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ProMosaik e.V. interviewt Prof. Rabkin zu seinem Buch “Was ist Israel?”


Liebe Leserinnen und Leser,
Hier im Folgenden möchte ich
die wichtigsten Ideen, die Prof. Yakov Rabkin in seinem Buch „Was ist Israel“
erörtert, darlegen. Die Rezension des Buches haben wir bereits veröffentlicht
(vgl. hierzu:
http://www.promosaik.com/cms/deutsche-rezension-prof-rabkin-was-ist-israel/).
Wir haben Prof. Rabkin u.a.
zum Thema des Widerspruchs zwischen Judentum und Zionismus, der westlichen
Unterstützung Israels und der Zielsetzungen des christlichen Zionismus befragt.
Der
Zionismus ist eine nationale Bewegung, die gar nichts mit dem authentischen
Judentum und der jüdischen Ethik zu tun hat.
Der christliche
Zionismus verfolgt auch ein anderes Ziel als das wahre Judentum, indem er die
Juden zwingt, Jesus als den Messias anzuerkennen. Der Westen unterstützt Israel
strategisch als Kolonialmacht, die sich im Nahen Osten dem Islam widersetzt. 
Ein pessimistischer
Standpunkt? … Diese Frage würde ich verneinen… ich halte Prof. Rabkins
Anschauung für realistisch angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten. Der
Nahe Osten wird sich verändern… und wir hoffen alle, dass er eine
multikulturelle und multireligiöse Welt im Sinne der Toleranz und des Friedens
sein wird. Die Frage lautet für uns nicht ob, sondern wie.

Ich danke Ihnen im Voraus
für das Lesen und Teilen dieses so wichtigen Interviews.
Dr. phil. Milena Rampoldi
ProMosaik e.V.
ProMosaik e.V.:
Lieber Yakov, auf Seite 9
deines Buches schreibst du, dass Israel sehr stark von den westlichen Staaten
unterstützt wird. Welchen Beitrag können wir leisten, damit der Westen
versteht, dass der Zionismus und Israel von den gläubigen Juden sehr stark
verurteilt werden?
Prof. Yakov Rabkin:
Die Menschen im Westen sind
nicht wirklich daran interessiert, was gut für die gläubigen Juden ist. Soweit
sie jeweils betroffen sind, geht es ihnen um die Ungerechtigkeit, die den
Palästinensern zugefügt wird.
Und sie nehmen wahrscheinlich
eine weniger defensive Haltung ein, wenn es darum geht, Lösungen vorzuschlagen,
wenn sie sich dessen bewusst werden, dass der Zionismus von der Mehrheit
herausragender Rabbiner als Auflehnung gegen die jüdische Kontinuität abgelehnt
wird. Diese Rabbiner können mit Sicherheit nicht als Antisemiten verurteilt
werden.  
ProMosaik e.V.:
Wie machte sich der
Zionismus die Schoa und den Antisemitismus zu Nutze? Wie können wir dies heute
den Deutschen erklären?
Prof. Yakov Rabkin:
Herzl, der Gründer des
Zionismus, schrieb einmal in sein Tagebuch, dass die Antisemiten „unsere
Verbündeten und Freunde“ sein werden. Und dies hat sich dann als eine wahre
Vision erwiesen. Die meisten Juden, die sich für ein Leben in Israel
entschieden haben, taten dies aus einem wahren oder imaginären Antisemitismus
heraus. Daher sehen viele Zionisten friedliche und ruhige jüdische Gemeinden
als eine Gefahr für „das Überleben der Nation“. Der NS-Völkermord lieferte den
Zionisten den endgültigen Beweis für die Berechtigung ihrer These. Aber vor dem
Völkermord arbeiteten die NS-Behörden mit den Zionisten zusammen und
behandelten sie als „ihre Lieblingskinder“ im Vergleich zu den restlichen jüdischen
Gemeinden in Deutschland. Die deutschen Zionisten unterschieden sich auch
darin, dass sie Hitlers Machtübernahme offiziell begrüßten. Der bekannte
Zionist Joachim Prinz veröffentlichte 1934 ein Buch mit dem Titel Wir, Jüden, in dem er die Werte der
nationalen Wiedergeburt anpries und teilte. Heute sollten wir uns daran
erinnern.
Die Zionisten und die
Deutschen zogen aus dem NS-Völkermord sehr unterschiedliche Lehren. Die
Zionisten lernten, dass nur die Waffen die Geschichte der Menschheit bestimmen.
„Wir waren schwach. Nun müssen wir stark sein“. Umgekehrt lernte die Mehrheit
der Deutschen, sich vor charismatischen Diktatoren, Rassismus und
Diskriminierungspolitiken zu hüten.
Viele Deutsche meinen es gut, aber sie
verwechseln die Juden, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit unter dem Holocaust
litten, mit dem israelischen Staat, der als ein „Staat für die Juden“
konzipiert wurde. Die in Israel vorherrschende Ideologie predigt von der
Unmöglichkeit eines Juden, in einem anderen Land außerhalb Israels vollständig
akzeptiert zu werden. Natürlich teilen die meisten Juden diesen Glauben nicht.
Das ist genau der Grund, wofür die meisten Juden, wenn ihnen die Gelegenheit
geboten wird, friedliche, pluralistische Demokratien dem ewig gefährdeten
Israel vorziehen. Beispielsweise entschieden sich Hundertausende von Juden aus
der ehemaligen Sowjetunion am Ende des 20. Jahrhunderts für ein Leben in
Deutschland und in anderen westlichen Ländern. So wurde Berlin zum größten
Zentrum der israelischen Auswanderer in Europa.
ProMosaik e.V.:
In der Schule haben wir
gelernt, die jüdische Kultur und Tradition zu lieben, gerade auch aufgrund des
Schicksals der Juden während des Zweiten Weltkrieges… Ich liebte beispielsweise
Anne Frank … Wie können wir diesen tiefen Respekt gegenüber der jüdischen
Tradition und Kultur, den jüdischen Philosophen, Psychologen und Autoren, usw.
beibehalten, und gleichzeitig ein nicht-jüdischer Antizionist wie ich selbst
z.B. bleiben und den Menschen erklären, dass wir keine Antisemiten sind?
Prof. Yakov Rabkin:
Die Beweislast geht zu
Lasten deren, welche die Anderen als Antisemiten bezeichnen.
ProMosaik e.V.:
Wie können wir den christlichen
Zionisten in Amerika und anderswo den Messianismus im Judentum erklären, um
ihnen klar zu machen, dass die Mittel, die Israel nutzt, um sich zu „verteidigen“
und zu „bestätigen“, dem Judentum widersprechen?
Prof. Yakov Rabkin:
Die christlichen Zionisten
unterstützen Israel aus ihren eigenen Beweggründen heraus, die nichts mit der
Loyalität gegenüber dem Judentum zu tun haben. Die meisten von ihnen glauben,
es sei von Bedeutung, die Juden in Israel zu konzentrieren, um die Rückkehr
Christi zu beschleunigen. Nach diesem Szenario sollten die Juden Jesus als den
Messias akzeptieren oder in der Apokalypse untergehen. Wie du siehst,
widerspricht diese Anschauung dem Judentum.
ProMosaik e.V.:
Glaubst du, dass die
Unterstützung Israels durch den Westen auch auf andere Gründe wie z.B. den
Neoimperialismus und den Militarismus zurückzuführen ist, die keinen Zusammenhang
mit der Religion haben?
Prof. Yakov Rabkin:
Das zionistische Projekt stand
ursprünglich, noch bevor sich einige Juden am Ende des 19. Jahrhunderts
anschlossen, mit den imperialistischen Interessen im Nahen Osten in Verbindung.
Die Idee, „die Hebräer“ mit Hilfe politischer Mittel „in Palästina anzusammeln“
wurde um 1850 von Politikern um die Königin Viktoria öffentlich unterstützt. Sie
verfolgten das Ziel, einen ihnen wohlgesinnten Brückenkopf in der Nähe des
Suezkanals zu errichten. Der offizielle Zionismus und seine Führer wie Herzl
und Weizmann, die alle Atheisten waren, beriefen sich von Anfang an zwecks
Unterstützung ihres Projektes auf die strategischen Interessen verschiedener
Mächte. 1948 erkannte di stalinistische Sowjetunion den Staat Israel als Mittel
zwecks Ausweisung der Briten vom Nahen Osten an. Heute sieht der Großteil des Westens
Israel als Bollwerk gegen die sogenannte „islamische Bedrohung“. Das Interesse
kann sich auch ändern, aber dessen Beschaffenheit bleibt politisch und
strategisch und hat in der Tat nichts mit der Religion zu tun.