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ProMosaik e.V. im Gespräch mit Wilhelm Langthaler des AIK


Liebe Leserinnen und Leser,

anbei unser Interview zum Thema Palästina mit Herrn Wilhelm Langthaler des AIK.
Informationen über AIK finden Sie hier:
http://www.antiimperialista.org/de/about
Ähnlich wie in unseren Interviews vom letzten Jahr mit dem AIP und der MLPD möchten wir den wichtigen neoimperialistischen Aspekt des Nahostkonflikts zeigen.
Der Nahost-Konflikt ist kein religiöser Konflikt. Denn es geht um Land, im negativen Sinne um Landraub, um Kolonisierung eines Landes, in dem ein Volk lebt, das von dort mit Hilfe einer internationalen Propagandamaschine einfach verdrängt und staatenlos gemacht wird. Das ist die Nakba aus der neoimperialistischen Sicht.
Wir danken Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit 
Bitte schicken Sie uns auch Ihre Kommentare an info@promosaik.com
dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. 


Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche Hauptziele verfolgt das Antiimperialistische Lager
und warum ist es wichtig, die Problem Palästinas als das Resultat des
Neokolonialismus zu sehen?
Wilhelm Langthaler: Das Antiimperialistische Lager versucht die Stimme der
globalen Peripherie, der Unterdrückten und Opfer des Weltsystems auch im
Zentrum Europas hörbar zu machen. Wir unterstützen den Widerstand gegen das
gleichzeitig kapitalistische wie imperiale System und versuchen das
universell-emanzipatorische Moment zu fördern. Denn eines der Probleme des Widerstands
ist, dass er kulturalistisch zersplittert.
Und natürlich verstehen wir uns als Teil einer sozialen
und demokratischen Systemopposition in Europa selbst. Jetzt gerade engagieren
wir uns für den griechischen Widerstand gegen die Schuldknechtschaft, in diese
sie von der EU-Finanzoligarchie gezwungen wurden. Bleiben sie hart, dann kann
das ein Signal für die Opfer des Neoliberalismus in ganz Europa sein.
Palästina ist zwar winzig klein, aber es ist symbolisch
zentral. Hier spiegeln sich alle Widersprüche des Systems wider. An Palästina
zeigt sich, wie viel wert die westliche Werte wirklich sind. Es ist die Rede
von gleichen Rechten und Demokratie für alle. Tatsächlich setzt sich hier ein
brutaler westlicher Kolonialismus fort, der den Palästinensern die politische
Selbstbestimmung verweigert. Zur Rechtfertigung wird in perfider Weise der
Holocaust missbraucht, der vom deutschen Kapitalismus zu verantworten ist. Aber
nachdem die westlichen Eliten den meist kommunistischen Widerstand weggewischten,
sich als antifaschistisch und demokratischen geläutert wähnen und sich nunmehr
als Opfer der (islamischen) Barbaren aus der Peripherie darstellen, wird der
(Neo)kolonialismus als Selbstverteidigung präsentiert. 
Dr. phil. Milena Rampoldi: Was bedeutet die Initiative von Walter Herrmann und seiner
Klagemauer und warum ist sie so wichtig?
Wilhelm Langthaler: Jede Aktion, die zur Aufklärung der Situation in
Palästina beiträgt, ist von großer Wichtigkeit. Unsere Medien transportieren
das zionistische Narrativ wie eine Art Religion. Jede Kritik daran wird mit dem
Vorwurf des Antisemitismus belegt – ein Rufmord angesichts unserer Geschichte.
Darum sind Initiativen wie jene von Walter Herrmann, der sich nicht mundtot
machen lässt, so wichtig. Bezeichnend ist, dass die deutsche Justiz ihn dafür
verurteilt. Die Begründungen sind abenteuerlich: „Recht auf Nichtinformation“
oder „jugendgefährdende Bilder“. Ja, freie Meinungsäußerung hat die
Herrschenden oft schon gestört, auch jene die im Namen der Meinungsfreiheit
gerne Krieg führen.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Was können wir von UNTEN als KLEINE Leute heute für eine
gerechte Lösung in Nahost tun?
Wilhelm Langthaler: Genau das was Walter Herrmann macht. In kapillarer Weise
über den israelischen Kolonialismus und die westliche Unterstützung
informieren. Den Mund aufmachen. Sich nicht einschüchtern lassen.
Schon diese moralische Empörung ist gut und wichtig.
Noch besser ist es allerdings, dass gesamte Narrativ des Zionismus zu zerlegen,
das den Holocaust mit ihrem kolonialen Anspruch auf Palästina verknüpft. Der
Massenmord an den Juden rechtfertigt in keiner Weise die Unterwerfung und
Vertreibung der Palästinenser. 
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie können wir den Doppelstandard und die Scheinheiligkeit
der Medien, wenn es um Palästina geht, bekämpfen?
Wilhelm Langthaler: Der Schlüssel dazu ist der Hinweis, dass Demokratie und
Selbstbestimmung für alle gelten muss. Da hat Kolonialismus keinen Platz, auch
wenn er den Holocaust noch so sehr für seine antidemokratischen und
imperialistischen Ziele benutzt. Frieden kann es nur geben im Rahmen eines
demokratischen Staates für alle seine Bewohner, also auch die Araber.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Warum ist der Boykott des zionistischen Regimes heute so
wichtig? Und welche Hauptstrategien sehen Sie?
Wilhelm Langthaler: Es ist ein symbolischer Akt der an die Kampagne gegen
die Apartheid in Südafrika anknüpft. Auf ganz einfache Art und Weise kann jeder
Bürger zum Ausdruck bringen, dass er gegen den Zionismus aufsteht. 
Dr. phil. Milena Rampoldi: Erklären Sie den Leserinnen und Leser, was Sie unter Recht
auf Widerstand verstehen, wenn es um die Palästinenser heute geht?
Wilhelm Langthaler: Widerstand gegen fremde, koloniale Besatzung ist ein in
der UNO-Charta verbrieftes Recht – einschließlich des bewaffneten Kampfes.
Sofort kommt der Einwand des Terrorismus, ein Vorwurf
der immer dann gemacht wird, wenn eine bewaffnete Bewegung sich gegen die
Interessen des Westens richtet. Stimmt sie indes mit den Interessen des Westens
überein, so handelt es sich schnell um Freiheitskämpfer. Beispiele gibt es
viele: offensichtlich war es im Kosovo. Interessant wird es dann, wenn sich die
Interessenslagen jäh ändern. Der kurdische Befreiungskampf in der Türkei galt
als terroristisch, weil die Türkei ein Nato-Land ist. Als aber der Islamische
Staat zum noch größeren Feind aufstieg, unterstützte der Westen auf einmal die
syrischen Kurden, die jedoch eng mit jenen in der Türkei verbunden sind. Der
Ton änderte sich schlagartig. Der Vorwurf des Terrorismus hat also weder mit
den Zielen noch mit den Methoden etwas zu tun, sondern lediglich mit der
Beziehung zu den westlichen Interessen.
Nächstes Argument ist der vorwiegend islamische
Charakter des Widerstands. Dieser wird als reaktionär, mittelalterlich
antiemanzipatorisch etc. verstanden. Damit wird verdeckt, dass es sich dennoch
im Kern um einen Kampf gegen den Kolonialismus handelt, der aus verschiedenen
historischen Gründen eine kulturalistische Form angenommen hat – wie im Übrigen
auch die Intervention des Westens. Man erinnere an Huntingtons „Krieg der
Kulturen“ und Bushs „Kreuzzüge“.
Völkerrechtlich und moralisch legitimer Widerstand muss
aber nicht immer automatisch auch politisch sinnvoll sein. Denn militärisch
steht hinter Israel die geballte Macht des Westens und insbesondere der USA.
Der Widerstand, auch der bewaffnete, hat also vor allem einen
politisch-symbolischen Zweck, um in der arabischen Welt und global die Kräfte
zu mobilisieren, die notwendig sind, um den Kolonialismus zu beenden.
Bei aller Kritik an gewissen militärischen Aktionen
dürfen aber nie die Relationen außer acht gelassen werden. Beim letzten
israelischen Krieg gegen Gaza starben Tausende Palästinenser, unzählige wurden
verletzt, noch mehr wurde die Lebensgrundlage entzogen – selbstredend
mehrheitlich Zivilisten. Auf israelische Seite standen eine handvoll Toter, bis
auf wenige Ausnahmen alles Soldaten.
Während Israel im Namen seiner Selbstverteidigung das
Recht auf Völkermord in Anspruch nimmt, verteidigen wir das Recht auf
Widerstand für Demokratie und Selbstbestimmung für alle.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie kann man sich als
Palästina-Aktivist heute am besten gegen Verleumdungen wehren?
Wilhelm Langthaler: Zunächst einmal nur sehr
mangelhaft, da wir einen Kampf David gegen Goliath führen. Die Übermacht der
proisraelischen Medien ist erdrückend. Und die Justiz, ja das gesamte
politische System ist einseitig parteiisch.
Einerseits darf man keine Angst
haben, sich zu isolieren, die Wahrheit zu sagen, Widerstand zu leisten – dafür
muss man auch einen gewissen Preis zu zahlen bereit sein.
Auf der anderen Seite muss man sich
mit Intelligenz verteidigen. Der Zionismus hat keine große Angst vor
traditionellem Antisemitismus – immerhin ist er historisch eine Art Inversion,
eine Spiegelung dessen. Hauptfeind ist seit langen der „linke Antisemitismus“.
Damit ist der demokratische Antizionismus, der Antiimperialismus, die legitimen
Erben des Antifaschismus gemeint. Der Vorwurf wird von immer weniger Menschen
geglaubt. Immer mehr verstehen, dass er instrumentell ist, missbraucht wird.
Letztlich versuchen wir mit unserem
ganzen Tun unter Beweis zu stellen, dass eine antikoloniale, demokratische
Lösung des Palästina-Konflikts nicht nur im Interesse der Araber ist, sondern
auch die Juden vor Antisemitismus schützt. Denn die israelischen Verbrechen
führen nicht nur zu antizionistischem Widerstand, sondern gießen auch Öl ins
Feuer eines traditionellen Antisemitismus, den wir weiterhin bekämpfen.