die Türen waren beschädigt, man konnte sie nicht mehr schließen. „Sie
können nicht in Ihr Haus zurück“, wurde mir gesagt. Wie auch immer, gingen wir
am Ende zum Haus meiner großen Schwester nach Bahçelievler. In der Nacht kamen
Herr Inönü und manche führende Persönlichkeiten der Partei dorthin. Bis zu
einer bestimmten Zeit in der Nacht haben sich auch dort sehr viele Menschen
angesammelt. Dann gingen wir zu Bett, schliefen ein wenig, aber natürlich erst,
nachdem wir ziemlich viel Beruhigungsmittel zu uns genommen hatten. Wir
schliefen ein paar Stunden, dann kehrten wir am nächsten Morgen wieder nach
Hause zurück. Die Fensterscheiben wurden sauber gemacht. Das machte ich
natürlich nicht selbst. Freunde halfen mir bei der Reinigung der Fenster und
Türen. Den ganzen Tag hörte ich das Geräusch klirrender Scherben. Als ich kam,
schrieb Ülkü Coşkun das Protokoll. Er hatte auch mich vernommen. Im Krankenhaus
hatte mich auch Mehmet Ağar vernommen. Vor allem liefen die Ermittlungen sehr
gut. Die anderen Menschen sind jene, von denen man weiß, wann sie kommen und
gehen. Es sind Menschen, die dazu bestimmt sind, ihren Wegen zu folgen. Sie
stehen eben an der Straße und nehmen ihr Opfer ins Kreuzfeuer und so. Was meine
Mutter angeht, so sitzt sie vom frühen Morgen bis fünf Uhr nachmittags zu
Hause, um dann um fünf Uhr nachmittags rauszugehen, was sie auch immer macht.
Sie ist ein Mensch, von dem man nicht mit Sicherheit weiß, wann und wohin sie
geht und um wie viel Uhr. Dieser Ort ist eine sehr belebte Straße. Es wurde
sehr gut recherchiert. Hm! Was wird sie denn öffnen? Natürlich ein Buch, das
wird sie mit Sicherheit öffnen. Ein gut durchdachtes und geplantes Attentat
also. Auf dem Päckchen „İlmî Araştırma Vakfı (Wissenschaftliche Stiftung für
die Forschung), Çemberlitaş-İstanbul“ geschrieben. Die Person, die das Päckchen
lieferte, war eine ohnehin dort arbeitende junge Frau. Es gab also keine
verdächtige Situation. Es wurde in diese Richtung ermittelt. Die Stiftung hatte
auch noch ein Zentrum in Trabzon, aber angeblich gab es sonst keine anderen
Standorte. Oder man hielt diesen Namen für erfunden. Von der Stiftung kam auf
jeden Fall nichts. Ich fühlte mich nicht verunsichert. Denn es waren zwei dünne
Bücher. Auch ich habe mal Kriminalromane gelesen. Ich hatte gar keine Ahnung,
dass das Buch nach der Öffnung des Päckchens explodieren würde. Das hatte ich
mir bei so einem dünnen Buch gar nicht erwartet. Man stellt sich für eine
Explosion dieser Art schon ein größeres Buch vor. Im Päckchen befanden sich
aber zwei dünne Bücher. Daher schöpfte ich auch keinen Verdacht. Im Buch
befanden sich Seiten mit alten Schriften. Ich meine, es war ein in arabischer
Schrift verfasstes Buch. Die Polizei fand heraus, um welches Buch es sich
handelte. Sie fand auch den Buchhandel, der es in Istanbul verkauft hatte. Es
hatte dort zwei Exemplare von demselben Buch gegeben, wovon eines verkauft wurde
und eines im Laden blieb. Das Buch wurde sogar von einem Mitarbeiter des
Polizeipräsidiums abgeholt. Es wurde auch genau festgestellt, um welches Buch
es sich handelte. Aber der Buchhändler war nicht in der Lage, sich an den
Käufer des Buches zu erinnern.
Meine Mutter könnte
gedacht haben: „Kann das sein?“. Sie verfiel aber in keinen Angstzustand oder
ähnliches, da sie ein sehr argwöhnischer Typ war. Wenn sie ein solches Gefühl
der Angst verspürt hätte, hätte sie das Päckchen niemals geöffnet. Dass das Buch
so dünn war, hatte uns auch davon abgehalten, jemals auf eine solche Idee zu
kommen. Eine gewaltige Explosion. Im angrenzenden Gebäude bildeten sich Risse
im oberen Teil. Die acht Millimeter dicke Fensterscheibe der Konditorei des
angrenzenden Gebäudes zerbrach. Die Fensterscheiben unserer Nachbarn gingen
kaputt. Ich will damit sagen, dass es sich keineswegs um eine kleine Explosion
handelte. Natürlich gingen mir in dem Moment, als ich meine Mutter am Boden
liegen sah, viele Dinge durch den Kopf. Ich hatte auch darüber nachgedacht, wie
großartig die Beerdigung sein wird. Alles lief Sekunde um Sekunde ab wie in
einem Film. Ich hatte die zweite Seite der Erbschafts- und
Schenkungssteuererklärung vor Augen. „Das ist die Einsamkeit“, sagte ich. Alles
war so blitzschnell gekommen. Dann beugte ich mich auf die Einkaufstüten mit
der Absicht, wenigstens die Tomaten noch zu retten, da meine Mutter ja tot war.
Der Schock holte mich gerade in diesem Moment ein. Muammer meinte: „Du brauchst
die Tomaten nicht einzusammeln, ich übernehme das“. Er ging dann auch weg und
war in dem Moment nicht ganz bei sich. Ich dachte mir: „Was ist mit mir
passiert? Was wird geschehen? Wird sie überleben? Und falls sie überlebt, was
wird mit ihrem Arm?“ Genau daran dachte ich. Aber ich hatte nicht gemerkt, dass
das Bein auch weg war. Der andere Arm war von der Schulter abgerissen, das Auge
fehlte. Ich wusste das alles gar nicht. Ich wusste nur, dass ihr der Arm
fehlte. Was wird sie ohne Arm tun? Wie wird sie leben? Sie war nämlich ein sehr
dynamischer Mensch. So etwas würde sie gar nicht ertragen. Ich dachte an solche
Sachen. Nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus wurde mir mitgeteilt, dass sie
noch lebte. Da dachte ich: „Kann man sie retten?“ Ich wusste nicht, dass so
viele Körperteile abgerissen waren. Ich wurde nach dem Ablauf der Geschehnisse
gefragt. Wie ich schon sagte, war Mehmet Ağar bereits im Krankenhaus, er war
ohnehin im Krankenhaus. Zu Beginn sprach ich mit ihm, als ich dort ankam und
fragte ihn sogar, ob ich ins Haus gehen dürfte. „Sicher dürfen Sie“, antwortete
er. „Man muss nur noch alles reinigen lassen“. Am nächsten Morgen war der
Staatsanwalt Ülkü Coşkun hier. Er
fragte mich alles bis ins kleinste Detail. Sie haben ihre zerbrochene Armbanduhr
gefunden. Sie blieben sehr lange bei der Armbanduhr. Sie kamen oft und fragten
nach, ob das meine Uhr wäre. Ich bejahte, weil die Uhr früher meine gewesen war
und ich sie dann meiner Mutter gegeben hatte. „Ist das Ihre Armbanduhr?“
fragten sie. Diese Armbanduhr war eine Sache, die hier gefunden wurde. Des
Weiteren war das Dokument eines Mietvertrages in den Garten geflogen. Es
handelte sich hierbei um den Mietvertrag eines Hauses in Abidinpaşa. „Habt ihr
in Abidinpaşa Mieter oder nicht?“, lautete deren Frage. Sie blieben lange an
dem Mietvertrag und fragten dann auch noch: „Woher kommt denn dieser
Mietvertrag? Worum geht es da?“ usw. Ein Teil ihres Pullovers war an einem Baum
hängengeblieben. So auch ein Stück jenes Buches. Danach haben wir sogar den
Umschlag des Buches, dessen Außenhülle aus Leder gemacht zu sein schien,
gefunden. Diesen haben wir nach einigen Tagen beim Polizeipräsidium abgegeben.
Wir warteten ein paar Tage ab, ob sich jemand für das Attentat verantwortlich
erklären würde. Bereits am zweiten oder dritten Tag nach dem Attentat ging ein
Anruf ein, in dem wahrscheinlich ein Anhänger des Zweiges der islamischen
Bewegung „İslami Hareket“ meinte: „Wir haben sie bestraft, weil sie gegen das
Kopftuch war.“ Das haben wir dazu in Erfahrung gebracht. In der Zwischenzeit
bestellte mich Nusret Demiral zu sich. Es war 3-4 Tage nach dem Attentat, nach
der Beerdigung. Nusret Demiral fragte, ob ich Wünsche hätte oder so und ich erwiderte:
„Es gingen ein bis zwei Anrufe mit ungewöhnlichen Stimmen ein“. Er hatte die
Telefonüberwachung eingeleitet, um die Gespräche abzuhören. Er ließ im Haus
einen Kassettenrecorder einbauen. Danach kamen keine Anrufe mehr. Dies
bedeutet, dass wir keine Anrufe aufs Band aufnehmen konnten. Manche waren der
Meinung, dass es sich hierbei nur um eine Provokation handelte und dass die
Täter gar nicht in der islamischen Bewegung zu suchen wären. Ich glaube nicht,
was ich nicht mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Ich kann jemanden auch
nicht beschuldigen, wenn ich ihn nicht mit meinen eigenen Augen gesehen habe.
(Erdal İnönü):
Zuzusehen, wie so eine Frau, solch eine Person von dunklen Kräften getötet
wurde und dagegen nichts unternehmen zu können… Die dadurch hervorgerufene
Hilflosigkeit und Trauer unserer Trennung von einem so wertvollen Menschen, der
noch so viel Zeit gehabt hätte, seinem Volk zu dienen und um dies zu
ermöglichen mit Herz und Seele dabei war… All dieses Leid müssen wir heute auf
uns nehmen…
(Kumru Üçok): Ich wünschte mir, dass meine
Mutter in Karşıyaka neben meinem Vater beigesetzt würde. Das Attentat hatte
sich an einem Samstag ereignet. Für die Bestattung wurde der Dienstag eingeplant.
Am Dienstagmorgen, besser gesagt am vorherigen Tag, rief mich Ertuğrul Günay an. „Am Morgen sollen wir direkt
nach Karşıyaka fahren, sie dort abholen und dann direkt zusammen weiterfahren“,
sagte er. Daraufhin fragte ich ihn, aus welchem Grunde wir nach Karşıyaka
fahren sollten. Er antwortete mir, dass meine Mutter dort in ein Leichentuch
gewickelt und rituell gewaschen würde. Zunächst brachten sie sie zur Gerichtsmedizin.
Sie teilten uns bei der Gelegenheit mit, dass sie jemanden für die
Identifizierung brauchten. In der Zwischenzeit kamen natürlich aus Ordu eine
Menge Landsleute, die von ihrem Tode erfahren hatten. Sie kamen hin und
identifizierten sie. Etwa um halb acht morgens kamen sie mit einem Auto. Wir
stiegen ein und fuhren nach Karşıyaka. Von dort aus fuhren wir mit dem
Leichenwagen nach Necatibey. Hier brach natürlich ein Höllenlärm aus.
(Der Imam): O Herr,
lasse sie ihren Platz im Paradies haben! (AMIN) O Herr, lass ihr ihren Glauben
auch im Paradies zugutekommen! (AMIN) Rezitiert bitte für die Seele der
verstorbenen Frau Bahriye Üçok und für alle im Glauben verstorbenen Menschen,
für die Zufriedenheit Allahs, die Sura
Al-Fatiha
.
(Kumru Üçok): Da
während der Beerdigungszeremonie Parolen ausgerufen wurden, schrie Ertuğrul Günay sehr oft: „Bahriye Üçok war ein
frommer Mensch, bitte ruft während der Zeremonie keine Parolen aus, lasst hier
die Politik aus und vor“. Als der Kranz von Turgut Özal kam, ging die Hölle
los. Sie waren gezwungen, den Kranz wegzuräumen. Auch in Karşıyaka fielen
weiterhin politische Parolen. Der Sarg gelangte so zum Friedhof, als würde er
fliegend auf den Händen gleiten. Er erreichte das Grab. Das Gefühl, das hier
natürlich in einem Mensch hochkommt, ist der Hass. Denselben Hass habe ich auch
verspürt, als meine Mutter ermordet wurde. Diesen selben Hass fühlt man immer.
Sie wurde ermordet, weil sie gegen das Kopftuch war. So wird es begründet.
Warum wurde Muammer Aksoy dann ermordet? Warum wurden die Anderen ermordet? Warum
wurden damals diese Leute nacheinander ermordet? Ich denke, sie sind ermordet
worden, weil sie gegen die islamische Bewegung waren. Sie sind ermordet worden,
weil sie für „eine laizistische Türkei“ plädierten.
Als Endergebnis der
Strafverfahren der im Rahmen der im Jahre 2000 gestarteten „Operation:
Hoffnung“ stellte sich heraus, dass die Bombe, durch die Bahriye Üçok ermordet
wurde, von Ferhan Özmen, einem Mitglied der illegalen terroristischen
Organisation Kudüs Savaşçıları (zu
Deutsch: Jerusalemkrieger) gelegt
worden war. Ferhan Özmen wurde auch als Verantwortlicher für die Morde von
Muammer Aksoy, Uğur Mumcu und Ahmet Taner Kışlalı zu lebenslänglicher Haft
verurteilt. Ferhan Özmen wollte die Anstifter bekanntgeben und dadurch von der
Kronzeugenregelung profitieren. Jedoch wurde vom Institut für forensische
Medizin die ärztliche Bescheinigung mit dem folgenden Wortlaut erlassen: „Da er
sich nach den Strafverfahren im Stresstrauma befindet, ist er nicht in der
Lage, eine glaubwürdige Erklärung abgeben.“ Die Anstifter der Morde konnten
immer noch nicht gefasst werden.
Nach diesem
Dokumentarfilm, in dem die politische Spaltung des Landes infolge dieser Mordserie
gegen laizistische und islamkritische Journalisten und Intellektuelle zwischen
den Zeilen und auch direkt immer wieder zum Ausdruck kommt, möchte ich nun auf
das Buch der Autorin übergehen, in der die weiblichen Herrscherinnen der
politischen Geschichte der muslimischen Länder aufgegriffen und deren Schicksal
und politische Karriere voller Intrigen und Missgunst von Seiten der Männerwelt
erörtert wird.
Was die Biographie der
Autorin betrifft, gehe ich hier auch 25 Jahre zurück in ihre Zeit an der Universität
Ankara, in der sie diese Studie als Promotionsschrift verfasste.  
In Üçoks Werk werden die
Herrscherinnen anhand ihrer Biografie beschrieben und charakterlich
dargestellt, aber dies immer, wie wir sehen werden, im Rahmen einer gründlichen
Vorstellung der geschichtlichen Lage, der politischen Intrigen und des Kampfes
um die Macht und die Herrschaft, in die sie historisch einzuordnen sind. Die
Autorin bemüht sich bei jeder Herrscherin auch sehr stark um die Beschreibung
der Beziehungen zwischen den einzelnen muslimischen Dynastien und ihrer
gegenseitigen Beziehungen. Sie werden auch sehr gut in ihren historischen
Kontext eingeordnet, der uns heute sehr dabei unterstützen kann, einige auch
wenig bekannte Herrscherinnen im Detail kennenzulernen. In diesem Rahmen ist
auch die Bezugnahme auf die historische Geographie von Bedeutung.  
Die Autorin bringt den
machiavellischen und realpolitischen Aspekt der Herrschaft sehr stark zum
Ausdruck, was ich sehr realistisch und klug finde, da Politik auch in den
muslimischen Staaten Realismus, Kalkül und abwegiges Verhalten bedeutet, das
sich sehr oft von der Religionsmaxime distanziert, wie das in allen Religionen
der Fall ist[14].
Und dieses machiavellische Schema ist in der muslimischen Politik oft auch das
Handelsmodell der weiblichen Herrscherinnen, wie ich vor allem am Beispiel der
mamelukischen Sultanin Shejeret üd-Dür aufzeigen werde, die als solche auch in
die Weltliteratur eingegangen ist. 
Daher finde ich es
absolut wichtig, den Islam politisch zu erschließen und dann in die Utopie
zurückzukehren, ein Abenteuer, das politisch denkende und handelnde Frauen
zweifelsohne ein Leben lang involviert.
Es geht, um es in
wenige Worte zu fassen, um die Annäherung von Politik, Erziehung und sozialem
Denken zwecks Herausbildung einer utopischen, feministischen, islamischen
Anschauung des Lebens und der Politik im weitesten Sinne als Reform des
Gesellschaftlichen, Religiösen und der Erziehung in Einem. In dieser Utopie
sollen auch die Komplementarität, Kooperation und Gleichberechtigung der
Geschlechter im Sinne des Islam ihren Platz finden, was dann auf dem rationalen
Wege zur Ablehnung des schnellen Kampfes und der fanatischen Gewalt und
gleichzeitig auch ihrer philosophischen Rechtfertigung führt.
Wie nach ihr auch
Fatima Mernissi stellt sich unsere Autorin die folgenden Fragen: „Wie haben sie
es angestellt? Mit den Mitteln der Verführungskunst, mit Hilfe von Schönheit
und Klugheit, oder war es einfach Glück? Worin bestand also das Geheimnis der
Herrscherinnen von einst? Wie konnten sie in der politischen Arena bestehen…?“[15] 

Was aber meiner Meinung
nach die Schilderungen der Autorin gegenüber den anderen auszeichnet, ist die
plastische Darstellung der Charaktere der einzelnen Frauen, die sich auch
voneinander sehr stark unterscheiden. Die Autorin führ an, welche Frauen selbst
in die Geschichte eingegriffen haben und welche hingegen im Netz ihrer
Beziehungen zu den Männern als Persönlichkeiten weitgehend untergingen. Dies
ist ein wichtiger Aspekt, um methodologisch auch Studien wie die über die
islamischen Eigenschaften der Führungspersönlichkeit nach dem klassischen Islam
von Jamal Badawi in die historisch-philosophische Studie der weiblichen
Herrscherinnen einbeziehen zu können.



[1]
Hierbei handelt es sich um die folgenden 3 Filmausschnitte:
http://www.youtube.com/watch?v=FVDkKB0ZvSI
letzter Abruf: 18.05.2013, 12:00 Uhr.
http://www.youtube.com/watch?v=IJYPwU-N4Sg
letzter Abruf: 18.05.2013, 12:01 Uhr.
http://www.youtube.com/watch?v=zeNnNjjv1iE
letzter Abruf: 18.05.2013, 12:01 Uhr.
[2] Es
geht um eine Sendung vom 6. Oktober 1990 in Ankara.
[3] Vgl. dazu sein Werk, das man als ein
programmatisches Manifest des neokemalistischen Laizismus ansehen kann: Laikliğe
Çağrı
(zu Deutsch: Aufruf zum
Laizismus
), Gündoğan Verlag, Ankara 1989.
[4] Vgl. die folgende
Kurzbiografie des Journalisten auf:
http://tr.wikipedia.org/wiki/%C3%87etin_Eme%C3%A7, letzter Abruf 15.05.2013
14.50 Uhr: Deutsche Übersetzung: Çetin Emeç, (
1935 in Istanbul geboren – verstorben am 7.
März 1990 in Istanbul
). Türkischer Journalist. Seine Mutter war Rabia Emeç. Sein Vater, Selim
Ragıp Emeç, war Journalist, Mitbegründer und Abgeordneter der Demokratischen
Partei. Er hatte drei Geschwister mit den Namen Zeynep, Aydın und Leyla. Aus
seiner Ehe mit Bilge Emeç stammen seine zwei Kinder Mehveş und Mehmet. Nach
Abschluss des Galatasaray-Gymnasiums absolvierte er das Jurastudium der
Universität Istanbul. Im Jahr 1952 begann er als Journalist bei der Zeitung
seines Vaters Selim Ragıp Emeç „Son Posta“ (zu Deutsch: Letzte Post) zu
arbeiten. Bis 1972 war er Chefredakteur der Zeitschriften „Hayat“ und „Ses“. Im
Jahr 1972 wechselte er zur Gruppe Hürriyet. Während seiner Zeit als
Generaldirektor des Hürgün Verlags übernahm er die Aufgabe des Chefredakteurs
der Zeitung Hürriyet und wechselte dann in den Jahren 1984-1985 als
Chefredakteur zu Milliyet. 1986 kehrte er als Generalkoordinator zur Zeitung
Hürriyet zurück … Am 7. März 1990, als er sein Haus in Istanbul/Suadiye
verließ, um zur Arbeit zu fahren, wurde er zusammen mit seinem Fahrer Sinan
Ercan getötet. Emeç war 38 Jahre lang Journalist, Vorstandsmitglied und Autor
der Zeitung Hürriyet. Er war Mitglied des Journalistenverbandes, des
International Press Institute und der Internationalen Föderation der
Journalisten und Presseinstitute.

[5] Vgl. hierzu: Abu Hussain, Meinungsfreiheit oder Massenbeleidigung, „Die Satanischen Verse“ Symbol
der westlichen Literatur? Eine kritische Analyse aus der Perspektive der
betroffenen Muslime,
Inn Verlag, Innsbruck 1989.

[6] Vgl.
hierzu: Vogel G., Blasphemie – Die Affäre Rushdie in
religionswissenschaftlicher Sicht,
Lang, Frankfurt am Main 1998.
[7]
http://www.nadir.org/nadir/periodika/widerstand/10_97/dursun.htm,
letzter Abruf, 15.05.2013, 15.10 Uhr
[8] Vgl.
hierzu die ähnliche Berichterstattung in Deutschland: Wir gedenken Turan
Dursun, der wie kaum ein anderer in der Türkei, den islamischen
Fundamentalisten, die die Türkei in die Dunkelheit des Mittelalters versetzen
wollen, den Kampf ansagte,
in: Widerstand,
widerstand@koma.free.de, letzter Abruf 15.05.2013, 23.02 Uhr.
[9]
Hier wird vor dem Interview von Kumru Üçok ein Ausschnitt aus einem Interview
von Bahriye Üçok vor ihrem tragischen Tod präsentiert. Es geht um das Kopftuch,
das meiner Meinung des Öfteren fast wie eine Säule der islamischen Religion
behandelt wird und von vielen als Mittel genutzt wird, um Islamophobie oder
auch Islamismus zum Ausdruck zu bringen. Ich persönlich vertrete den
Standpunkt, dass das Kopftuch zum Islam steht wie ein Wassertropfen zum Ozean
und dass es zur Freiheit der Frau im Islam gehören soll, weil es einfach
niemanden stört und sich jeder Mensch frei entscheiden darf, wie und warum er
sich so oder so kleidet. Ich finde auch, dass das Kopftuch ein politisches
Recht darstellt und vor allem in den Bereich der freien Meinungsäußerung
fällt. 
[10] Hier
wiederum schleicht sich der Fehlschluss ein, den wir schon zuvor hatten: vom
Kopftuch wird direkt auf den Geschichtsschleier und die Segregation und das
Kommunikationsverbot der Frau mit dem anderen Geschlecht bzw. der Außenwelt geschlossen.
Der Geschichtsschleier ist in keinem Koranvers (vgl. als Beispiel Koran 24:31,
33:59) und in keiner Überlieferung des Propheten explizit angeordnet oder
benannt. Ob die einzelne Muslimin dann die Notwendigkeit des Niqab von der Idee der Fitna (Versuchung oder Zwietracht)
ableitet und sich daher für den Geschichtsschleier entscheidet, liegt meiner
Meinung nach in der Freiheit der Frau. Wiederum sehen wir, wie vielseitig der
Islam in seinen Auslegungen sein kann und wie respektvoll man diesen Haltungen
gegenüberstehen soll.
http://islamfatwa.de/kleidung-schmuck/139-niqab-gesichtsschleier/217-darlegung-ueber-die-pflicht-des-niqab:
Hierhin findet sich eine Fatwa der wahhabitischen Schule, die den
Gesichtsschleier als Pflicht für die Muslima bezeichnet. Man sieht anhand dieser
Auslegung, wie strikt der Begriff der Körperbedeckung ausgelegt werden kann.
Das Problem im Islam von heute ist Folgendes: Positionen, Interpretationen,
Auslegungen, freie Ableitungen werden als der
Islam bezeichnet. Fatwas wie diese sind sekundäre Quellen, die zur
Staatsreligion erklärt werden, anstatt die Ansicht weniger zu bleiben. Dasselbe
geschieht mit Auslegungen der Nicht-Notwendigkeit des Kopftuchs, wie wir am
Beispiel der freien Meinung unserer Autorin gesehen haben. Auch in diesem Fall
ist die Ableitung einfach unzulässig und widerspricht dem Koran und der Sunnah.
In Muslim Women, (herausgegeben von
Freda Huassain), Croom Helm, Sydney 2001, S. 27, wird hierzu der Standpunkt von
Tabari wiedergegeben, der sich sehr klar vom Geschichtsschleier für die
muslimische Frau distanziert:
“Since man has to cover
his genitals when praying, and woman has to uncover her face and hands during
prayer, but has to cover all else – … – it follows therefrom that she has the
right to display of her body that which is not pudendal, just as the man has
the right to do so”.
Vgl. hierzu auch Abu Hanifa:
http://www.ditib-ma.de/islam/Handbuch_der_Rechtslehre_-_Abu_Hanifa.pdf S. 17
zur Bedeckung der muslimischen Frau: „… der gesamte Körper, ausgenommen
Gesicht, die Hände und die Füße“.
[11]
Vgl. in Saraçgil A., Il maschio
camaleonte: strutture patriarcali nell’Impero ottomano e nella Turchia moderna,
Mondadori Verlag, Mailand 2001, dazu
den Kommentar der Autorin zum Hijab
auf S. 48
: “Il velo dunque, lungi dal limitare la mobilità
femminile, la assicura. Nella società ottomana la separazione delle sfere non
sembra avere limitato la mobilità femminile”
(deutsche
Übersetzung: „Das Kopftuch schränkte somit die weibliche Mobilität nicht ein,
sondern gewährleistete sie geradezu. In der osmanischen Gesellschaft hat die
Trennung der Bereiche offensichtlich die weibliche Mobilität nicht
eingeschränkt“). Eine wundervolle Studie zum Thema der Frau im osmanischen
Reich ist die von Zilfi M. (Herausgeber), Women
in the Ottoman Empire,
Leiden-New York-Köln 1997.
[12] Vgl.
hierzu: Savelsberg E., Hajo S., Borck C. (Herausgeber), Kurdische Frauen und das Bild der Kurdischen Frau, LIT Verlag,
Münster, Hamburg, London 2000, Band 3, S. 87 zum Thema des Staatsfeminismus in
der kemalistischen Bewegung: „Der propagierte Staatsfeminismus förderte Frauen
mit rechtlichen Reformen, die Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Chancen im
Bildungsbereich und im Berufsleben anstrebten“. Ein anderes kritisches Thema
wird im selben Buch (vgl. S. 122-124) von Heidi Wedel aufgegriffen, wenn sie
schreibt (S. 122): „Viele historische Beispiele zeigen, dass die Beteiligung
von Frauen an nationalen oder religiösen Bewegungen höchstens symbolisch
belohnt wird“. Hierzu ist der Artikel von Berktay Fatmagül von 1991 aufschlussreich:
vgl. dazu: „Eine zwanzigjährige Geschichte. Das Verhältnis der türkischen
Linken zur Frauenfrage“, in: Neusel, Ayla et. Al. (Herausgeber): Aufstand im Haus der Frauen. Frauenforschung
aus der Türkei,
Orlanda Frauenverlag, Berlin 1991, S. 214-226.
[13]
MIT ist die Abkürzung von Milli
Istihbarat Teşkilatı
und meint
den türkischen Nachrichtendienst.   
[14]
Daher finde ich die Methode von Muhammad ‘Aziz Ahmad sehr zutreffend, da er die
politischen Institutionen und die politische Geschichte des Islam wie folgt
studieren möchte: Vgl. hierzu: Muhammad ‘Aziz Ahmad,
Political History &
Institution of Early Turkish Empire of Delhi (1206-1290 AD),
Oriental Books Reprint Corporation, New Delhi 1972, S. XI: “A more
scientific attitude should be to separate the great ideals of Islam from the
individual acts of the individual rulers, so as to judge the actions and behaviour
of the latter according to the specific ethical ideals of Islam”.
Einen
ähnlichen Ansatz zur Geschichte der muslimischen Völker vertritt auch Prof.
al-Ansari aus Katar, der aus diesem selben Grunde sogar vorschlägt, Geschichte als
dynamischen Prozess und Islam als Perfektion und als Doktrin voneinander zu
trennen. Vgl. hierzu: “
Dr Al-Ansari: Heaven is
Not Just For One Sect”
, vom 07.05.2013,
http://www.ahl-alquran.com/English/show_news.php?main_id=288, letzter Abruf
11.08.2013, 18.16 Uhr. Hier heißt es zu diesem Thema auf S. 1:
“Dr Abdel Hamid Al-Ansari, a professor of Sharia at the University of
Qatar, called for separating religion from history. He said that religion was
sacred while history wasn’t”.
Deutsche Übersetzung: „Dr. Abdel Hamid
Al-Ansari, ein Professor der Scharia-Universität in Katar, forderte die
Trennung zwischen Religion und Geschichte. Er behauptete, die Religion wäre
heilig, während dies nicht auf die Geschichte zuträfe“.   
[15]
Vgl. hierzu: Vgl. hierzu: Die Sultanin,
Die Macht der Frauen in der Welt des Islam,
Luchterhand Literaturverlag,
Frankfurt am Main 1991, S. 11.





Videoquellen:


https://www.youtube.com/watch?v=Fm-ijniUndc
https://www.youtube.com/watch?v=B873ErFenjo
https://www.youtube.com/watch?v=tobvEHgyu9w
https://www.youtube.com/watch?v=-Vd9iuOdrgM
https://www.youtube.com/watch?v=YRXP5hZb5TU