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Das Interview von ProMosaik e.V. mit Haluk Yildiz, dem BIG-Vorsitzenden


Liebe Leserinnen und Leser von
ProMosaik e.V.,
Wir möchten Herrn Haluk Yildiz der
BIG-Partei vorab erneut den Dank von Seiten unserer Redaktion für seine
Verfügbarkeit aussprechen, so detailliert auf die Fragen unserer Redaktion zu
den Thema Muslime in Deutschland, Islamfeindlichkeit, Integration, Erziehung,
Medien und Menschenrechte, um die wichtigsten von ihnen zu nennen, eingegangen
zu sein. Er hat sich sogar über Netanjahu und Pro-Köln und Pro-NRW geäußert,
somit fast heldenhaft!

Wir von ProMosaik e.V. hatten uns
bereits mehrmals mit dem Thema der Islamophobie in Europa auseinandergesetzt.
Der Anstoß kam vor allem von der Buchübersetzung des Werkes der niederländischen
Autorin Ineke van der Valk, das Frau Dr. Rampoldi 2014 in die deutsche und
italienische Sprache übersetzte, um die Forschung über die Islamophobie in
Europa zu fördern.
Islamfeindlichkeit ist ein ganz
besonderer Typ von Rassismus und Stigmatisierung, der vor allem die
muslimischen Frauen in Europa sehr stark trifft. Im Interview mit Herrn Yildiz
finden sich interessante positive Anstöße, wie man diesem Phänomen aktiv
entgegenwirken kann.

Rechtsradikalen Parteien mit ihren
leeren Parolen können wir Fans der bunten Welt voller Mosaike sehr wohl
entgegenwirken. Wir haben diesen Menschen auch etwas entgegenzusetzen: unsere
Religion, unsere Vielfalt, unsere Erziehung und vor allem unser Wissen. Daher
sehen wir die Bedeutung der Erziehung zur Vielfalt als einen wesentlichen
Ansatzpunkt zwecks Aufbaus einer authentischen multikulturellen und
multireligiösen Gesellschaft ohne islamfeindliche Haltungen und ohne Hetze
gegen die muslimischen Bürgerinnen und Bürger.
Aber nun möchte ich gerne Herrn Yildiz
das Wort überlassen.
Wir freuen uns alle sehr auf Ihre
Zuschriften zu diesem faszinierenden Interview.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.  
1) Wie sehen Sie die Chancen der Muslime in Deutschland
heute, sich mit der Islamfeindlichkeit in Deutschland auseinanderzusetzen und
diese einzudämmen?

                                                               (Quelle: noz.de)





Die Islamfeindlichkeit in Deutschland
wird hauptsächlich von den Medien, aber auch von etablierten politischen
Parteien gefördert, teilweise unbewusst, teilweise wohlwissentlich in Kauf
genommen. Muslime werden häufig als homogene Gruppe präsentiert, die fremd,
nicht integrierbar, rückständig und gewaltbereit ist, und somit eine Gefahr für
Demokratie, sozialen Frieden und Wohlstand darstellt. Dem müssen sich
islamische Verbände widersetzen, indem sie Aufklärung bezüglich der bestehenden
Vorurteile betreiben und die breite Öffentlichkeit sowie relevante
Institutionen vermehrt über islamische Inhalte informieren. Insbesondere im
Bereich der Begrifflichkeiten müssen sie für Klarheiten sorgen. Denn Begriffe
bestimmen das Bewusstsein. Begriffe wie Islamismus widersprechen dem
Glaubensverständnis des Islam. Der Islam ist eine große Weltreligion und darf
weder von Muslimen noch von Nicht-Muslimen instrumentalisiert oder
ideologisiert werden. Dies zu gewährleisten ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe.
Muslimen wird schnell eine Täterrolle
zugeschrieben, aber anscheinend ungern eine Opferrolle. Denken wir an die Mordopfer
des NSU, von denen fast alle Muslime waren: Niemand hat von ihrer religiösen
Identität berichtet. Nachdem sie erst als Döner bezeichnet wurden
(„Dönermorde“) waren sie anschließend die „türkischen Kleinunternehmer“.
Begehen zwei Jugendliche jedoch eine Straftat, heißt es schnell: Die
muslimischen Jugendlichen, obwohl ihre Konfession nichts mit dem Begehen der
Straftat zu tun hat. Auf der einen Seite wird die Konfession ausgeblendet, auf
der anderen Seite werden bestimmte Themen fälschlicherweise religiösiert. Das
fördert die Stimmungsmache gegen Muslime. 
Für Muslime ist es sehr schwer, sich
öffentlich mit Islamfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Medial findet die
Islamfeindlichkeit kaum Beachtung, wie aktuell die Moscheebrände verdeutlichen,
die, wenn überhaupt, lediglich vereinzelt als Randnotiz dienen. Die
Islamfeindlichkeit wird nicht als Straftatbestand erfasst, was dringend
notwendig ist, um Entwicklungen verfolgen und die vorhandene Islamfeindlichkeit
mit Fakten belegen zu können. Selbst wenn die Indizien nach Straftaten
eindeutig sind, wird eine politische und rassistische Motivation von den
Ermittlungsbehörden häufig unerklärlicherweise 
ausgeschlossen. Den dabei zugrundeliegenden Ursachen müssen wir alle
gemeinsam nachgehen. Gerade für Muslime ist es äußerst schwer, sich mit dem
Thema der Islamfeindlichkeit auseinanderzusetzen, da ihre Ängste nicht ernst
genommen werden und ihnen in den Diskussion in der Regel zumindest eine
Mitschuld zugeschrieben wird, so dass sie sich plötzlich rechtfertigen oder von
irgendetwas distanzieren müssen.    
2) Was möchten Sie gerne zum Moscheebrand in Berlin sagen?

                                                             (Quelle: bild.de)
Die Moscheebrände in Berlin und
Bielefeld sind islamfeindlich motiviert und müssen als solche ernst genommen
werden. Die Anschläge sollten für Muslime ein Warnsignal sein, sich mit den
Gründen der Islamfeindlichkeit in Deutschland auseinanderzusetzen und
Strategien zu entwickeln, wie man diesen erfolgreich begegnet.
Die geringe Anteilnahme der deutschen
Politiker ist erschreckend. Sie lässt vermuten, dass die ansteigende
Islamfeindlichkeit bereits bekannt ist, daher keine Verwunderung durch die
Anschlagsserie ausgelöst wurde, und Berührungsängste mit Muslimen stark
verbreitet sind. Das sind die Folgen von jahrelangen Fehlinformationen und dem
systematischen Schüren von antimuslimischen Ressentiments.

3) Wie können wir Muslime die
Medienlandschaft in Deutschland positiv und dynamisch beeinflussen?

                                                    (Quelle: we are the church)

Muslime müssen mehr Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften
lesen und Leserbriefe sowie Kommentare schreiben. Die Printmedien sind mit
stark rückläufigen Absatzzahlen konfrontiert und befinden sich daher zunehmend
in einem wirtschaftlichen Überlebenskampf. Muslime müssen stärker als
Käufergruppe wahrgenommen werden. Darüber hinaus sollten sich mehr Muslime in
Medienunternehmen engagieren.
In vielen Redaktionen sind keine
Muslime aktiv, daher kommt es zu dieser häufig einseitigen und verzerrten
Sichtweise. Bei den öffentlich rechtlichen Sendern gibt es für alle möglichen
teils noch so kleinen Zielgruppen spezielle Sendungen, nicht aber für die
Gruppe der Muslime. Muslime sollten sich auch in den Rundfunkräten beteiligen
können, das wäre ein Zeichen des Miteinanders. Die Berichterstattung über die
BIG Partei verdeutlicht, dass die Partizipation und Teilhabe von Muslimen
lediglich dafür genutzt wird, um vorhandene Vorurteile und Ängste weiter zu
festigen. Auf der einen Seite wird regelmäßig die mangelnde
Integrationsbereitschaft von Muslimen verurteilt, wenn aber andererseits der
Schritt zur Beteiligung erfolgt, dient dieser lediglich dem Schüren von
Überfremdungsängsten. Geben Sie im Internet doch einfach mal „BIG Partei“ als
Suchbegriff ein und schauen Sie, was Ihnen da so alles angezeigt wird. Einen
Unterschied zwischen rechtsextremen Medien und der so genannten seriösen Presse
werden Sie leider nicht finden können. Und wenn Sie sich die Texte dann mal
genauer anschauen, werden Sie merken, dass es sich in allen Fällen um bloße
Vermutungen handelt. Über die BIG Partei wird lediglich im negativen Kontext
berichtet. Politische Inhalte wie die vielen Initiativen beispielsweise im
Bonner Stadtrat werden vollständig ausgeblendet. Lediglich die religiöse
Identität vieler Mitglieder, die bei den Mitgliedern anderer Parteien überhaupt
keine Rolle spielt, scheint bei uns von besonderer Bedeutung zu sein. Die
einzigen Medien, in denen neutral berichtet wird, sind Medien von Menschen mit
interkulturellen Wurzeln. Die „typisch deutsche Zeitung“ blendet die Partei
entweder komplett aus, oder stellt sie gezielt verzerrt dar. 
Schauen wir uns mal an, wie es auch
aussehen könnte. In England sind Muslime und Menschen mit Migrationshintergrund
in allen Gesellschaftsschichten vertreten, es gibt einige muslimische
TV-Sender, Polizistinnen mit Kopftuch, muslimische Bürgermeister. Und das alles
in einem Land, in dem der Anteil von Muslimen geringer ist als in Deutschland.
Durch das in Deutschland vorherrschende
kulturelle Überlegenheitsgefühl und die defizitäre Betrachtungsweise fördern
wir Ausgrenzung. Durch Ausgrenzung treiben wir manch strukturell
benachteiligte, diskriminierte oder missachtete Muslime in die Hände von
Radikalen, die das Schwarz-Weiß-Denken für ihre eigenen Zwecke
instrumentalisieren. Wir müssen kulturelle Vielfalt und Unterschiedlichkeit
anerkennen, anstatt sie ständig zu bewerten, um sie schlussendlich als etwas
Defizitäres darzustellen. Sonst erreichen wir genau das Gegenteil von dem, was
ein weltoffenes und friedliches Land ausmacht. 

4) Was bedeutet für einen Muslim im
Westen heute das sozio-politische Handeln?






Muslime sollten sich in der Gesellschaft, konkret in ihrer Stadt oder ihrem
Wohnviertel, verstärkt sozial einbringen, z.B. durch aktive
Nachbarschaftlichkeit oder die Teilnahme an sozialen Aktivitäten, um dadurch
das Miteinander zu fördern. Entscheidend ist auch die politische Teilhabe, um
sich für Gerechtigkeit in allen Bereichen, die die Gesellschaft betreffen,
einzusetzen. Heute ist es in besonderer Weise wichtig, dass Muslime sich sozial
und/oder politisch engagieren. Nur so können Vorurteile, Berührungs- und
Überfremdungsängste aufgedeckt, anschließend abgebaut und Gemeinsamkeiten
erkannt werden.




5) Wie können wir Muslime heute zum
Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen beitragen?

 

Indem wir Menschenrechtsverletzungen
klar definieren und uns für Projekte gegen Menschenrechtsverletzungen aktiv
einsetzen oder sie, falls sie noch nicht vorhanden sind, ins Leben rufen.
Hinter Menschenrechtsverletzungen
stehen in der Regel wirtschaftliche und politische Interessen. Als sogenannte
Wirtschaftsmacht müssen wir das Handeln unseres Landes dabei stark
hinterfragen. Menschenrechtsverletzungen erfolgen häufig durch Waffengewalt.
Deutschland ist weltweit der drittgrößte Waffenexporteur. Das heißt, dass viele
der Menschenrechtsverletzungen durch Deutschland erst möglich gemacht, und im
Umkehrschluss, dass viele der Menschenrechtsverletzungen durch Deutschland aber
auch gestoppt werden könnten. Dazu brauchen wir den politischen Willen und den
notwendigen Politikwechsel.



6) Was denken Sie über unser Symbol des
Mosaiks als Ausdruck einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft?


 

Das Mosaik ist ein schönes Symbol für
die Einheit in Vielfalt. Denn alle Mosaiksteine sind unterschiedlich und
bewahren ihre Identität, doch zusammen ergeben sie ein harmonisches Gesamtbild.




7) Wie sehr denken Sie, dass die Angst
dazu beiträgt, sich politisch für den Rassismus und die Ausländerfeindlichkeit
und die Islamhetze zu entscheiden, wie es bei Parteien wie ProNRW und ProKÖLN
der Fall ist?

                                                                 (Quelle: koeln.de)

Diese rechtspopulistischen Parteien nutzen die Angst vieler Bürger aus, um
gegen Muslime oder andere Gruppen wie osteuropäische Einwanderer etc. zu
hetzen. Wenn wir an Städte in Ost- oder Süddeutschland denken, fällt auf, dass
gerade in den Regionen, in denen der Ausländeranteil verschwindend gering ist,
die Ausländerfeindlichkeit häufig besonders ausgeprägt ist. Das verdeutlicht,
dass Ängste durch Unkenntnis entstehen. Um diese Unkenntnis abzubauen, brauchen
wir vermehrt den Dialog. Diesen müssen wir verstärkt fördern, Informationen
schaffen und den nachbarschaftlichen Umgang miteinander pflegen. Dazu gehört
auch, dass sich die Moscheen in Deutschland noch stärker öffnen und
beispielsweise Freitagspredigten auch in Deutsch halten. Rechtsextreme Parteien
werden jedoch nicht nur aus Angst gewählt, sondern häufig auch als Zeichen des
Protests gegen die Politik der etablierten Parteien. Genau diese Wählergruppen
möchten die Rechtsextremen ansprechen, wie einige ihrer Wahlkampfslogans
verdeutlichen. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien und die
steigende Politikverdrossenheit stellt eine große Gefahr für unsere Demokratie
und das demokratische Miteinander dar.

Insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes
bedienen sich leider auch die etablierten Parteien dem Schüren von Angst vor
kulturellen Minderheiten. Denken wir doch beispielsweise an den Wahlkampfslogan
der CSU „Wer betrügt, der fliegt“, mit dem sie vor einer vermeintlichen
Ausbeutung des Sozialsystems durch Osteuropäer warnen wollte. Andere Parteien
wie die SPD greifen im Wahlkampf häufig Themen auf wie die Doppelte
Staatsbürgerschaft oder den getrennten Schwimmunterricht, um Migranten oder
insbesondere Muslime als Wähler zu gewinnen. Nach der Wahl geraten diese Themen
dann leider immer in Vergessenheit. Der Wahlkampf erfolgt daher häufig auf
Kosten der Migranten, die lediglich als Mittel zum Zweck gesehen werden. Das
stellt eine Gefahr für den sozialen Frieden dar und schadet dem respektvollen
Miteinander auf Augenhöhe.




8) Welche Ziele verfolgen Sie persönlich
in Ihrer täglichen politischen Arbeit?

                                                                        (Quelle: bpb.de)

Meine Parteifreunde und ich versuchen zunächst die legitimen Bedürfnisse,
Erwartungen und Sorgen unserer Mitmenschen in unserem Umfeld wahrzunehmen sowie
zu verstehen, indem wir ihnen zuhören und mit ihnen kommunizieren. Anschließend
geht es darum gesellschaftsorientierte, gerechte und pragmatische Lösungen zu
entwickeln, auf diese aufmerksam zu machen und sie politisch umzusetzen. Dabei
betreiben wir viel Aufklärungsarbeit, erklären Ursachen und Auswirkungen und vermitteln
relevantes Wissen. In der Gemeinschaft sind wir erfolgreicher als lediglich mit
ein paar guten Einzelspielern. Abgesehen davon fühlen wir uns aus ethischer
Sicht dazu verpflichtet, keinen auf der Strecke zu lassen.


9) Was würden Sie Netanyahu heute sagen?
 

                                                            (Quelle: Sueddeutsche.de)

 

Er wird unehrenhaft in die
Menschheitsgeschichte eingehen. Er handelt weder gerecht im Sinne der
Menschenrechte noch gerecht im Sinne des israelischen Volkes, das ein Unrecht
aus eigener geschichtlicher Erfahrung nicht dulden sollte.
Netanyahu sollte wie ein Milosevic als
Kriegstreiber und Verantwortlicher für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor
den internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt werden.




10)   Wie wichtig ist
Erziehung heute für die Muslime im Westen?






Eine gute Erziehung ist für alle Menschen der Schlüssel zum Erfolg.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten gemeinsam mit ethisch-religiösen
Inhalten gelehrt werden. Denn beides bedingt und bestätigt einander.
Einseitiges Wissen verleitet die Menschen zu verkürzten Sichtweisen, was der
Gesamtrealität der Schöpfung, also dem Sinn des Seins, widerspricht.
Bildung ist für alle Menschen von
elementarer Bedeutung, ganz unabhängig ihrer religiösen Identität. In
Deutschland haben wir ein Schulsystem, in dem weit aus stärker selektiert wird
als in den europäischen Nachbarländern. Von Chancengerechtigkeit sind wir daher
in ganz besonderer Weise weit entfernt. Mit dem 12-jährigen Abitur wurde das
Schulsystem den Interessen der Industrie angepasst, anstatt einem
humanistischen Menschenbild zu folgen. Wir müssen am Bildungssystem einiges in
Frage stellen und für die Zukunft auch hier nach neuen Perspektiven suchen.