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Olivier Turquet von Pressenza interviewt Dr. Rampoldi von ProMosaik e.V.

Ein Welt-Dorf im Sinne des Friedens und der Gerechtigkeit aufbauen

Milena Rampoldi in sede Promosaik

Milena Rampoldi, Gründerin des Vereins ProMosaik
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Italienisch

“Der Verein ProMosaik
ist aus der Idee entstanden, Völker, Sprachen, Kulturen und Religionen
zusammenzuführen. Unsere jahrelange Erfahrung als Übersetzer,
Intellektuelle und Schriftsteller hat uns dazu geführt, diese
Vereinigung zu gründen. Hier kann man kostenlos die eigenen Beiträge
veröffentlichen, die eigenen Ideen zu politischen und sozialen Themen
äußern, Texte aus anderen Sprachen übersetzen und vorstellen,
Rezensionen über Bücher, Konferenzen und Filme verfassen, News zu
verschiedenen Themen in den Bereichen Kultur, Sprachen, Religionen,
Friedenserziehung, Literatur, Menschenrechte und interreligiöser und
interkultureller Dialog veröffentlichen, sich über den Blog, den Chat
auf Skype und in den sozialen Medien des Vereins mit anderen Menschen
austauschen und den eigenen Verein und seine Projekte unentgeltlich auf
der Vereinsseite von ProMosaik e.V. präsentieren.”

So heißt es auf der Webseite von promosaik.com. Wir sprechen mit Milena Rampoldi, Forscherin, Autorin, Übersetzerin und Gründerin des Vereins. 

Milena, der Fokus vieler deiner Handlungen ist der
interkulturelle und interreligiöse Dialog: könntest du besser
umschreiben, was du damit meinst?

Meiner Meinung nach sind der interkulturelle und interreligiöse
Dialog zwei unzertrennliche Typen von Dialog, da Religion und Kultur
sehr stark miteinander verbunden sind. In den interreligiösen Dialog
beziehe ich auch atheistische und agnostische Standpunkte ein, da ich
der Überzeugung bin, dass der Atheismus, wenn auch im negativen Sinne,
mit Gott zu tun hat. Für mich bedeutet der Dialog Begegnung. Daher
entscheidet sich ProMosaik e.V. sehr oft für die Arbeitsmethode des
Interviews, um Brücken zwischen den Steinen des großen religiösen und
kulturellen Mosaiks unserer Welt zu bauen. Ich bin der Ansicht, dass es
von wesentlicher Bedeutung ist, auf beiden Niveaus tätig zu werden, um
eine authentische Kultur des Friedens und der Solidarität in einer Welt
wie der heutigen aufzubauen, die von regionalen Kriegen verwüstet wird.
In meinen Beiträgen versuche ich auch immer die Bedeutung der
Überwindung der Pseudotoleranz zu betonen, die ich für absolut schädlich
für das Zusammenleben von Kulturen und Religionen halte. Man muss nicht
immer einer Meinung sein. Um die unterschiedlichen Standpunkte zu
respektieren, bedarf es eines ethisch-moralischen Wertes, den ich als
interkulturelle und interreligiöse Empathie bezeichnen möchte.
Die authentische Empathie versetzt mich in die Lage, mich in meinen
Mitmenschen hineinzuversetzen, ohne ihm meine Meinung, Kultur und
Religion aufdrängen zu wollen,  indem ich meinen Respekt vor ihm nie
verliere, da er als Mensch das Recht hat, respektvoll und würdevoll
behandelt zu werden. Ich glaube an den universalen Humanismus und den
bedingungslosen Respekt der Gerechtigkeit, an den Frieden und an das
Verständnis zwischen Völkern, Kulturen und Religionen. Um Tag für Tag
für diese Ideale zu kämpfen, schreibe ich, trotz der vielen Hindernisse,
die mir in den Weg gelegt werden, für ProMosaik e.V. Für ProMosaik e.V.
bedeuten der interkulturelle und interreligiöse Dialog Begegnung,
Empathie und Respekt vor den kulturellen und religiösen Unterschieden.

In deinen Büchern befasst du dich mit schwierigen und harten
Themen wie dem Fortbestand der Sklaverei, den Schwierigkeiten der
weiblichen Emanzipation und der religiösen Diskriminierung: wie kann die
Kritik an der Rückständigkeit zum Fortschritt der Menschheit beitragen?

Ich bin der Überzeugung, dass Kritik nicht ausreicht, aber den
Ausgangspunkt darstellt, um positiv und konstruktiv für die
Menschenrechte zu kämpfen. Das Recht auf Freiheit ist ein
unveräußerliches Recht, das allen Menschen zusteht. Daher kämpfe ich
gegen die Sklaverei und die Unterdrückung in all ihren Formen, indem ich
auf das Recht aller Männer und Frauen dieser Welt auf ein Leben in
Freiheit bestehe. Der Fortbestand der Sklaverei in Mauretanien hat mich
zutiefst betroffen. Daher habe ich mich entschieden, das Werk von Prof.
Saidou Kane zum Thema in deutscher und italienischer Sprache zu
präsentieren. In meinem zweiten Werk über die muslimische Sklaverei habe
ich dann einige muslimische Autoren kritisiert, die sich noch zur
Notwendigkeit des Fortbestandes der Sklaverei in den muslimischen
Gesellschaften äußern, um zu erläutern, dass der Islam eine egalitäre
Religion ist, die im Widerspruch zur ethnischen Diskriminierung und zum
Kastendenken steht. Ich befasste mich dann auch mit dem marxistischen
Autor Louis Hunkanrin aus dem heutigen Benin, der in den dreißiger
Jahren des vorigen Jahrhunderts die Sklaverei in Mauretanien im Namen
der Menschenrechte stark angriff und einen hohen Preis dafür bezahlte.
Bezüglich der Emanzipation der muslimischen Frau, bin ich der Meinung,
dass sie auf die muslimische Geschichte und ihre positiven Beispiele
muslimischer Frauen blicken muss, die in der Geschichte sogar
muslimische Länder beherrscht haben, um ihre Präsenz im
sozio-politischen Bereich heute zu verstärken. Es handelt sich um eine
Bewegung des islamischen Feminismus, der wesentlich zur Entwicklung der
muslimischen Länder beitragen kann. Die Frau kann heute wesentlich zur
Entwicklung der muslimischen Welt beitragen. Durch die Wiederentdeckung
des ursprünglichen Islams wird man in die Lage versetzt, die Stellung
der Frauen zum Zeitalter des Propheten neu zu entdecken. Dies
ermöglicht, die patriarchalischen und frauenfeindlichen Standpunkte in
der zeitgenössischen Islamdebatte zu revidieren.
Was die Islamfeindlichkeit im Westen angeht, habe ich mit der
deutschen und italienischen Übersetzung des Buches von Dr. Ineke van der
Valk über die Islamophobie in den Niederlanden das Ziel verfolgt, die
Bedeutung der europäischen Debatte zum Thema Islamfeindlichkeit zu
betonen. Die vor kurzem verübten Anschläge gegen die Moscheen in
Deutschland dürfen nicht unterschätzt werden. Es bedarf einer
einheitlichen, europäischen Front gegen die Islamophobie. Die
Islamphobie stellt, wie der historische Antisemitismus in Europa, einen
schweren Verstoß gegen die Menschenrechte und das in den europäischen
Verfassungen verankerte Recht auf Religionsfreiheit dar.

Du hast in deinem Leben sehr viele Reisen unternommen, bist
zum Islam konvertiert, hast einen Mann geheiratet, der aus einer so
ziemlich unterschiedlichen Kultur stammt: wie haben dich all diese
Erfahrungen verändert und verbessert?

In meinen zahlreichen Reisen habe ich die muslimischen Länder
kennengelernt und dann die Entscheidung getroffen, mich zum Islam zu
konvertieren, den ich für eine äußerst egalitäre, anti-rassistische und
offene Religion halte. Die reduktionistischen und frauenfeindlichen
Auslegungen müssen seitens der muslimischen Gemeinde energisch von Innen
bekämpft werden. Die muslimischen Länder befinden sich in einer
schwerwiegenden kulturellen Krise. Der Glanz des islamischen
Mittelalters ist verfallen. Daher muss der Islam heute auf der Grundlage
seiner authentischen Quellen reformiert werden, ohne frauenfeindlichen
und monistischen Auslegungen Gehör zu verschaffen. Die Türkei ist für
mich zu einer zweiten Heimat geworden. Ich erziehe hier meine Kinder in
einer multikulturellen Umgebung, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, die
Welt kennenzulernen. Ich liebe die interkulturelle Begegnung, die
Religion, die Kunst und die Musik. Dank meiner Begegnung mit der
islamischen Welt, habe ich auch gelernt, die Bedeutung der ästhetischen
und auditiven Beziehung zur Welt aufzuwerten. Ich bin der Meinung, dass
die Konvertitinnen und Konvertiten im Westen die wichtige Aufgabe
übernehmen sollten, eine Brücke zwischen dem Islam und der westlichen
Welt zu bauen und auch den westlichen Neoimperialismus in den
muslimischen Ländern zu bekämpfen. Ich glaube, dass das Mittelmeer ein
Verbindungsraum zwischen Islam und Christentum und ein Meer ist, das
nicht nur durch interreligiöse Kriege, sondern vor allem durch eine
interkulturelle und interreligiöse Symbiose charakterisiert ist. Das ist
ein äußerst faszinierendes Thema, mit dem ich mich in meinem Werk über
die Korsaren des Mittelalters im 16. Jahrhundert und in meinen Essays
über den Islam in Spanien befasst habe.

Die Welt ist ein zu streitsüchtiges Dorf: wie können wir die Welt friedlicher gestalten?

Ich bin der Ansicht, dass die globalisierte Welt von den
kapitalistischen Großunternehmen, Banken und Waffenlobbys der Großmächte
kontrolliert wird. Daher bin ich der Meinung, dass wir, um eine
Welt-Dorf im Sinne des Friedens und der Gerechtigkeit (ohne die kein
Frieden möglich ist) aufzubauen, Rassismus, Antisemitismus,
Islamophobie, Neuimperialismus und Militarismus den Kampf ansagen
müssen, um die Welt im Sinne des Friedens, des authentischen
interkulturellen und interreligiösen Dialogs, der respektvollen
Begegnung, der Gerechtigkeit und dem Kampf für die Menschenrechte zu
gestalten. Für mich sind Frieden und Gerechtigkeit eng miteinander
verbunden. Um einen andauernden Frieden zu erreichen, muss der westliche
Neoimperialismus einer friedlichen Kooperation zwischen Völkern und
Religionen weichen, um eine Menschheit im Sinne des Egalitarismus und
der Chancengleichheit aufzubauen.

Können die Kultur und das gegenseitige Kennenlernen die Welt verändern?

Meiner Meinung nach dient die Kultur der Überwindung von Unwissen und
Vorurteilen. Ohne Vorurteile ist man in der Lage, sich dem Anderen zu
öffnen, ihn kennenzulernen und zu respektieren. Ich bin der Überzeugung,
dass es einen engen Zusammenhang zwischen Rassismus und Ignoranz,
Diskriminierung und Unwissen gibt. Das Wissen und die Begegnung mit dem
Anderen unterstützen wesentlich das interkulturelle und interreligiöse
Verständnis. Wenn ich den Anderen kennenlerne, kann ich die Welt
verändern, weil ich wahrnehme, wie die interkulturelle und
interreligiöse Empathie die Menschenwürde des Anderen wahren.