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Antonietta Chiodo: feministische und mutige Kunst


Liebe Leserinnen und Leser,
wer den Verein ProMosaik e.V. kennt,
weiß von seiner Überzeugung der interkulturellen und interreligiösen Bedeutung
der Kunst als universaler Ausdruck des Menschen.
Wir glauben auch an den
künstlerischen Feminismus als dynamische Kraft der Frau, die sich gegen die
Unterdrückung zur Wehr setzt und sich für eine bessere Welt einsetzt. Und diese
Welt ist eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens.
Daher möchte ich Ihnen unser
Interview mit der italienischen Künstlerin Antonietta Chiodo, deren Werke wir
bereits auf unserem Blog präsentiert haben, auch in deutscher Übersetzung
vorstellen.
Den Link zum ersten Beitrag
finden Sie hier:

Nun möchte ich Antonietta
das Wort überlassen.
Ich danke Ihnen allen für
Ihre Aufmerksamkeit
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik
e.V.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Liebe Antonietta, wie
können wir Frauen heute, deiner Meinung nach, den interkulturellen und
interreligiösen Dialog durch die Kunst fördern?
Antonietta Chiodo: Ich möchte dir für diese
unerwartete Chance danken. Kunst bedeutet Sinn. Kunst ist die Synthese all
dessen, was sich in unserem Inneren abspielt. Die Kunst hat weder Rechte noch
Pflichten. Sie entsteht durch eine starke Energie, um einen oder tausend Eindrücke
zu vermitteln. Der Künstler ist immer ein Mensch, der einen Teil seiner
Existenz schenkt, indem er wie durch einen Stromschlag die Trennung zwischen
sich selbst und der Materie überbrückt und somit eine neue Welt erschafft. Und
diese Welt präsentiert sich dem Blick des Betrachters. Es ist wie wenn man sich
verliebt. Wir lieben die wundervolle und weiche Unvollendetheit, das Wesen, das
uns den Schlaf raubt, obwohl es nicht das Ergebnis der Vollendung ist. Die
Kunst ist das. Und gerade deshalb versucht man sie immer, an die zweite Stelle
zu drängen, um ihr die Möglichkeit zu nehmen, aufzuschreien. Aber wir Frauen
dürfen uns nicht zensieren lassen und müssen die Kunst nutzen, um ganz
natürlich von der Sexualität, der Angst, dem Tod und der Geburt zu sprechen,
denn das Weibliche umfasst alles. Und genau darauf ist auch die Tatsache
zurückzuführen, dass den Frauen viele Rechte verweigert werden.
Denn wir sind die Kunst, und wir sind der Stromschlag,
der eine neue Welt hervorbringt. Und dies jagt vielen einfach Angst ein.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche universale und
gleichzeitig individuelle Dimension weist die Kunst für dich auf?
Antonietta Chiodo: Mein Leben, die Welt, die ich in
mir trage, seit ich ein Kind bin, dem nie erlaubt wurde, die Welt zu entdecken,
meine Isolation und meine Flucht, meine Haut, meine Angst, meine Tränen, die
sich in Gesichter und farbige Synthesen verwandeln, das menschliche Wesen, das
entsteht und sich in etwas Neues verwandeln lässt. Jedes Mal, wenn meine Hände
die Farbe berühren und schmutzig werden, indem sie sich von der Leinwand wie
von einem Magneten anziehen lassen, in dem Moment ist es, als würden sie
schamlos lieben, indem sie zulassen, dass der Verstand alles löscht. Da gelingt
es mir, in der Kunst sichtbar zu werden und so einen Teil von mir nach Draußen
zu bringen.
Und das hinterlässt einen leeren Raum in mir. Nach
jedem Bild verspüre ich eine körperliche Müdigkeit und einen leeren Kopf, als
hätte jemand in dem ganzen Chaos, das bis vor wenigen Augenblicken mein Denken,
mein Blut und meine Adern beherrschte und darin pulsierte, Ordnung geschaffen.


Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie können wir das Detail
in der Kunst betonen, indem wir kulturelle und religiöse Unterschiede als
positiv aufzeigen und diese gleichzeitig zu einem universalen, menschlichen
Wert erheben?
Antonietta Chiodo: Das muss sein, auch wenn es viele
stört. Man muss zwischen Kunst und Handwerk unterscheiden. Denn viele malen auf
die Leinwand und halten sich für Künstler, aber die Sache ist nicht so einfach.
Wir befinden uns in einem extrem chaotischen historischen Zeitalter, aber
nicht, wie viel denken, wegen des Verlustes von Werten, sondern infolge des
Verlustes des Mutes. Daher soll die mutige Kunst hervorbehoben werden, die
Kunst, die den reinen Körper und die Schönheit zeigt, die sich in einem
Geschlechtsakt verbirgt, ohne sich dafür zu schämen. Es gibt immer noch
Menschen, die Liebe und Schönheit als Gotteslästerung bezeichnen! Aber dem ist
nicht so. Denn die Kunst muss wagen, angreifen, stören, einen Schnitt im Herzen
des Betrachters hinterlassen, Zweifel aufkommen lassen, den Vergleich zwischen
verschiedenen Kulturen zulassen, Gruppen ethnischer und experimenteller Kunst
schaffen. Meine persönliche Kunst bedeutet Suche, naiver und moderner Stil, die
mich in nichts anderem darstellen als in mir selbst. Ich vertrage die
Imitateure nicht. Denn wer keinen Mut hat, ist kein Künstler.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie kann die Kunst heute
zum Frieden beitragen?
Antonietta Chiodo: Gute Frage. Der Ausgangspunkt ist der
Vergleich ohne gemeine Worte und ohne Hass und Hetze. Die Kunst hat einzig und
allein die Aufgabe, eine Idee zu säen. Viele Menschen führen ihre Kriege, um
eine Friedensperspektive zu vertreten und beleidigen und lassen ihrer Wut
freien Lauf. Die Geschichte lehrt uns vieles, aber vor allem zeigt sie uns auf,
dass Blut zu Blut und Hass zu Hass führt. Ich mache dir ein Beispiel, das vielleicht
zu deiner Frage passen könnte oder auch nicht. Ein großes Beispiel einer Frau
war für mich immer schon Maria Magdalena. Sie hat den Ruf einer Frau schlechter
Sitten, die von Jesus gerettet wurde. Aber dem ist nicht so. Denn wer die
Geschichte des Altertums studiert und sich über die antiken religiösen Quellen
informiert, worunter auch die Sanskritevangelien, findet, dass Magdalena eine
wundervolle Frau war. Sie war eine noble Frau und eine Gelehrte, die Jesus bei
der Verbreitung seiner Botschaft des Friedens und der Schönheit unterstützte.
Dies führt uns wiederum zurück auf das Symbol der
Frau, die zerstört werden muss, weil sie bescheiden ist und bedingungslos
lieben kann. Sie liebt ohne Bedingungen und ohne Erwartungen. So kann die Kunst
den Frieden fördern und Dinge erschaffen, ohne dass das Geld Einfluss darauf
hat und ohne keinerlei Vorurteile. Die Kunst muss frei für alle sein. Die
Ausstellungen dürfen nichts kosten. Sie müssen kostenlos sein, damit alle das
Recht erhalten, die Kunst zu lieben und zu besitzen.