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Bahriye Ücok – Eine Einführung in ihre Biografie und Weltanschauung


In diesem Artikel
möchte ich einige Überlegungen zur Biografie und dem tragischen Tod der meines
Erachtens im Westen zu sehr in Vergessenheit geratenen türkischen
Islamgelehrtin und Feministin Bahriye Üçok. Die Autorin wurde 1919 in Trabzon
geboren. Nach dem Besuch der Grundschule in Ordu kam die junge Bahriye nach
Istanbul, wo sie das historische Mädchengymnasium von Kandilli besuchte. Daraufhin
studierte sie an der
Universität Ankara im Institut für
Philologie, Geschichte und Geographie die Geschichte des Islam im Mittelalter
sowie die türkische Geschichte. Ideologisch stand sie ihr Leben lang dem
„kemalistischen Staatsfemminismus“ nahe, der auf der historiografischen Ebene
ethnozentrisch erscheint und die Befreiung der Frau durch den Islam ignoriert,
indem er davon ausgeht, dass sogar der arabische Feminismus von Atatürk geprägt
wurde.


Nach elf Jahren
arbeitete sie als Gymnasiallehrerin in
Samsun und dann wieder in Ankara, wo sie studiert hatte. Hier
erhielt sie 1953 die Möglichkeit, als Assistentin der Theologischen Fakultät
der Universität tätig zu werden. Nach vier Jahren promovierte sie an derselben
Fakultät mit ihrem historisch-feministischen Werk „Islam Devletlerinde Türk Naibeler ve Kadın Hükümdarlar“ (zu
Deutsch: Türkische Regentinnen und
Herrscherinnen in den islamischen Ländern
), in dem sie auf einer
historischen Ebene die Macht der regierenden Frauen in der muslimischen
Geschichte aufarbeitet. 

Ende der Siebziger
Jahre trat sie dann in die Mitte-Links-Partei Cumhürriyet Halk Partisi (CHP, zu Deutsch: „Republikanische
Volkspartei“) ein und blieb somit dem laizistischen und neukemalistischen
Regime stets treu. Sogar nach dem Militärputsch von
1980

gehörte sie zu den Mitbegründern der Halkçı
Parti

(„Populistischen Partei“), von der sie 1983 als Abgeordnete für Ordu in das
Parlament gewählt wurde. Im Jahre 1990, ihrem Todesjahr durch ein brutales
Attentat infolge einer Paketbombe aufgrund ihrer Äußerungen gegen das
islamische Kopftuch im türkischen Fernsehen, ging sie zur linken,
sozialdemokratischen Partei Sosyaldemokrat Halk Partisi („sozialdemokratische Volkspartei“) über.

Das Werk von Bahriye
Üçok muss dringend in seiner innovativen, historischen Valenz gesehen werden
und entideologisiert werden, um den Wert des historischen Ansatzes in den
islamischen Feminismus aufzunehmen und nicht von der neo-kemalistischen
Ideologie der Autorin überschattet aus der Geschichte der islamischen
Frauenrechte zu verbannen.  

Wesentlich sind in diesem Zusammenhang auch eine Versöhnung
mit der Geschichte und eine Überwindung der Kultur des Hasses zwischen
Kemalisten und Islamisten in der heutigen Türkei. Denn die Mordserie gegen
Journalisten, in die sich auch das Attentat von 1990 gegen die Autorin einordnen
lässt, ist Ausdruck eines chronischen Mangels an dialogischer Kompetenz in der
Politik: einerseits auf der Seite der Links-Kemalisten, die den Islam mit
leeren Parolen angreifen und deren Zeitungen im Westen als Intellektuellenblätter
gepriesen werden, und andererseits auf der Seite der „islamistischen
Extremisten“, die auch rationale und konstruktive Reformatoren direkt als Abtrünnige
abstempeln und daher mit Gewalt bekämpfen wollen, anstatt dialektisch auf sie
zuzugehen.


Das sind die Gründe,
wofür ich mich entschieden habe, eine Autorin wie Bahriye Üçok, die mir
ideologisch alles andere als nahe steht, in Deutschland zu präsentieren. Denn
es geht darum, aufzuzeigen, wie die Frau in der muslimischen Geschichte des
Öfteren geherrscht hat und wie gerade die Studie der Autorin darüber als die
erste des 20. Jahrhunderts gilt.  
Wie Mahatma
Gandhi so schön sagte: „Auge um Auge macht die ganze Welt blind“. Von der Rache
zum Dialog, von der Blasphemie zu den ethischen Grenzen der Pressefreiheit:
dies ist mein Weg in dieser Auseinandersetzung mit dem wertvollen Buch von
Bahriye Üçok. Das ist der Paradigmenwechsel, den ich mir in der westlichen und
islamischen Politik der Zukunft wünsche. Dies kann nur geschehen, wenn die Frau
in die islamische Politik einbezogen wird.  


Und gerade deswegen
sind die Beispiele der herrschenden Musliminnen in der Geschichte so wichtig.
Sie dienen als Symbol und als Vorreiterinnen unseres Engagements in
Gesellschaft und Politik als muslimische Feministinnen von heute.


In den nächsten
Artikeln werde ich dann die Biografien der herrschenden Frauen vorstellen, die
Bahriye Üçok in ihrem Buch vorstellt.




Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.