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Die Rede von Herrn Ruffler vom Bremer Friedensforum – Antikriegstag 2014


Liebe
Leserinnen und Leser,
anbei
möchten wir Ihnen die Rede von Herrn Walter Ruffler vom Bremer Friedensforum
zum Antikriegstag 2014 vorstellen.
Wir
waren in den letzten Wochen so mit dem Gazakrieg beschäftigt, dass wir erst
heute zum ersten Mal die Zeit gefunden haben, uns auf den anderen tragischen
Kriegsschauplätzen der Welt umzusehen, und einer dieser Schauplätze findet sich
in der Ukraine, wo das Ende des Konflikts nicht in Sicht ist.
Und
darüber spricht Herr Ruffler in dieser Rede, die er der Redaktion von ProMosaik
e.V. zur Verfügung gestellt hat. Die Lösung, die er vorschlägt, ist, wie wir
sehen werden, ein Referendum als DEUS EX MACHINA… eine sehr herausfordernde
Idee, über die wir unbedingt nachdenken sollten.
Vor allem unsere Politiker sollen sich endlich von den militärischen Lösungen, die von den Waffenlobbys suggeriert werden, entfernen und dem Frieden und der Freiheit der Völker zuwenden.
Wir
danken Herrn Ruffler für seinen Beitrag und freuen uns auf Ihre Zuschriften zum
Thema.
Frieden
und nicht Krieg ist die Lösung.
Das ist
auch die Überzeugung von ProMosaik e.V.
Dankend
Dr. phil.
Milena Rampoldi
Redaktion
von ProMosaik e.V.

 

Walter Ruffler                                                                                                 Bremen,
01.09.2014

Das Volk soll entscheiden: Ein
Referendum zur Lösung des Ukraine-Konflikts!
Liebe Friedensfreunde,
mein Redebeitrag kritisiert die
Ukraine-Politik des Westens und befürwortet ein Referendum zur Lösung des Konflikts.
Mein Beitrag hat vier Abschnitte
unterschiedlicher Länge. Ich werde jeweils den Titel des Abschnitts nennen,
dann wissen Sie, was Sie inhaltlich erwartet und wie lange es noch in etwa
dauert.
1. Die westliche Ukraine-Politik
liegt in Trümmern
Präsident Obama und
Bundeskanzlerin Merkel stehen vor den Trümmern ihrer Ukraine-Politik.
Und ich hoffe sehr, dass nun ein
realpolitisches Denken einsetzt, das die Sicherheitsinteressen Russlands
einbezieht. Und nicht etwa das Denken der litauischen Präsidentin Dalia
Grybauskeite sich durchsetzt, die Russland im Krieg mit der EU sieht und eine
militärische Aktion verlangt.
Obama und Merkel hatten – trotz
ihrer Beteuerungen eines Dialogs – auf eine militärische Lösung gesetzt. Und in
der Tat sah es Anfang letzter Woche so aus, als würde die ukrainische Armee die
“Terroristen” oder “Separatisten” in kurzer Zeit völlig
besiegt haben. Nachdem diese aber Mitte 
letzter Woche eine großangelegte Gegenoffensive gestartet haben,
gerieten die ukrainische Armee, die Nationalgarde und die von Oligarchen
finanzierten Freiwilligen-Bataillone an mehreren Fronten völlig in die
Defensive. Mehrere Verbände wurden eingekesselt.
Nach Angaben der Aufständischen
handelt es sich um mehrere Tausend Soldaten mit über 100 Panzern, über 300
Schützenpanzerwagen, sowie 270 Geschützen und Mehrfachrakentenwerfern.
Die ukranische Armee scheint
weitgehend demoralisiert zu sein, es gibt viele Fälle von Fahnenflucht,
manchmal setzen sich ganze Abteilungen vor den Kampfhandlungen nach Russland
ab, und in manchen Regionen wehren sich bereits Mütter gegen die Einberufung
ihrer Söhne. Die ukrainische Luftwaffe scheint weitgehend vernichtet zu sein.
Darüber hinaus haben die Rebellen eine weitere Großoffensive angekündigt.
(Quelle: Stuttmann Karikaturen)
Ob diese militärischen Erfolge der
Rebellen durch die Umgruppierung eigener Kräfte, durch neue Freiwillige aus
Russland oder durch reguläre russische Truppen erreicht worden sind, ist sicher
völkerrechtlich von Bedeutung, aber realpolitisch nicht von Belang: Es ist
unwahrscheinlich, dass sich die ukrainische Armee von diesem Rückschlag schnell
erholt.
2. Realpolitik ist gefragt
In ihrer Ratlosigkeit planen die
EU-Staaten nun weitere Sanktionen, wohl wissend, dass diese keinen
Politikwechsel bei der russischen Führung bewirken werden. Die russische
Regierung wird Gegenmaßnahmen beschließen, und es werden die russische
Wirtschaft, die einiger EU-Staaten und vor allem die Wirtschaft der Ukraine
leiden – und der Winter ist nicht mehr fern, dann wird das russische Gas
dringender denn je gebraucht. Die Zeche dieser verfehlten Politik werden die
kleinen Leute zahlen, in allen Ländern.
Bedauerlich, dass auch die Grünen
nicht schlauer sind als CDU und SPD: Die Sprecherin für die Osteuropapolitik
der Grünen, die bremische Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck plädiert
zusammen mit ihrem Kollegen Manuel Sarrazin für eine “klare Botschaft an
den Kreml” [Müntefering hätte von “klarer Kante” gesprochen]:
“Der Kreml muss spüren, dass
diese weitere Aggression gegenüber der Ukraine einen hohen Preis hat und auch
Russland schadet”
.[1]
  
Diese Politik führt in die
Sackgasse, und es ist bedauerlich, dass Bundesvorstand und Parteirat der Grünen
dieser falschen Linie folgen.
In der Frankfurter Rundschau von
heute findet sich ein Interview mit Omid Nouripour, dem sicherheitspolitischen
Sprecher der Grünen im Bundestag.[2]
Auch er setzt auf Sanktionen:
“Es ist richtig, die nächste
Sanktionsstufe zu planen. Alles andere ist ein Kuschen vor jenen, die
militärische Aggression zum Mittel der Politik gemacht haben.”
Nouripour folgt damit ebenfalls
einer perspektivlosen Karawanenpolitik: Wie die Kamele in der Wüste trotten
auch die grünen Spitzenpolitiker in eine Richtung, in die alle laufen. Und sie
setzen sich sogar an die Spitze dieser Karawane, wenn Rebecca Harms,
Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament fordert:
“Die EU muss der Ukraine eine
Mitgliedsperspektive aufzeigen”
, denn das war ja gerade eine der
Ursachen des Konflikts.[3]
Zudem: Wenn die Slowakei bei ihrem
angekündigten Veto gegen weitere Sanktionen bleibt, dann wird auch das
schärfste Schwert der Grünen schlagartig stumpf. Das sollte ein weiterer Impuls
sein, um zu einer Realpolitik zu finden, die die Interessen Russland
einbezieht.
3. Putins Gesprächangebot eröffnet
Perspektiven
Putins Vorschlag von gestern
bietet der Sackgassenpolitik von Obama und Merkel einen Ausweg. In einem
Interview im Ersten Kanal des russischen Fernsehens schlug Putin vor:
“Man muss unverzüglich
substanzielle, inhaltsreiche Verhandlungen nicht zu technischen, sondern zu
Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der Staatlichkeit im
Südosten der Ukraine zur bedingungslosen Sicherung der legitimen Interessen der
Menschen, die dort leben, in die Wege leiten”
.[4]
Dieser Ansatz ermöglicht die
Einspeisung eines Lösungsvorschlags, den der Leiter der Politikredaktion des
Weser Kuriers, Joerg Helge Wagner, bereits am 4. März in seinem Kommentar
“Staatliche Einheit um jeden Preis?” gemacht hat: Ein Referendum.
4. Das Referendum als Deus ex
machina
Was kann es basisdemokratischeres
geben als eine Volksabstimmung über die staatliche Verfasstheit der Region, in
der die Menschen leben.
Joerg Helge Wagner ist sehr
radikal in seinem Vorschlag wenn er sich eindeutig für die Möglichkeit einer
Sezession durch Volksabstimmung ausspricht und dem “Mantra von der
‘territorialen Integrität und Einheit der Ukraine”, die in vollem Umfang
respektiert werden müssten,”
eine Absage erteilt:
“Eine Volksabstimmung
darüber, ob Regionen Bestandteile eines Staates bleiben wollen, wäre keineswegs
ein Tabubruch. Das Saarland ist so 1955/56 vom französischen Protektorat zum
deutschen Bundesland geworden. Tschechien und die Slowakei lösten 1992/93 zwar
ohne Referendum, aber mit demokratischem Parlamentsbeschluss
schiedlich-friedlich ihre Staatengemeinschaft. Und Schottland könnte am 18.
September per Volksentscheid das Vereinigte Königreich verlassen.
Staatliche Einheit um jeden Preis?
Die Geschichte Europas lehrt uns, dass dieser Preis oft viel zu hoch war.
Nämlich immer dann, wenn die Frustration über verweigerte Autonomie in Terror
oder Krieg mündete.”[5]
Wagner hebt noch einen weiteren
nicht unwichtigen Aspekt eines Referendums hervor: Das sei eine “Lösung,
bei der alle ihr Gesicht wahren.”
Ganz anders dagegen die
Einschätzung von Bernhard Clasen in seinem Kommentar “Neurussland löst
Ängste aus” in der taz von heute, der auf der Unveränderlichkeit von
Grenzen beharrt:
“Auch wenn sehr viele Grenzen
auf der Welt auf ungerechte Weise entstanden sind, sollte man der Erkenntnis
Rechnung tragen, dass Grenzänderungen fast immer blutig verlaufen. Deswegen
muss das ‘Recht auf Unverletzlichkeit der Grenzen’ immer Vorrang vor dem
‘Selbstbestimmungsrecht der Völker’ haben.
[6]
Die Befürchtung Clasens wäre
unbegründet, wenn es in allen Staaten ein verfassungsmäßiges Recht auf
Sezession gäbe, dann würde per Volksentscheid über eine etwaige Abtrennung
entschieden.
Beim Verein “Mehr
Demokratie” wird zur Zeit eine interessante Debatte über ein Völkerrecht
auf Sezession geführt, Paul Tiefenbach hat dazu den lesenswerten Artikel
“Volksentscheide über Grenzveränderungen müssen legal werden!”
geschrieben.[7]
Obama und Merkel sollten Putin
beim Wort nehmen. Er nimmt für sich in Anspruch, die legitimen Interessen der
Bevölkerung in der Ostukraine zu vertreten. Was wäre demokratischer als eine
Volksabstimmung der Betroffenen darüber, in welcher staatlichen Verfasstheit
sie leben möchten? Die Abstimmung sollte nach den Regeln der Kunst und unter
internationaler Kontrolle stattfinden. Zuvor müssten sich die streitenden
Parteien über den Abstimmungstext, die Informationsphase vor der Abstimmung
sowie über die Modalitäten von Abstimmung und Auszählung einigen. Und alle
Beteiligten müssten schriftlich erklären, das Abstimmungsergebnis zu
akzeptieren, auch wenn es ihnen nicht passt.
Eine der Wahlalternativen sollte
ohne Frage die Eigenständigkeit der Ostukraine sein. Doch wenn die
Einschätzungen im politischen Raum zutreffen, dann ist ein Großteil der
Bevölkerung zwar kritisch gegenüber der Regierung in Kiew eingestellt und
befürwortet gute Beziehungen zu Russland, möchte aber Teil der Ukraine bleiben.
In diesem Fall würde das Votum wohl auf eine Föderalisierung hinauslaufen.
Mit dem Autonomiestatut für
Südtirol hat man gute Erfahrungen gemacht, es hat wesentlich dazu beigetragen,
separatistische Tendenzen zu befrieden.
Ein Referendum hätte auch für
Obama und Merkel die Wirkung eines Deus ex machina, der sie aus einer –
selbstverschuldeten – verfahrenen Situation befreit. Putin könnte es der
Bevölkerung Russlands als Erfolg darstellen und die über 800.000 Flüchtlinge
könnten in ihre Heimat zurückkehren und mit dem Wiederaufbau ihrer verwüsteten
Ortschaften beginnen, unterstützt vom Raubvermögen der Oligarchen.
Zum Schluss noch ein Wort zum
Begriff “Deus ex machina”, dazu heißt es bei Wikipedia:
In der antiken Tragödie gab es tragische Konflikte, die sich nicht immer kraft menschlicher
Handlungen ‚lösen‘ ließen. Ihre Behebung oder Entscheidung erfolgte ‚von oben‘
durch das überraschende Eingreifen einer
Gottheit, die dem Geschehen die Schlusswende gab.
Der Deus ex Machina
schwebte in einer kranähnlichen Hebemaschine, der sogenannten Theatermaschine,
über der Bühne oder landete auf dem Dach des Bühnenhauses. Damit wollte man die
Macht der Götter in der antiken Vorstellung darstellen, und in der Tat
waren ihre Eingriffe in das Bühnengeschehen oft überraschend.”[8]
Man stelle sich vor,
Obama, Merkel und Putin schweben am Kran hängend ein.
Es gibt auch moderne
Beispiele unverhoffter Wendungen, so werden in in dem Film
Jurassic Park, die Protagonisten am Ende von einem in
letzter Sekunde auftauchenden
Tyrannosaurus vor den Velociraptoren gerettet. In mehreren Western übernimmt ein plötzlicher, mehr oder
weniger unvermittelter Kavallerieangriff die Funktion.


[1]          Pressemitteilung vom 28.08.2014. Und in einem von Marieluise Beck
unterschriebenen Offenen Brief an Merkel und Steinmeier mit dem Titel “Was
auf dem Spiel steht: In der Ukraine geht es um die Zukunft Europas” heißt
es: “Die Sanktionen gegen Russland müssen ausgeweitet, die
Unterstützung für die Ukraine auf allen Ebenen verstärkt werden.”
[2]    “Wenn
sich etwas bewegt, dann nur über Druck”, in: FR vom 01.09.2014, S. 6
[3]    “Merkel
gegen Waffenlieferungen an die Ukraine”, in: FR vom 01.09.2014, S. 6
[4]    “Putin:
Zur Regelung in Ukraine sind Verhandlungen über Staatlichkeit des Ostens
nötig”, in: Ria Novosti, 31.08.2014
[5]    J.H.Wagner:
“Einheit um jeden Preis?”, in: Weser Kurier vom 04.03.2014
[6]    Bernhard
Clasen: “Neurussland löst Ängste aus” in: Die Tageszeitung vom
01.09.2014, S. 12
[7]    in: mdmagazin
Ausgabe 3/2014, S. 18f
[8]    Wikipedia:
“Deus ex machina”