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Dr. Jean Joseph Lévy: eine Stimme für das Zusammenleben zwischen Juden und Muslimen

Liebe Leserinnen und Leser,
freue mich heute sehr, Ihnen das Interview mit Dr.
Jean Joseph Lévy vorzustellen. Er ist ein Jude marokkanischer Herkunft und
lebt heute in Berlin. Sein 2011 verstorbener Vater, Universitätsprofessor Simon Lévy, ist der Gründer des
einzigen Museums jüdischer Geschichte in der arabischen Welt, in Casablanca.
Simon Lévy ist für mich ein Symbol mit seiner so schönen Aussage:
Meine Religion
ist das Judentum und meine Kultur der Islam.
Ich finde diese Aussage großartig, weil sie uns
heute den Weg zurück zum Frieden zwischen Muslimen und Juden weisen kann. Dies
bedeutet natürlich für uns von ProMosaik eV. wiederum die Beschäftigung mit der
Geschichte vor dem Zionismus, vor allem mit der islamischen Geschichte, die
voller Beispiele des positiven und interaktiven Zusammenlebens von Juden und
Muslimen ist, und dies z.B. in Marokko und im Osmanischen Reich. Das zweite
Museum jüdischer Geschichte, das ich in der islamischen Welt kenne, befindet sich
nämlich in Istanbul.
Neben dem Hauptthema der jüdischen Gemeinde in
Marokko habe ich Dr.
Lévy auch über Nahost befragt. Israel will keinen
Frieden mit seinen Nachbarn und lebt hinter einer Mauer.
Nun möchte ich Dr. Lévy das Wort geben.
Danke Ihnen allen für die Aufmerksamkeit.
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.

Dr. phil. Milena Rampoldi: ProMosaik e.V. sieht sich als ein interkulturelles und interreligiöses
Portal für den Dialog. Wir finden, dass die Geschichte dazu dienen kann, den
Dialog zwischen Juden und Muslimen zu fördern. Wie sehen Sie das?
Dr.
Jean Joseph Lévy:
In der Tat kann man aus der Betrachtung der
Geschichte des Judaismus in der islamischen Welt einiges lernen. Der Islam
erkennt ja den Status der „Dhimma“ für Juden Christen und einige andere
monotheistische Religionen wie die Mandäer an. Ein Status der sicherlich die Asymmetrie
festschreibt aber immerhin ein Kodex, das in Gesellschaften wie die des
osmanischen Reiches oder des präkolonialen Marokkos einen gewissen Rahmen für
die Interaktion zwischen den einzelnen sozioreligiösen Gruppen sicherte.
Die christlichen Staaten Europas kannten zu dieser
Zeit kein besonderes Regelwerk für das Zusammenleben der Angehörigen
unterschiedlicher Religionen. Erst mit den Gedanken der Aufklärung im 18.
Jahrhundert wurde darüber nachgedacht den Juden überhaupt den Status eines
Bürgers zu verleihen. In Laufe  der
vergangenen fünfhundert Jahre flohen Juden zweimal aus dem christlichen
Abendland und fanden Asyl in der islamischen Welt. Die spanische Reconquista
des fünfzehnten Jahrhunderts und der europäische Faschismus des zwanzigsten
Jahrhunderts hatten beide das erklärte Ziel das Judentum zu vernichten. In
beiden Situationen flohen Juden vor dieser Verfolgung und fanden Asyl in der
Islamischen Welt. Im fünfzehnten Jahrhundert haben der osmanische Herrscher und
der marokkanische König eine für die damalige Zeit bedeutende Anzahl von
Menschen aufgenommen und Ihnen erlaubt ihre Religion weiterhin auszuüben.
Während der Hitlerdiktatur fanden etwa 1000 deutsche und österreichische Juden
Asyl in der neutralen Türkei. Der marokkanische König Mohammed V, der 1940
keine reale Macht ausübte, zeigte trotzdem den französischen Vichy-Faschisten
seine Ablehnung der jüdischen Gesetze, die Frankreich damals gerade in Marokko
einführte. Es sind Beispiele aus der Geschichte,  die Juden und Muslime besonders
heute zum Nachdenken anregen sollten.

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie
wichtig sind Initiativen wie das von Seiten Ihres Vaters gegründete Museum
für Jüdische Geschichte in Casablanca?

Dr.
Jean Joseph Lévy:
Die jüdische Gemeinde in Marokko zählt gerade noch
2500 Mitglieder. Eine massive menschliche Interaktion zwischen Juden und
Muslime findet im tagtäglichen Leben nicht mehr statt. Die Menschen, die diese
Interaktion erlebt haben, sind in Marokko jetzt mindestens fünfzig Jahre alt.
Marokko droht also das Vergessen. Die heutige Jugend Marokko muss die
Geschichte ihres Landes und seine Vielfalt kennen. Dies ist von zentraler
Bedeutung um die Toleranz in der Gesellschaft zu fördern. Das Museum ist aber
nicht nur für marokkanische Moslems gedacht. Viele Juden marokkanischer
Herkunft die im Ausland leben haben keine klare Idee mehr, was ihre Vorfahren
2000 Jahre lang auf diesem Fleck Erde getan haben, welche Sprachen sie
sprachen, wo sie überhaupt herkamen, wie sie lebten. 
Hier finden Sie einen sehr aufschlussreichen Artikel über das jüdische Museum von Casablanca:
http://www.terredisrael.com/infos/un-musee-marocain-met-en-valeur-le-patrimoine-culturel-juif-par-ftouh-souhail/ 

Anbei ein Film zu diesem einzigen Museum jüdischer Geschichte in Casablanca:

http://fr.jn1.tv/video/news/visite-au-mus-e-du-juda-sme-marocain-casablanca.html

Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie
würden Sie unseren Leserinnen und Lesern diese so wichtige Aussage Ihres Vaters
erklären: Meine Religion ist das Judentum und meine Kultur der Islam?

Dr.
Jean Joseph Lévy:
Die Kultur der marokkanischen Juden ist eine
Variante der arabisch-amazighischen Kultur Nordafrikas. Von der Sprache bis zur
Musik über die Heiligenverehrung ist das jüdische eingebettet in diesen
arabisch-amazighischen Kontext.

     Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie kann
die Erfahrung der Juden in Marokko dazu beitragen, den Dialog zwischen Juden
und Muslimen zu verbessern?
     
Dr.
Jean Joseph Lévy:
Marokko lebt eine Normalität in Bezug auf Judaismus.
Die Juden haben zwar eine alternde aber funktionierende Gemeinde mit allen
Dienstleistungen, die zur Religionsausübung notwendig sind. Am Instanz Gericht
in Casablanca ist noch eine hebräische Kammer mit fünf Rabbinern in ihrer
Funktion als Richter zu finden!
Hierzu ein interessanter Artikel in französischer Sprache zum Thema:
http://www.slateafrique.com/96487/maroc-les-juifs-aussi-ont-leur-tribunal
Jedes Jahr kommen tausende Juden um am Grab
besonders berühmte Rabbiner wie
Rbi Amran ben Diwan bei Wezzan oder Rbi Haim Pinto in Essawira
das Heiligenfest die „Hilloula“ zu zelebrieren. Diese Ereignisse finden mit der
vollen Unterstützung des marokkanischen Staates statt.
Die neue marokkanische Verfassung, die in gewisser
Weise unter dem „Druck“ des arabischen Frühlings entstanden ist, nennt das
Judentum als eine der Quelle der marokkanischen Kultur neben des amazighischen,
des arabisch-andalusischen und des saharawischen Einflusses. Diese Anerkennung
der Pluralität sucht heute von der Muluya bis zu Euphrat nach
einem vergleichbaren Text.

Dr. phil. Milena Rampoldi:  Welche
Möglichkeiten sehen Sie heute für einen Frieden in Nahost?

Dr.
Jean Joseph Lévy:
Ich glaube es ist langsam  Zeit offen die anzuprangern, die den Frieden
blockieren: die israelische Regierung. Der Friedensprozess ist am Nullpunkt angelangt und
Resignation hat sich breit gemacht. Die „Mainstream- Gesellschaft“ in Israel
lebt hinter einer Mauer, in gewisser Weise in „Exterritorialität“ zum nahen
Osten. Wenn man eine Mauer baut hat man kein besonderes Vertrauen zu seinen
Nachbarn entwickeln können. Ich bezweifele dass man diese Exterritorialität
noch über Jahrzehnte ausleben kann. Auf der anderen Seite der Mauer sind viele
Entwicklungen im Gange, die vielleicht etwas mehr Kreativität und Weitsicht
erfordern als ein Netanyahu anbieten kann. Wir erleben eine Quasinormalisierung
des Horrors, der wievielte Gaza Krieg ist es eigentlich? 
 
    Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche
sind die größten Hindernisse, die im Moment den Frieden zwischen Juden und
Palästinensern unmöglich machen?
Dr.
Jean Joseph Lévy:
Wie
ich es sagte das Haupthindernis für mich ist die israelische Regierung, die
sich weigert mit der palästinensischen weltlich-orientierten Autonomiebehörde
einen echten Frieden zu schließen und somit verhindert dass eine
Friedensdynamik, ja ein Pol der friedensliebenden Menschen entsteht. Im 21
.Jahrhundert müssen  wir erleben wie die
Kolonisierung ganzer Landstriche vor unseren Augen vollzogen wird, wie
aufrechte Menschen die nichts als in Frieden leben wollen  in die Verzweiflung getrieben werden. Dies geschieht
außerdem unweit von zwei extrem gefährliche Tragödien: der syrischen und der
irakischen. Man muss kein Prophet sein um zu sehen dass hier ein großes
Potenzial an Zerstörung sich zusammenbraut.