General

Unsere Artikel über die Flüchtlinge als Mitmenschen auf islamiq

Liebe Leserinnen und Leser,

möchte mich bei Islamiq für die Veröffentlichung unseres Artikels über die Flüchtlinge als Mitmenschen bedanken.

Dankend

Aygun Uzunlar von ProMosaik e.V.

http://www.islamiq.de/2015/04/26/notwendigkeit-einer-ethisch-humanistischen-wahrnehmung/

Flüchtlingsdebatte

Notwendigkeit einer ethisch-humanistischen Wahrnehmung

Nach
der jüngsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer stellt sich erneut
die Frage, wie man solidarisch mit Flüchtlingen umgehen kann. Dr. Milena
Rampoldi beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Islam- und
Flüchtlingsfeindlichkeit und stellt Handlungswege vor.

Flüchtlingsproblem im Mittelmeer: das ist die Frage, auf die
Politikerinnen und Politiker mit den sogenannten “Maßnahmenpaketen” nach
Lösungen suchen. Tausende verzweifelter Menschen versuchen Tag für Tag
über das Mittelmeer Europa, vor allem Italien, zu erreichen. Für
Hunderte von ihnen endet der Traum eines besseren Lebens im Massengrab
Mittelmeer. Nach der jüngsten Katastrophe vor Lampedusa fragen wir uns,
wie es dazu kommen konnte. Die libysche Schleusermafia nimmt die
verzweifelten Menschen aus. Die italienische Küstenwache kann sie nicht
alle retten. Italien fordert Hilfe von den europäischen Nachbarn. Dabei
vergisst man, dass der Ansatz völlig falsch ist, weil die Bezeichnung
des Problems semantisch schon nicht auf das fokussiert, worum es dabei
wirklich geht, und zwar um Mit-Menschen.

Ich finde, wir sollten das Thema anders benennen und nicht mehr von
einem “Flüchtlingsproblem” für uns Europäer – die ehemaligen
Kolonisatoren des gesamten afrikanischen Kontinenten und des Nahen
Ostens – im Mittelmeer sprechen, sondern wohl eher von der Flucht
Tausender verzweifelter Mitmenschen aus den ärmsten Ländern der Welt,
aus ihrer Heimat hin zu einem Traum eines besseren Lebens in der Ferne.
Durch korrekte Information und Bewusstseinsbildung über die Bedingungen
dieser Länder, wie Bürgerkrieg, Armut, Unterernährung, Diktatur,
Sklaverei, Krankheiten, Wassermangel, Perspektivenlosigkeit ist schon
mal ein erster Schritt in die richtige Richtung geschafft.

Sehr viele dieser armen Länder, aus denen unsere Mitmenschen stammen,
sind muslimische Länder. Hier kommt die Aufgabe der in Deutschland
lebenden Muslime aus allen Ländern zum Tragen. Die Musliminnen und
Muslime, die in Deutschland leben, müssen ihre Brückenfunktion
wahrnehmen und leben.Denn Islam- und Flüchtlingsfeinde schaffen es doch
auch,diese Thematik zugunsten ihrer Gesinnung zu lenken. Warum sonst
konnte PEGIDA so einen starken Zulauf verbuchen?

PEGIDA nutzt die Flüchtlingsdebatte aus

PEGIDA ist vor allem auch eine
anti-islamische Bewegung, weil zurzeit viele Flüchtlinge-Mitmenschen aus
armen Regionen der muslimischen Welt stammen. Wir sehen in Europa
gleichzeitig die Wut und die Trauer wegen der vielen Toten im
Mittelmeer, aber andererseits nutzen Bewegungen wie PEGIDA und ihre
Parallelorganisationen gerade diese unschuldigen Toten, um parallel zum
Feindbild Islam auch das Feindbild des Flüchtlings aufzubauen. PEGIDAs
Erfolg ist ein offensichtliches Zeugnis der steigenden Islam- und auch
Flüchtlingsfeindlichkeit. Und genau gegen diese Feinbilder Flüchtlinge
und Islam können wir als multikulturelle Gemeinschaft entgegenwirken.

Einerseits bedeuten die Parallelen
zwischen diesen Feindbildern den Erfolg von Pegida, aber andererseits
bedeuten sie auch das Ende von PEGIDA, da diese verzweifelten
Flüchtlinge sicherlich nicht den imperialistischen Islam verkörpern, der
Europa erobern möchte. Daher sind die PEGIDA-Thesen leicht auszuhebeln.
Vor allem auch durch den Zusatz von wahrem Informationsfluss über die
Herkunftsländer dieser Mitmenschen, derer zukünftige Unterkünfte man
abzufackeln wagt. Denn wer von islamischer Eroberung des Westens spricht
und sich dann die Fotos der unterernährten Kinder aus Mali oder Niger
ansieht, die an Noma erkranken und aus Schande dann in die Ställe
gesperrt werden, glaubt wohl schwer an die These der Eroberung des
Abendlandes von Seiten eines imperialistischen Petroislams, der sich den
Westen aneignet, islamisiert, ent-christianisiert und in eine
ISIS-Schariadiktatur verwandelt.

PEGIDA erzeugt nämlich ein so
falsches Bild des Armutsflüchtlings und des politischen Verfolgten aus
den Ländern südlich der Sahara, weil PEGIDA über diese Mitmenschen
einfach nichts weiß. Sowohl geographisch, als auch religiös und
kulturell. PEGIDA spricht von den Schmarotzerflüchtlingen, die Europa
islamisieren wollen und uns hier den Reichtum wegnehmen und gleichzeitig
kriminell sind. Und dann liegt ein erstochener Flüchtling auf der
Straße und die Polizei fragt sich, ob die Tat vielleicht doch
rechtsradikal motiviert war. 

Flüchtlinge als Individuen wahrnehmen

Ein zweiter Punkt, der für mich im
Diskurs über Flüchtlingspolitik wichtig ist, ist neben der Information
über die Herkunftsländer zwecks Entkräftigung der Thesen der Rechten,
auch die Darstellung der Flüchtlinge im Kontext ihrer ursprünglichen
Gesellschaft, in der wie bei uns soziale, wirtschaftliche und ethnische
Vielfalt herrscht. Dies wirkt der Entmenschlichung des Flüchtlings, vor
allem durch die Neonaziszene, entgegen. Denn der Flüchtling ist keine
Nummer auf einem Massengrab in Malta, keine Nummer in einem
Flüchtlingsheim in Lampedusa und auch keine Nummer auf der
Abschiebungsliste der deutschen Behörden, sondern ein Mensch oder besser
gesagt ein Mit-Mensch. Denn Mensch bin ich nur, weil ich mich mit
meinem Mit-Menschen konfrontiere, indem ich in der Gesellschaft lebe und
agiere. Die Ich-Du-Beziehung gilt auch für den Mitmenschen, der bei uns
seinen Asylantrag stellt.

Das Problem des Rassismus und der
Diskriminierung besteht aber gerade darin, dass man dem Anderen den
Status des Mitmenschen aberkennt und ihn entmenschlicht oder seine
Menschlichkeit verzerrt. Vorurteile kann man abbauen, indem man mit
diesen Mitmenschen in Kontakt tritt, Entmenschlichung nicht. Ich würde
offene Tage in den Flüchtlingsheimen, Vorträge von Flüchtlingen über
ihre Heimat und ihre Probleme vorschlagen, Sprachkurse in Paaren (ein
Deutscher und ein Flüchtling, die sich gegenseitige ihre Sprachen
beibringen), Kochworkshops, musikalische Veranstaltungen u.v.m. 

Ganzheitliche Entwicklungshilfe ist erforderlich

Nur mit einem radikalen Humanismus
und mit soliden ethischen Werten kann Rassismus und Diskriminierung von
Flüchtlingen entgegengewirkt werden. Dieser Ansatz des radikalen
Humanismus kann dann auch parallel auf die Entwicklungshilfe umsetzen,
die vor Ort je nach Land abgestimmt werden muss. Vor allem in den
muslimischen Ländern soll sich auch die Entwicklungshilfe an den
ethischen und religiösen Werten des Islam orientieren, damit sich die
Menschen auch identifizieren können und sich nicht von den
Entwicklungshelfern kolonisiert fühlen. Entwicklungshilfe ist eine
Solidarität, die Kultur und Religion des Landes respektiert, die
Mitmenschen im Lande würdigt, ohne ihnen westliche Wertvorstellungen
aufdringen zu wollen. Entwicklungshilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe.
Entwicklungshilfe bedeutet Pädagogik, Bewusstseinsbildung und Erziehung.
Dasselbe gilt für die Flüchtlingsarbeit in Deutschland. Integration ja,
Assimilierung nein. Die Mit-Menschen bereichern unsere Gesellschaft
mehr, wenn sie ihre Identität beibehalten und unsere Diversität
kennenlernen und in dieser positiven Dialektik leben und agieren.
Deutschland sieht sich vielfach noch nicht als Einwanderungsland.

Wenn Politiker der NPD sagen, dass Einwanderung keine Bereicherung
für Deutschland darstellt, so halten wir denen Folgendes entgegen:
unsere Mit-Menschen sind eine Bereicherung, ihr Du trägt zur Entwicklung
unseres Ich auf der sozialen, psychischen und kulturellen Ebene bei. Es
entsteht ein Wir der bunten Art. Niemand sehnt sich mehr danach, in die
braune Suppe zu springen, denn bunte Vielfalt, interkulturelle und
interreligiöse Empathie sind die neuen Parolen aller Mitmenschen dieser
Gesellschaft. Das ist meine Utopie. Aber eines muss der Staat mit harter
Hand schaffen: er muss die Schleusermafia zerschlagen. Wenn die
Verbrennung von Schiffen die Lösung ist, dann soll dies geschehen.
Einher mit der Entwicklungshilfe vor Ort kann eine humanistische
Flüchtlingspolitik wegweisend sein für das Europa von Morgen, zu dem der
Islam dazugehören wird, wie zum Sizilien und zum Andalusien des
Mittelalters.