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ProMosaik e.V. interviewt den Streetworker Hasan Bayraktar von Maviay


Liebe Leserinnen und Leser,
heute möchte ich Ihnen einen Istanbuler Streetworker
vorstellen, den ich diese Woche interviewt und gefilmt habe. Es geht um das
Tabuthema Alkohol und Drogen, das in den muslimischen Gesellschaften zwar
aufgegriffen, aber noch unzureichend aktiv behandelt wird. Ich finde, dass
Streetworker einen großartigen Beitrag für die Bekämpfung von Suchtkrankheiten
leisten können. Wie Sie sicherlich wissen, gelten Alkohol und Drogen nach dem
islamischen Verständnis als von Allah verboten. Daher verheimlichen viele ihre
Sucht und werden dadurch in die Isolation getrieben. Die Initiative des
ex-Alkoholikers, Herrn Hasan Bayraktar vom Verein Mavi Ay (zu Deutsch: blauer
Mond), finde ich gerade deshalb mutig, weil es der 56jährige einfach wagt, mit
seinem Quad auf die Straßen von Istanbul Balat zu fahren und mit einem
Lautsprecher vor allem die Jugend auffordert, Alkohol und Sucht vorzubeugen. 

Er ist der Meinung, dass die Arbeit zwecks „Widerstand“ (wie
er ihn nennt) gegen die Suchtkrankheiten seinen wahren Zweck erfüllt, wenn man
Vorbeugungsarbeit für Jugendliche unter 15 und auch Kinder leistet. Und dies
macht er tagtäglich, indem er in den Straßen von Istanbul Balat Menschen
anspricht. 

Wir freuen uns sehr auf Ihr Feedback zum folgenden
Interview.
Danke Ihnen allen
Aygun Uzunlar – Koordinator von ProMosaik e.V. Türkei
Aygun Uzunlar:
Warum sind Sie der Ansicht, dass der Streetworker die
Jugendlichen am besten erreichen kann, wenn es um die Bekämpfung von
Suchtkrankheiten geht?
Hasan Bayraktar:
Ich möchte direkt auf der Straße, am Ort des Geschehens, die
Menschen erreichen. Ich bin der Meinung, dass dies am besten ist, um vor allem
mit der Jugend in Kontakt zu treten. Ich kann nicht einfach im Verein rumsitzen
und warten, bis die Leute bei mir vorbeikommen, denn das werden sie nicht
machen. Ich warte zum Beispiel vor den Spielhallen, wo manchmal auch
Jugendliche hineingelassen werden und ich werfe ein Auge drauf, ob ein Kind für
seinen Vater eine Zigarettenschachtel kaufen soll. Ich fühle mich wohl auf der
Straße, denn ich denke, dass die Straße geeignete Pflaster für die Bekämpfung
der Suchtkrankheiten ist.
Aygun Uzunlar:
Wie wird Ihre Tätigkeit von den Leuten gesehen und wie
verändert sich die Haltung der Gesellschaft gegenüber Ihrer Arbeit?
Hasan Bayraktar:
Die meisten Leute in der Gesellschaft sind so ziemlich
skeptisch, wenn sie meine Arbeit sehen. Sie verstehen nicht, warum ich fremden
Kindern und Jugendlichen helfe, ohne finanzielle Interesse zu vertreten. Das
ist für viele einfach unerklärbar. Der Begriff der freiwilligen Arbeit ist für
viele einfach nicht verständlich. Die Ladenbesitzer fühlen sich auch gestört,
wenn ich mit meinem Quad komme und mit dem Lautsprecher Parolen gegen die Sucht
ausspreche, da sie diese Produkte ja verkaufen und daran verdienen. Es gibt
nämlich auch in Istanbul Balat verschiedene Alkoholläden mit den
verschiedensten alkoholischen Getränken. Mittlerweile werde ich aber geduldet
und finde auch manche Menschen, die meine Arbeit schätzen.
Aygun Uzunlar:
Welche Hauptziele verfolgen Sie mit Ihrer Tätigkeit?
Hasan Bayraktar:
Ich war in der Vergangenheit Mitglied beim türkischen Trägerverein
für Suchtkrankheiten „Yeşil Ay“ (zu Deutsch: der Grüne Mond), der sich in der
Türkei für die Menschen einsetzen, die unter verschiedenen Suchtkrankheiten
leiden. Als ich aber mit meiner Tätigkeit als Streetworker anfing, habe ich mir
meinen eigenen Verein mit meinen eigenen Mitgliedern und Unterstützern
aufgebaut. Das Hauptziel, das ich mit meiner Arbeit verfolge, ist, so vielen
Menschen wie möglich in Istanbul Balat zu helfen, um aus der Spirale der Sucht
zu kommen. Als langfristiges Ziel strebe ich die Gründung verschiedener
Stadtteilvereine von „Mavi Ay“ in Istanbul an, um auch in anderen Stadtteilen
vertreten zu sein und effektive Suchtbekämpfungsarbeit zu leisten.   
Aygun Uzunlar:
Welche sind die wichtigsten Suchtkrankheiten in Ihrem
Viertel Balat in Istanbul?
Hasan Bayraktar:
Die auffälligste Form der Sucht in Istanbul Balat ist
sicherlich das Rauchen. Es folgt der Alkohol, der in einigen Lokalen angeboten
wird. Viele Menschen hier trinken auch zu Hause. Auf den Straßen von Balat gibt
es auch junge Drogendealer, die schon Kinder ansprechen, um ihnen Drogen wie
Bonzai (auch Bonsai geschrieben) anzubieten. Sie sehen sehr nett und
fürsorglich aus, was noch Besorgnis erregender ist. Hier finden Sie Infos zu
dieser gefährlichen Droge:
Natürlich tut die Polizei ihr Bestes und bemüht sich darum,
die Drogendealer zu stoppen und das Phänomen einzugrenzen, was auch
größtenteils gelungen ist. 
Aygun Uzunlar: Denken Sie, dass auch die Religion dazu
beitragen kann, die Suchtkrankheiten zu bekämpfen?
Hasan Bayraktar:
Die Vertreter der Religionen, die in Balat vertreten sind
(Juden, Christen und Muslime) müssen sich gemeinsam auf den Straßen dafür
einsetzen, dass Drogen keine Alternative mehr für Kinder und Jugendliche
darstellen. Es gibt in Balat sehr viele christliche Kirchen, 3 Synagogen und
verschiedene Moscheen. Die Vertreter der einzelnen Religionsgemeinschaften
müssen ihre Arbeit nicht auf die Liturgie beschränken, sondern Menschen aktiv
involvieren, damit sie von Alkohol und Drogen fernbleiben.
Aygun Uzunlar:
Wie wichtig ist die Vernetzung in der Streetworker-Arbeit
für Sie und warum?
Hasan Bayraktar:
Streetworker sollten zusammenarbeiten und ihre Ideen
untereinander austauschen. Leider habe ich in Istanbul noch zu wenig Erfahrung
mit einem positiven Konzept der Vernetzung gemacht. Dies muss aber dringend
erfolgen.
Aygun Uzunlar:
Ich habe von Bekannten gehört, dass Sie das Gericht „Sigara
Börek“ umbenennen möchten. Sigara Börek findet sich in den deutschen
Supermarktregalen und ist nach der Zigarette benannt, weil es eine ähnliche
Form aufweist. 

Können Sie unseren Leserinnen und Lesern in Deutschland
berichten, warum Sie den Sigara Börek auf Kalem Börek umbenennen möchten?
Hasan Bayraktar:
Ich bin die Bezeichnung einfach unglücklich, denn ein so
gutes Teiggericht, das der türkischen Tradition angehört und von Kindern so
gerne gegessen wird, sollte wohl nicht nach einem Suchtmittel heißen. Wenn ich
Sigara Börek sage, zeige ich indirekt einfach auf, wie toll die Zigaretten sind
und muntere die Leute geradezu auf, sich mal eine Zigarette anzuzünden. Da die
Forma dieses Gerichtes auf der Form eines Stiftes entspricht, schlage ich vor
den Begriff in der gesamten Türkei auf „Kalem Börek“ zu ändern. Wer eine
bessere Idee hat, kann sich gerne bei mir melden.
Anbei finden Sie den Link zum Video von uns, um sich ein
Bild zu machen, wie dieser mutige Streetworker seinen Tag verbringt:


http://youtu.be/co4q9bYMN6M