General

ProMosaik e.V. interviewt Herr Abraham Melzer


Liebe Leserinnen und Leser,
anbei das Interview unserer Redaktion mit Herrn
Abraham Melzer.
Viele von Ihnen kennen Herrn Melzer sicherlich schon
als Verleger und Herausgeber von „Der Semit“. Wir haben ihn natürlich auf das
Thema der wichtigen Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Antizionismus
angesprochen.
Wie für uns von ProMosaik e.V. ist die Politik nicht
die Bühne des Prinzen von Machiavelli, sondern ist mit Ethik und Moral
verbunden. Und damit hat das israelische Regime mit seiner Manipulierung des
Holocausts für die Durchsetzung seiner kolonialistischen Interessen einer
Siedlernation sicherlich nichts zu tun.
Herr Melzer beruft sich auf die jüdische Ethik von
Hillel, die wir bereits in unserem Interview mit Prof. Yakov Rabkin gesehen
haben: tu deinem Nächsten nie das an, was du nicht möchtest, dass man dir
antut.

Er berichtet uns des Weiteren über die Ziele seiner
Zeitschrift „Der Semit“, der grundsätzlich die pro-israelische Politik
Deutschland und die Verlogenheit des Zentralrates der Juden in Deutschland angriff.
Für mich als Muslimin wie auch für Herrn Melzer als Jude gilt dasselbe:
Zionismus darf und soll kritisiert werden, da er der falsche Weg ist.
Und jenseits des Zionismus liegt etwas Wichtiges und
auch die Lösung des Problems: die Freundschaft und die Solidarität von
Jahrhunderten zwischen Juden und Muslimen.
Freue mich auf Ihre Kommentare hierzu.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. 

Quelle:
buchmarkt.de
Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Wie
erklärt man den Deutschen am besten den Unterschied zwischen Israelkritik,
Antisemitismus und Antizionismus?
Herr Abraham Melzer:
Nun, zunächst einmal möchte ich den Begriff
„Israelkritik“ aus dieser Frage herausnehmen. Kritik ist immer erlaubt, ob an
Israel oder an Deutschland. Sie sollte sachlich sein und nicht übertreiben.
Falsche Kritik gibt es nicht. Jeder kritisiert von seinem Standpunkt aus.
Bleibt also Antisemitismus und Antizionismus: Der
Unterschied ist leicht zu erklären. Antisemitismus bedeutet Hass gegen Menschen
nur weil sie Juden sind. Natürlich müssen wir das ablehnen. Das ist purer
Rassismus, wie gegen Schwarze, nur weil sie schwarz sind oder Schwule, nur weil
sie schwul sind und die Liste könnte man endlos fortführen. Dagegen bin ich und
dagegen sollte jeder Mensch sein.
Antizionismus ist aber etwas ganz anderes. Es ist
eine Kritik an einer Ideologie, die kolonialistisch, nationalistisch ist und
gegen die man durchaus sein kann. Man sie mögen aber man kann sie auch
verachten. Wie jede andere Ideologie, Kommunismus, Faschismus, Imperialismus,
Kapitalismus und viele andere Ismen, kann man dafür sein und man kann dagegen
sein und jeder Seite hat ihre Argumente, die die andere Seite nicht mag. Es ist
aber perfide den Antizionismus als Antisemitismus zu bezeichnen, um so einer
Diskussion über den Zionismus zu vermeiden.

Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Wie
kann man die Manipulierung des Holocausts bekämpfen, um unbelastet an der
friedlichen Lösung der Palästinafrage zu arbeiten?
Herr Abraham Melzer:
Man kann die Manipulierung durch den Holocaust
bekämpfen nur dadurch, dass man sie ignoriert und nicht zur Kenntnis nimmt und
als Manipulierung erkennt. Zwar ist der Holocaust entscheidend an der Misere
schuldig, denn ohne Holocaust hätte es den Staat Israel kaum gegeben. Aber die
Israelis bringen den Holocaust immer wieder in die Debatte als Begründung
dafür, dass nur Israel sie vor einem neuen Holocaust retten kann, was meiner
Meinung nach absolut absurd ist.

Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Wie
wichtig sind für Sie die antizionistischen Juden in und außerhalb Israels
zwecks Lösung der Palästinafrage und warum?
Herr Abraham Melzer:
Eine schwierige Frage. Die Palästinafrage wird nicht
durch antizionistischen Juden gelöst werden, sondern durch eine andere Politik
des Staates Israel und dazu muss nicht Anti Zionist sein, sondern nur einen
gesunden Menschenverstand haben, einen Sinn für Gerechtigkeit, ein wenig klug
sein und die wichtigste Lehre des Judentums akzeptieren: Tue deinen Nächsten
nicht das an, was du nicht willst, dass man es dir antut. Wir,
antizionistischen Juden in Israel und außerhalb wollen die Israelis nur immer
wieder daran erinnern, dass zur Politik auch Moral und Ethik gehören.

Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Wie
würden Sie die Zielsetzung von „Der Semit“ und seine historische Kontinuität
unseren Leserinnen und Lesern am besten erklären?
Herr Abraham Melzer:
Unsere Zielsetzung war immer über die
Ungerechtigkeiten in der israelischen Politik informieren, um dadurch zu
helfen, dass auch hier bei uns Druck auf Israel entsteht, seine Politik zu
ändern. Wir haben auch unsere Politik, besonders die Kanzlerin, immer wieder
wegen ihrer pro israelischen Politik kritisiert. Wir haben aber auch
innerjüdische Fragen aufgegriffen und diskutiert, den Zentralrat der Juden
wegen seiner verlogenen Politik angegriffen und gefordert, dass er endlich der
Zentralrat der deutschen Juden wird und nicht der Juden in Deutschland. Denn
solange wir „Juden in Deutschland“ sind, sind wir hier Fremde und als solcher
fühle ich mich nicht.

Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Was
muss sich in Israel heute dringend ändern und warum?
Herr Abraham Melzer:
Heute, nach den Wahlen, könnte man mit den Worten
des bekannten israelischen Journalisten Gideon Levy antworten: Israel braucht
ein neues Volk und keine neue Regierung. Es blieb aber bei der alten Regierung
bzw. Regierungspräsidenten und es bleibt auch beim alten Volk. In Israel muss
sich dringend alles ändern, weil wenn sich nichts ändert, Israel früher oder
später untergehen wird.  Die Debatte um
einen Staat oder zwei Staaten ist ja schon längst entschieden und sie wird nur
proforma geführt. Längst hat Israel allein entschieden und zwar für einen
Staat. Und dieser Staat existiert schon etliche Jahre, denn die
palästinensische Autonomiebehörde ist nur eine Illusion, die gebraucht wird als
Feigenblatt für die gewaltsame Politik Israels. Netanjahu hat am Tag der Wahlen
klar und deutlich gesagt, dass es mit ihm keinen palästinensischen Staat geben
wird, und er meint es genauso wie er es gesagt hat. Er hat es schon immer so
gemeint, nur aus diplomatischen Gründen nicht gesagt. Ändern wird sich nur dann
etwas, wenn die Palästinenser sich erheben und sich die Unterdrückung durch die
Israelis nicht mehr gefallen lassen werden.
Die Israelis müssen einsehen, dass sie den
Palästinensern Unrecht getan haben, sie müssen sie um Vergebung bitten und mit
ihnen endlich ehrlich, fair und korrekt verhandeln. Aber davon sind sie leider
noch weit entfernt. Erst wenn auch sie anfangen werden zu leiden, werden sie
sich vielleicht ändern. Vielleicht. 

Dr.
phil. Milena Rampoldi:
Welche
Grundlage sehen Sie für einen gesunden interreligiösen und interkulturellen
Dialog zwischen Muslime und Juden jenseits des Zionismus?
Herr Abraham Melzer:
Jenseits des Zionismus gab und gibt es jede Menge an
Beziehungen zwischen Judentum und Islam. Der Zionismus hat alle Brücken
zerstört. Der sogenannte Judenhass in der arabischen Welt ist eine Lüge, die
der Zionismus erfunden hat, um erstens die Juden aus den arabischen Ländern, wo
sie relativ gut gelebt haben, auf jeden Fall besser und friedlicher als in der
christlichen Welt, nach Israel zu treiben und zweitens, um den Anspruch Israels
auf Palästina zu rechtfertigen.
Zwischen Juden und Muslime hat es Jahrhundertelang
gute und fruchtbare Beziehungen gegeben. Mehr als fünfhundert Jahre lebten sie
friedlich miteinander in Andalusien, wo sie unter den herrschenden Mauern,
Arabern, Minister und sogar Feldherren waren. Sie lebten Jahrhundertelang
friedlich im Osmanischen Reich, wohin sie geflohen sind, als sie aus Spanien
vertrieben wurden. Sie lebten Jahrhundertelang friedlich, erfolgreich und vollkommen
integriert im Irak, wo es eine ähnliche Symbiose gab wie in Spanien und in
Deutschland. Dass sie vertrieben wurden ist kein Resultat von Antisemitismus,
sondern Folge des israelisch-arabischen Konflikts. Ich weiß, dass viel gegen
diese Wahrheit gehetzt und gelogen wird. Aber es ist die Wahrheit und sie lässt
sich nicht verleugnen.