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ProMosaik interviewt Frau Brigitte Schulz von Schalom-Salaam zum Thema des interreligiösen Dialogs zwischen Judentum und Islam


Liebe Leserinnen und Leser,
anbei ein schönes Interview zum Thema des interreligiösen
Dialogs zwischen Islam und Judentum. Wir haben zu diesem Thema die Muslimin
Frau Brigitte Schulz von der Initiative Schalom-Salaam in Berlin Neukölln
interviewt. 
 
Persönlich finde ich, dass es sehr viele positive
Ansatzpunkte für einen Dialog zwischen Judentum und Islam im Rahmen des Dialogs
unter den monotheistischen Religionen gibt und dass Juden und Muslime jenseits
des Zionismus immer schon Freunde waren und bis heute friedlich zusammenleben
können.
Zum Thema des möglichen Zusammenlebens zwischen Juden und
Muslimen ist auch dieser Artikel von Armin Langer, der auf Islamiq erschienen
ist, lesenswert:

http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/04/muslime-und-juden-sind-keine-feinde-ein.html

Die Geschichte lehrt mich, dass dieses Zusammenleben
möglich ist. Und sehr viele sehen das auch so. Die Osmanische Geschichte ist
ein wichtiges Beispiel hierfür.
Juden und Muslime haben in den muslimischen Ländern über
Jahrhunderte friedlich zusammengelebt.
Freue mich auf Ihre Kommentare hierzu.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche
sind für Sie die Grundsätze eines gelungenen interreligiösen Dialogs zwischen
Judentum und Islam heute?

Frau Brigitte Schulz: Man muss die Gemeinsamkeiten suchen und diese der Öffentlichkeit
vorstellen. Wie man so schön sagt, da wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Diejenigen, die sich mit dem interreligiösen Dialog beschäftigen, haben fast
immer großen Respekt gegenüber den Anderen. Es ist aber auch wichtig, diesen
gegenseitigen Respekt der Öffentlichkeit näher zu bringen. 

Mit Öffentlichkeit
meine ich in diesem Zusammenhang die Juden und die Muslime, die nicht
unmittelbar mit dieser Arbeit (des interreligiösen Dialogs) zu tun haben. 
Ich
wünsche mir auch, dass es gemeinsame Ausflüge (z.B. ins Museum) gibt, und vor allem,
dass es die Möglichkeit gibt, in einer andersgläubige Familie „einzutauchen“.
Damit meine ich eine Art Schnupperstunde bzw. einen Schnuppertag: als Muslim in
einer jüdischen Familie zu wohnen und deren Alltag zu erleben, und andersrum.
Das wäre meiner Ansicht nach der ideale Weg, um dem Anderen mit Demut und
Menschlichkeit zu begegnen und auch eine familiäre Verbindung herzustellen. 
Ich
denke auch, dass ein offener Dialog in der Schule notwendig ist: oft wird ein
interreligiöser und interkultureller Dialog verhindert, bzw. gar nicht
gefördert. Das ist sehr schade, zumal die Schule die Kinder auf das Leben in
der Gesellschaft vorbereiten soll. Gemeinsame Veranstaltungen zum Thema „Gläubig
sein in Deutschland“ wären sinnvoll. Das Problem betrifft leider nicht nur
Juden und Muslime, sondern alle anderen Menschen, die nicht ins Muster der
Mehrheitsgesellschaft passen.









Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie ist
dieser Dialog jenseits des Zionismus möglich und warum ist es wichtig, den
Zionismus unbedingt zu überwinden?

Frau Brigitte Schulz: Jedes Extremismus ist schlecht und verhindert das
friedliche Zusammenleben. Leider wird oft die kleine Zahl an Extremisten so
betrachtet, als würde sie die gesamte Gemeinschaft repräsentieren. Die
Unterscheidung findet meistens nicht statt, wenn die Leute sich nicht richtig
kennen und keinen engen Kontakt zueinander pflegen. Der Zionismus ist keine
Ausnahme. Gleichermaßen, wie man häufig hört „Muslime sollten sich vom
Extremismus distanzieren“, wäre es angebracht, dass sich auch die Juden vom
Zionismus distanzieren. In der deutschen Gesellschaft hat sich die jüdische
Gemeinschaft nicht öffentlich davon distanziert. Ich habe im Gegenteil oft
gelesen, dass viele mit der Politik von Israel einverstanden sind und die
israelische Armee unterstützen. Zum Glück kenne ich persönlich Juden, die
friedlich und offen gegenüber Muslimen sind. Der Idee der Gleichbehandlung
aller Religionen entsprechend, wäre es sehr schön, dass die Juden gleiche gesellschaftliche
Pflichten wie die Muslime haben: das heißt, sich auch vom Extremismus
distanzieren wie wir es tun. Zionismus kann nur dann überwunden werden, wenn
sich die in Deutschland lebenden Juden deutlich davon distanzieren.




Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche Hauptgrundsätze teilen sich Judentum und
Islam?

Frau Brigitte Schulz: Ich denke an die Lebensregeln: Essensregeln, die
Einhaltung des Schabbats und des Ramadan, die Beschneidung. Beide Religionen
haben auch Pilgerstätten im Nahen Osten bzw. auf der Arabischen Halbinsel. Die
orientalische Kultur findet man bei vielen Israelis wieder. Auf der Ebene der
spirituellen Lehre lassen sich viele Gemeinsamkeiten feststellen, die natürlich
darauf zurückzuführen sind, dass beide Bücher, Thora und Koran, denselben
heiligen Ursprung haben.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie können Judentum und Islam als gemeinsame Kraft
in Deutschland gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit eintreten?

Frau Brigitte Schulz: Eine Idee wäre, Studenten und Religionsfachleute
zusammenzubringen und ein Programm aufzubauen, um alle Gemeinsamkeiten aufzuzeigen
und die Grundsätze der beiden Religionen zu erörtern. Mit diesem Programm
könnte dann eine Info- und Sensibilisierungskampagne gestartet werden, zum
Beispiel mit Plakaten an den Bushaltestellen, oder Musik/Rap Veranstaltungen
auf öffentlichen Plätzen (auf den Straßen, neben Einkaufszentren, usw.). Juden
und Muslime müssen sich erst kennenlernen und dann gemeinsam, mit einer
einzigen Stimme, nach Außen treten und die Mehrheitsgesellschaft
sensibilisieren und informieren. Es wäre darüber hinaus auch von wesentlicher
Bedeutung, eine Menschenrechtsorganisation zu gründen. Diese sollte aus jüdischen
und muslimischen Fachleuten sowie aus kompetenten und interkulturellen
Sozialarbeitern und Soziologen bestehen. Es sollte auch auf juristischer Ebene eine
starke und enge gemeinsame Interessensvertretung ins Leben gerufen werden, um eine
effektivere Bekämpfung des Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit in Einem
zu fördern. Ich möchte aber an dieser Stelle auch anführen, dass die arabischen
Muslime auch „Semiten“ sind. Daher finde ich die Anklage, die Araber seien
Antisemiten einen inneren Widerspruch. Anstatt Semiten zu beschuldigen,
Antisemiten zu sein, sollte man wohl eher die Gesellschaft darüber informieren,
dass Muslime und Juden seit jeher verwandt sind und daher keine Fremde. 




Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche konkreten Projekte sind wirkungsvoll, damit
sich Juden und Muslime konkret kennenlernen und übereinander erfahren?

Frau Brigitte Schulz: Bei dieser Frage dachte ich sofort an ein Lebensmittelgeschäft
in Paris: dort werden Lebensmittel angeboten, die den jüdischen und muslimischen
Essensregeln entsprechen. Ich denke nicht, dass dort unglaublich viele
Freundschaften geschlossen werden, aber die Tatsache im selben Geschäft
einzukaufen, finde ich besonders rührend. Es wäre deshalb auch sehr angenehm,
Cafés oder Gaststätten in Deutschland zu haben, die sich an die jüdischen und muslimischen
Essensregeln halten. Das Koscher genügt den Halal-Anforderungen, umgekehrt gilt
dies aber nicht. Denn das Halal Essen ist eine vereinfachte und gelockerte
Variante des Koschers. Es wäre schön, solche Orte, an denen man nach den
jüdischen und muslimischen Essensregeln essen kann, besonders den Jugendlichen
zugänglich zu machen. Die Jugend ist schließlich unsere Zukunft. In Berlin ist
zum Beispiel die Saalam-Schalom Initiative in Neukölln in dieser Hinsicht sehr
lobenswert: hier finden Juden und Muslime (aber auch andere) ein Forum, um über
Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu sprechen und die Gesellschaft darauf
zu sensibilisieren. Die Arbeit dieser Initiative ist nicht nur darauf
gerichtet, Juden und Muslime zusammenzuführen, sondern auch bei aktuellen
Fragen eine gemeinsame Stellungnahme darzubieten und aktiv (durch
Veranstaltungen, Interviews) in der Medien- und Politikwelt für eine Akzeptanz
beider Glaubensgemeinschaften zu fördern, und dies ohne Diskriminierung bzw.
Bevorzugung einer der beiden Gruppen.






Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist neben der religiösen Komponente die
interkulturelle Komponente zwischen Muslimen und Juden?

Frau Brigitte Schulz: Wie bereits oben geschildert, stammen viele Muslime und
Juden aus dem Nahen Osten und teilen somit dieselbe orientalische Kultur. Aber ein
Teil der Muslime und Juden stammen auch aus Mittel- oder Osteuropa: sie gehören
zu Europa im selben Masse wie die christliche Mehrheit. Da viele Menschen, die
aus einer muslimischen oder jüdischen Familie stammen, sich von der Religion
distanzieren, indem sie diese nicht mehr praktizieren oder den Glauben
verlieren, kann man nicht auf die interkulturelle Komponente verzichten. Die
interkulturelle Dimension ist nämlich besonders wichtig angesichts der
Tatsache, dass die Missstände, Vorurteile, Missverständnisse und vor allem die
Desinformation den neuen  Generationen automatisch
weitergegeben werden, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Ich denke auch an
einige Dörfer in Marokko, wo Juden und Muslime Nachbarn sind: sie stammen alle
aus demselben Ort und leben hier seit Jahrhunderten zusammen. Ihr Zusammenleben
ist ein Beispiel dafür, dass Juden und Muslime sehr wohl miteinander in einer
Gemeinschaft leben können. In Marokko ist es die gemeinsame Identität als
Marokkaner, die eine wichtige Rolle spielt, um diese Menschen
zusammenzubringen. In Deutschland ist es die deutsche Identität, die den
gemeinsamen Nenner darstellt. Es wäre deshalb schön, dieses mögliche Zusammenleben
zu genießen, die Vorteile dieses Zusammenlebens zu erkennen und die
Unterschiede erstmals auf die Seite zu legen.