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ProMosaik e.V. interviewt das NIR Leipzig zum Thema Islamophobie


Liebe Leserinnen und Leser,

wir
freuen uns sehr, dass sich die Kollegen vom NIR in Leipzig Zeit für uns
genommen haben. Es geht wie bereits in mehreren Beiträgen von ProMosaik e.V. um
das Thema der Islamophobie bzw. Islamfeindlichkeit in Deutschland. Am 9. Juli
2014 hatten wir zum 5. Jahrestag des Mordes von Marwa el-Sherbini dieser
mutigen Frau gedacht, die für mich ein Symbol des Kampfes gegen die
Islamophobie in Deutschland ist.
Wir
haben auch mehrmals Beiträge von Frau Ineke van der Valk präsentiert, deren
Buch über die Islamophobie ProMosaik e.V. in die deutsche und italienische
Sprache übersetzt hat.
Anlässlich
der Anschläge gegen deutsche Moscheen ist es ausschlaggebend, NICHT ZU
SCHWEIGEN. Medien und Politik müssen in den Kampf gegen diesen steigenden
Islamhass in Deutschland einbezogen werden. Die Muslime brauchen staatlichen
Schutz. Das ist eine Realität, die sich nicht mehr verbergen lässt.
Wir
haben die Kollegen Illerhaus und Qasem vom NIR zum Thema interviewt, um
aufzuzeigen, wie komplex sich der Kampf gegen die Islamophobie gestaltet,
gerade weil das Phänomen an sich so unerforscht ist und verschwiegen wird.
Wir
bitten Sie alle um Meldung von Vorfällen. Wie auch NIR in seinem Flyer sagt:
Wir müssen Vorfälle melden. Muslime, die sich diskriminiert fühlen oder anders
behandelt werden, weil sie der islamischen Religion angehören, müssen dies
mitteilen. Wir setzen uns dann gerne für sie ein.
Nun
möchte ich den Kollegen aus Leipzig das Wort übergeben. Ihnen danken wir sehr
für ihren Einsatz und für ihre kostbare Zeit.
Bitte
senden Sie uns Ihre Kommentare per E-Mail an info@promosaik.com
Dankend
Dr.
phil. Milena Rampoldi
ProMosaik
e.V.   

Netzwerk gegen
Islamophobie und Rassismus Leipzig

Interkulturelles
Konversationscafé, Emilienstraße 17, 04107 Leipzig
info@nir-leipzig.net




NIR

Der Mord an Marwa El-Sherbini am 2. Juli 2009 in
einem Dresdner Gericht offenbarte reale Gewalterfahrungen für MuslimInnen im
Anschluss an jahrelange Hetze gegen sie. Marwa El-Sherbini wurde ermordet,
weil sie sich gegen den Täter, der sie als „Terroristin“ und „Islamistin“
beschimpft hatte, juristisch zur Wehr setzte. Dieser erste offensichtlich
islamophob motivierte Mord in Deutschland bestärkte eine Gruppe von jungen
aktiven Menschen in Leipzig darin, uns mit der Thematik antimuslimischer
Rassismus auseinanderzusetzen.
 
Der stillschweigenden Duldung islamophober Handlungen und Diskurse wollten sie
Aufklärung in Form einer öffentlichen Veranstaltung entgegensetzen. Daraufhin
fand im November 2009 eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Dr. Sabine
Schiffer statt. Im Mai 2010 folgten ein ausführliches Wochenendseminar und die
Initiative einiger TeilnehmerInnen, vor Ort aktiv zu werden. Es wurde ein
Arbeitskreis gegen antimuslimischen Rassismus gegründet, aus dem das Netzwerk
hervorgegangen ist.
Das Ziel ist es,
antimuslimischen Rassismus zu thematisieren und zu bekämpfen. Im Mittelpunkt
sollen jedoch weniger „der Islam“ bzw. „die Muslime“ stehen. Angesichts
unendlich vielfältiger Formen des Muslim-Seins (in Deutschland sowie weltweit)
erscheinen diese vereinfachten Kategorien ohnehin völlig irreführend. Vielmehr
geht es dem NIR darum, negative Wahrnehmungen und Darstellungen kritisch zu
hinterfragen und aufzuzeigen, dass diese durch gesellschaftspolitische Diskurse
und Machtverhältnisse bedingt werden.
Auf lokaler Ebene will das NIR praktisch eingreifen: islamophob motivierte
Gewalt – verbale und tätliche – soll dokumentiert, sowie Opfern von
antimuslimischem Rassismus beratend und unterstützend zur Seite gestanden
werden. Darüber hinaus soll mittels Vorträgen, Publikationen, Flyern,
Pressemitteilungen u.a. für diesen „neuen Rassismus“ sensibilisiert und dazu
beitragen werden, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Kurzbiographien der Interviewten
Florian Illerhaus studierte Arabisch-Islamische
Kultur und Religionswissenschaft an den Universitäten in Münster und Leipzig.
Gemeinsam mit Daniela Seitzer leitet er den bookra Verlag, der unter anderem
Bücher über Islamfeindlichkeit und Orientbildern in deutschen Kinderbüchern veröffentlichte.
Florian Illerhaus ist seit 2011 im NIR Leipzig aktiv und Gründungsmitglied der
Gruppe „Dialoge für Gohlis“, die sich um eine positive Begleitung des geplanten
Moscheebaus der Ahmadiyya Muslim Jamaat im Leipziger Norden bemüht.
Sindyan Qasem studierte Anglistik, Kultur- und
Religionswissenschaften an der Universität Leipzig und ist seit 2012 im
Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Leipzig engagiert.
Seit
2014 ist er Mitarbeiter bei ufuq.de – unter anderem im Projekt „Was postest Du?“,
in dem Ansätze politischer Bildung online erprobt werden. Außerdem arbeitet
Sindyan Qasem im Rahmen der bpb-Ausstellung „Was glaubst du denn?! – Muslime in
Deutschland“ als Peer Guide Trainer. Er ist Alumnus der Jungen Islam Konferenz.
Anbei
das Interview von Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. an die beiden
Kollegen des NIR:
ProMosaik: Wie sehen Sie die Entwicklung der
Islamfeindlichkeit in den letzten Jahren?
Qasem:
‘Islam’ ist in den letzten Jahren immer mehr zum Schlagwort in den politischen
und gesellschaftlichen Diskursen geworden. Muslime in Deutschland werden
deshalb mittlerweile, besonders seitdem Islam oft als Terroir-Religion falsch
dargestellt wurde, als sozilogisch und kulturell feste Gruppe wahrgenommen.
Islamfeindlichkeit würde ich deshalb als relativ modernes Phänomen bezeichnen,
das aber auf Strukturen und Symboliken fußt, die schon seit Jahrhunderten
existieren. Im Grunde genommen gäbe es ohne ‘den Islam’ als Gegenspieler auch
keine europäische Identität. Genau deshalb tritt Islamfeindlichkeit jetzt in
den letzten Jahren verstärkt auf. In Europa befinden sich nationale und
kulturelle Identitäten im Wandel, und die Menschen benötigen offensichtlich ein
gemeinsames identitätsstiftendes Feindbild.
Illerhaus:
Islamfeindlichkeit ist in Deutschland seit geraumer Zeit auf hohem Niveau
vorhanden, das bestätigen diverse Studien, wie etwa die „Mitte“-Studien der
Friedrich-Ebert-Stiftung oder die „Deutschen Zustände“. In Leipzig haben sich
in den letzten Monaten antimuslimische Ressentiments besonders stark am
geplanten Bau einer Moschee in Leipzig-Gohlis gezeigt. Neben der NPD machten die
AfD und eine Leipziger Lokalpolitikerin der CDU ihre Bemühungen zur
Verhinderung des geplanten Gebetshaus zum Zentrum ihres Wahlkampfes um den
Stadtrat. Neben solch dezidierter antimuslimischer Politik ist die Ablehnung
von Muslimen und Musliminnen, bis hin zu Hass gegen alles was als „muslimisch“
oder „islamisch“ wahrgenommen wird, leider in einigen Bereichen mehrheitsfähig
geworden.
Pro Mosaik: Welche glauben Sie sind die
wichtigsten Gründe, warum Menschen zu Islamhassern werden? Ist es sinnvoll, von
Angst zu sprechen?
Qasem:
Islam wird als das Andere wahrgenommen. Viele Menschen benötigen das Andere, um
sich selbst in Abgrenzung davon definieren zu können. Mit der Zeit entsteht ein
festes System aus ‘Wir’ und ‘die Anderen’, das keine anderen Sichtweisen mehr
zulassen kann. Islam wird sogar als nationale und kulturelle Identität
missverstanden beziehungsweise misinterpretiert. Das Konstrukt Europa oder das
Konstrukt Deutschland ist innerhalb dieses Systems unvereinbar mit der
Sichtweise auf den Islam.
Illerhaus:
Sorgen und Ängste einiger Bürger vor Musliminnen und Muslimen und ihrer
Religion sind bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar, wenn man
berücksichtigt, welche Themen in deutschen Medien vornehmlich unter dem
Schlagwort „Islam“ verhandelt wurden. Jedoch haben Ängste zum Beispiel vor
einer vorgestellten „Islamisierung“ nichts mit der Realität zu tun. Wenn
Musliminnen und Muslime generell verdächtigt werden, eine geheime Agenda zur
Unterwanderung Deutschlands verfolgen, dann kann von berechtigten Sorgen keine
Rede sein. Hier wird eindeutig auf eine muslimfeindliche Verschwörungstheorie
Bezug genommen, die impliziert, „wir“ müssten uns vor „denen“ abgrenzen und
schützen.
Pro Mosaik: Wie kann Islamfeindlichkeit durch
konkrete Projekte vorgebeugt werden? Was können deutsche Medien tun, um
Islamfeindlichkeit vorzubeugen?
Illerhaus:
Im Mediengeschäft zählen Sensationen und große Schlagzeilen, nicht das ganz
normale Leben eines muslimischen Gemeindemitglieds, das ist klar. Somit werden
deutsche Medienkonsumentinnen und -konsumenten automatisch mit unvergleichlich
mehr schlechten Nachrichten als positiven konfrontiert.
Qasem:  Differenzierte Berichterstattungen und
reflektierte Bildsprache würden sicherlich helfen zu vermitteln, dass Muslime in
Deutschland längst dazugehören. Hasstiraden wie jüngst im der BamS oder dem
Cicero verkaufen sich leider besser als gut recherchierte, Vielfalt abbildende
Beiträge. Zumindest stoßen islamfeindliche Artikel oder Beiträge der Medien
aber mittlerweile vermehrt auf Gegenwind.
Illerhaus:
In Bezug auf Musliminnen und Muslime sowie ‘den Islam’ fehlt oftmals das
sogenannte Korrektiv der subjektiven Erfahrung: Besonders in Ostdeutschland
leben vergleichsweise wenige Menschen muslimischen Glaubens, so dass viele Bürger
gar keine persönlichen Beziehungen zu Musliminnen und Muslimen haben,
stattdessen aber sehr präsent Zerrbilder von zwangsverschleierten Frauen und
gewaltbereiten Bartträgern im Kopf vorhanden sind. Muslimische Mitmenschen sind
selbstverständlich nicht auf ihre Religion beschränkt, sondern haben die
gleichen Sorgen und Probleme, wie nichtreligiöse oder andersgläubige Menschen
auch. Die Gruppe „Dialoge für Gohlis“ in Leipzig zum Beispiel versucht
insbesondere die Menschen im Stadtteil durch gemeinsame Gespräche
zusammenzubringen. Natürlich sind für solche Informationsangebote nur Menschen
empfänglich, die bereit sind, anfängliche Sorgen auch überdenken zu wollen. Das
Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus bietet daher auch immer wieder
Workshops an, die sich mit der Argumentationsweise ideologisch gefestigter
Islamfeinde befasst, um fehlerhafte Rhetoriken, wie falsche Vergleiche
hinterfragen zu können und im Idealfall antimuslimischer Propaganda durch
Intervention entgegentreten zu können.
ProMosaik: Wieviel Mitschuld trägt die Politik an
der Diskriminierung von Muslimen in Deutschland?
Qasem:
Ich denke schon, dass zum Beispiel das Nichtanerkennen oder Verschweigen von
explizit islamfeindlichen Taten seitens der Politik und des Rechtsstaates dazu
beiträgt, dass Islamfeindlichkeit oft noch als salonfähig verstanden wird.
Möglicherweise wird sich das in Zukunft ändern, noch wird antimuslimischer
Rassismus leider oft nicht als Rassismus behandelt.
Illerhaus:
Es gibt viele Beispiele für inkonsequenten Umgang von Politik und Justiz mit
islamfeindlicher Hetze. Seit Jahren betreibt beispielsweise das
Internethassblog „Politically Incorrect“ übelste antimuslimische Propaganda,
die von entsprechenden Stellen in den Innenministerien nicht als rechtsradikal
erkannt wird. Der Grund dafür ist eine von „PI“ behauptete Solidarität mit
Israel, die die Verfassungsschützer offenbar verwirrt: Wer Pro-Israel ist, kann
doch nicht rechtsradikal sein? Auch im Nachgang der Sarrazin-Debatte stellte
die UNO den deutschen Strafverfolgern ein schlechtes Zeugnis aus. Sie seien im
Fall Sarrazin nicht ausreichend gegen Volksverhetzungen und Rassismus
vorgegangen.
Qasem:
Wenn wie jetzt nach der Landtagswahl in Sachsen eine dezidiert mit
antimuslimischen Parolen agitierende Partei wie die AfD auf 10% der Stimmen
bauen kann und eine Partei wie die NPD, die den Kampf gegen Muslime laut
partei-internem Strategiepapier stellvertretend als Kampf gegen alle Ausländer’
in Deutschland führt, nur sehr knapp an der 5%-Hürde scheitert, dann ist ja auch
offensichtlich, dass Islamfeindlichkeit in der Parteienlandschaft fest
verankert ist. Und von einigen Aussagen von Mitgliedern anderer Parteien reden
wir dabei noch gar nicht…
ProMosaik: Kann der Kampf gegen
Islamfeindlichkeit mit dem Kampf gegen Rassismus im Allgemeinen oder gegen
Antisemitismus verbunden werden?
Qasem:
Nicht nur das, Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus können
natürlich als Diskriminierung gesehen werden, die ähnlich willkürlich wie
Antisemitismus, Antiziganismus oder Fremdenfeindlichkeit funktionieren, oder
auch Sexismus und Homophobie.
Illerhaus:
Islamfeindlichkeit ist Teil des von der Forschungsgruppe um Wilhelm Heytmeier
bezeichneten Symptoms der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die dieses in
der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ detailliert erforschte. Antimuslimischer
Rassismus basiert wie andere Rassismen auf willkürlichen Zuschreibungen,
Naturalisierungen und Abwertungsmechanismen und wirkt auch überindividuell auf
gesamtgesellschaftlicher Ebene. Der Kampf gegen alle Diskriminierungen und
Ungleichwertigkeiten schließt den gegen Islamfeindlichkeit daher
selbstverständlich ein.
ProMosaik: Was denken Sie persönlich über die
letzten Anschläge gegen die Moscheen in Bielefeld,  Berlin und Oldenburg?


Illerhaus:
Nachweisbar nehmen Angriffe auf muslimische Gebetshäuser in den letzten Jahren
zu. Auch in Leipzig hat es im letzten Herbst einen Anschlag mit fünf blutigen
Schweineköpfen und brennenden Mülltonnen auf dem geplanten Baugrundstück der
Ahmadiyya Gemeinde gegeben. An den aktuellen Fällen hat mich besonders
entsetzt, dass die Ermittlungsbehörden bereits nach kürzester Zeit rassistische
und fremdenfeindliche Motive ausschlossen. Hier scheint es sich um einen Reflex
zu handeln, der trotz des Versagens staatlicher Stellen in Bezug auf den NSU
noch immer das Handeln bestimmt. In Berlin musste die Polizei ihre
Ersteinschätzung nun revidieren und spricht von Brandstiftung.
Qasem:
Vor allem in Bielefeld hat sich deutlich gezeigt, dass der Staat auf dem
islamfeindlichen Auge noch blind ist. Ähnlich wie bei den NSU-Morden wurde viel
zu spät erkannt, dass es sich um explizit gegen Muslime gerichtete Straftaten
handelt. Die Polizei spricht aber von keinen politisch motivierten Taten,
sondern nur von Diebstahl. Beim Brand in der Mevlana-Moschee in Berlin wurde
lange in Frage gestellt, ob es sich überhaupt um einen Anschlag handelte, die
Politikerinnen und Politiker haben die Moscheegemeinde lange hängen lassen. Der
Brand steht aber in einer Reihe mit den anderen Anschlägen auf muslimische Gotteshäuser,
genau wie die jüngsten Anschläge in Mölln. Es sollte endlich ein bundesweites
Register zur Erfassung von antimuslimischen Straftaten geben. Das wäre vor
allem auch eine symbolische Anerkennung und ein Zeichen, dass die Augen bei
Islamfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus nicht länger zugedrückt
werden.