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Howard Zinn: ein wahres Genie der politischen Empathie

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesen Tagen denke ich oft an Howard Zinn, einen US-Historiker, der mich einfach überzeugt, weil er uns den Weg hin zur empathischen Politologie weist.

Die Welt, die wir von uns haben, ist nicht die Welt, die wir wollen.
Daran sollten wir uns jeden Tag erinnern, wenn wir anfangen an der Veränderung dieser Welt zu arbeiten.
Jeder sozio-politische Schritt macht nur Sinn, wenn ich weiß, dass der Weg ganz im Sinne Goethes wichtig ist wie das Ziel… oder vielleicht noch wichtiger.
Denn das Ziel ist UTOPIA… und das wissen wir alle, gerade weil wir utopisch-denkende Realisten sind.

Howard Zinn zeigt uns auch auf, dass etwas gewaltig schief läuft… und dass Menschen Terror und Gewalt gar nicht wollten, wüssten sie, wie belogen sie eigentlich werden…

Lasst die KLEINEN Leute die Politik in die Hand nehmen, um am Frieden zu bauen, wie kleine Architekten, die nie aufgeben, auch wenn sie nur ein Haus auf einmal schaffen und dauernd Häuser, die von Bomben zerstört werden, neu aufbauen müssen und wollen.

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare zur folgenden Rezension des Buches von Howard Zinn Ein besetztes Land…
Die Rezension ist aktuell wie noch nie… gerade jetzt… wo fast ein dritter Irakkrieg vor der Tür steht…

Irak will seinen Frieden.
Frieden geht nur, wenn Gerechtigkeit, Souveranität, Menschenrechte, Menschenwürde und Freiheit gewährleistet sind.
Und das geht nicht, wenn fremde Mächte einmarschieren und behaupten, sie würden Freiheit und Frieden bringen….

Anbei ein Photo von Howard Zinn (Quelle: Wikipedia)

Ihre Redaktion von ProMosaik

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Quelle der Rezension: http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/zinn_irak_frm.htm


Ein besetztes Land

“Ich wache auf und denke, die USA befinden
sich in den Klauen eines Präsidenten,
der nie gewählt wurde und der sich mit Ganoven in Anzügen umgibt, die nichts auf
Menschenleben geben – weder im Ausland noch hier. Und sie geben auch nichts auf
Freiheit – weder im Ausland noch hier; ihnen ist egal, was mit dem Planeten passiert,
mit
dem Wasser, mit der Luft bzw. welche Art Welt wr unseren Kindern und Enkeln
hinterlassen. Immer mehr Amerikaner beginnen zu begreifen – so wie die Soldaten
im Irak  – hier läuft etwas verdammt schief; das ist nicht das Land, das wir
wollen”
Von Howard Zinn

      Schnell war klar, Irak ist
kein befreites Land sondern ein besetztes. Der Ausdruck “besetztes Land” ist uns
aus dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Damals sprachen wir vom deutsch-besetzten Frankreich
bzw. vom deutsch-besetzten Europa. Nach dem Krieg sprachen wir vom sowjetisch-besetzten
Ungarn, der sowjetisch-besetzten Tschechoslowakei und vom sowjetisch-besetzten Osteuropa.
Die Nazis, respektive Sowjets, besetzten andere Länder. Wir befreiten andere Länder von
Besatzung. Nun sind wir die Besatzer. Stimmt, wir haben den Irak von Saddam Hussein
befreit – nicht aber von uns.

Kuba: 1898 befreiten wir es von Spanien – aber nicht von uns. Nach Überwindung der
spanischen Tyrannei installierten die USA – wie jetzt im Irak – eine
Militärbasis auf Kuba. US-Konzerne marschierten in Kuba ein – siehe im Irak Bechtel,
Halliburton und die Ölkonzerne. Die USA entschieden, welche Art von Verfassung Kuba haben
sollte, heute formt unsere Regierung die Verfassung für den Irak. Nein, dies ist keine
Befreiung, dies ist eine Besatzung – und eine hässliche obendrein. Am 7. August
zeigte sich General Sanchez, laut New York Times, in Bagdad besorgt über die (möglichen)
Reaktionen der Iraker auf die Besatzung. Pro-amerikanische irakische Führer hätten ihm
eine Botschaft übermittelt, die Sanchez folgendermaßen formuliert:

“Wenn man einen Vater vor seiner Familie
gefangennimmt und stülpt ihm einen Sack über den Kopf und legt ihn auf die Erde, fügt
man seiner Würde und seiner Respektabilität in den Augen seiner Familie ernsten Schaden
zu.” (äußerst scharfsinnig bemerkt).
     Aus
einem Report von CBS News vom 19. Juli: “Amnesty International untersucht eine Reihe
von Foltervorwürfen im Irak, die US-Behörden betreffend. In einem der Fälle geht es um
Khraisan al-Aballi. Al-Aballis Haus wurde von amerikanischen Soldaten zerstört.
Schießend kamen sie herein, verhafteten ihn und seinen 80-jährigen Vater. Sie schossen
auf seinen Bruder, verwundeten ihn… Die drei Männer wurden weggebracht…”
Khraisan sagt, die Leute, die ihn verhörten, zogen ihn nackt aus und hielten ihn über
eine Woche lang wach, er musste stehen oder knien, an Händen und Füßen gefesselt, mit
einem Sack über dem Kopf. Khraisan sagt, er hätte den Leuten, die ihn gefangenhielten,
erklärt: “Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich weiß nicht, was ihr wollt. Ich habe
nichts”. “Ich bat sie, mich zu töten”, so Khraisan. Nach acht Tagen
ließen sie ihn und seinen Vater frei.
US-Offizielle reagierten nicht auf die mehrfache
Bitte, den Fall zu diskutieren… “Schließlich führen wir unsere internationalen
Verpflichtungen durch, und das erfüllt mich mit Genugtuung”, so Paul Bremer,
US-Administrator des Irak. Am 16. Juni berichteten zwei Reporter für die
Knight-Rider-Kette schriftlich aus der Region Falludschah: “In dutzenden von
Interviews in den letzten fünf Tagen sagten die meisten Bewohner quer durch die Region,
es gäbe keine Bathistische oder sunnitische Konspiration gegen US- Soldaten, es gäbe
lediglich Menschen, die zu kämpfen bereit seien, weil Angehörige verletzt oder getötet
wurden oder weil man sie selbst bei Häuserrazzien oder an Straßensperren gedemütigt
hatte… Eine Frau sagte, nachdem man ihren Mann von zu Hause weggeführt hat – nur
wegen ein paar leerer Holzkisten, die sie als Brennholz gekauft hatten –, halte sie
die USA des Terrors für schuldig”. Und dieselben Reporter: “Bewohner von At
Agilia – ein Dorf nördlich von Bagdad – sagen, zwei Bauern von hier und fünf
aus einem andern Dorf wurden getötet, als US-Soldaten auf sie schossen, während sie ihre
Felder bewässerten: Sonnenblumen, Tomaten, Gurken.”
    Wie
der London Observer berichtet, plünderte die Besatzungsarmee die historische Stadt Ur
– 6000 Jahre alt. In der Nachbarschaft einer historischen Pyramide, die von Menschen
aus der ganzen Welt besucht wird, errichteten sie eine Militärbasis. Soldaten, die man in
einem Land aussetzt, von dem ihnen gesagt wird, man werde sie dort als Befreier feiern und
die sich nun von einer feindseligen Bevölkerung umzingelt sehen, sind ängstlich,
schießwütig und unglücklich. Wir lesen Berichte von GIs, die wütend sind, weil man sie
im Irak festbannt. Mitte Juli berichtete ein Reporter von ABC News im Irak, wie ihn ein
Sergeant auf die Seite nahm und erklärte: “Ich habe meine eigene
‘Most-Wanted’- Liste.” Damit spielte er auf den Spielkartensatz mit Saddam
Hussein, seinen Söhnen und anderen gesuchten Angehörigen des früheren irakischen
Regimes an, den die US-Regierung veröffentlicht hatte. “In meinem Satz sind die Asse
(so sagte er) Paul Bremer, Donald Rumsfeld, George Bush und Paul Wolfowitz.” Die
amerikanische Öffentlichkeit weiß über diese Gefühle zunehmend Bescheid. Noch im Mai
hatte eine Gallup-Umfrage ergeben, dass nur 13% der amerikanischen Öffentlichkeit der
Meinung waren, der Krieg liefe schlecht. Am 4. Juli lag die Quote bei 42%.
Aber wohl noch verhängnisvoller als die Okkupation
des Irak ist die der Vereinigten Staaten. Morgens wache ich auf, lese die Zeitung und habe
das Gefühl, in einem besetzten Land zu leben, eine Gruppe Aliens hat uns übernommen.
Mexikanische Arbeiter, die versuchen, über die Grenze zu kommen – und beim Versuch, den
Immigrationsbehörden zu entwischen, umkommen -, sind für mich durchaus keine Aliens
(ironischerweise versuchen sie, in ein Land zu gelangen, das die USA 1848 Mexiko
abgenommen haben). Oder jene 20 Millionen Menschen in unserem Land, die keinen
Bürgerstatus genießen und deshalb aufgrund des ‘Patriot Act’ folgender
Behandlung unterworfen sind: Sie werden aus ihrem Heim gezerrt und vom FBI auf unbestimmte
Zeit festgehalten ohne dass ihnen irgendwelche Verfassungsrechte zugestanden werden – auch
diese Menschen sind für mich keine Aliens. Unter Aliens verstehe ich jene kleine Gruppe
Männer, die in Washington die Macht übernahm.
     Ich
wache auf und denke, dieses Land befindet sich in den Klauen eines Präsidenten, der nie
gewählt wurde und der sich mit Ganoven in Anzügen umgibt, die nichts auf Menschenleben
geben – weder im Ausland noch hier. Und sie geben auch nichts auf Freiheit – weder im
Ausland noch hier; ihnen ist egal, was mit dem Planeten passiert, mit dem Wasser, mit der
Luft bzw. welche Art Welt wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen. Immer mehr
Amerikaner beginnen zu begreifen – so wie die Soldaten im Irak – hier läuft etwas
verdammt schief; das ist nicht das Land, das wir wollen. Mit jedem Tag werden die Lügen
ein Stück mehr entlarvt. Die größte Lüge von allen – dass alles, was die USA machen,
entschuldbar sei, weil wir uns im “Krieg gegen den Terror” befänden -,
ignoriert die Tatsache, dass Krieg allein schon Terror ist. Und es ist auch Terror, wenn
man in die Häuser von Menschen stürzt, deren Familienangehörige mitnimmt und sie
foltert. Wenn wir fremde Länder bombardieren und in sie einmarschieren, wird uns das
nicht mehr Sicherheit bringen sondern weniger.
Was diese Regierung unter einem ‘Krieg gegen
den Terrorismus’ versteht, wird klarer, wenn man sich die Aussagen von
Verteidigungsministers Rumsfeld ansieht (eines der Gesichter auf der
‘Most-Wanted’-Liste jenes Seargeanten), anlässlich seiner Rede vor
Nato-Ministern vor einem Jahr in Brüssel. Dort erläuterte er dem Westen die
Bedrohungslage (man stelle sich vor, Rumsfeld spricht vom “Westen” noch immer
als von einer heiligen Einheit; dabei umwerben die USA inzwischen die osteuropäischen
Länder – nachdem Amerika sich den meisten westlichen Ländern entfremdet hat; die
nicht-westlichen Länder will Amerika davon überzeugen, dass man es lediglich auf ihre
Befreiung abgesehen hat). Hier nun also Rumsfeld, wie er dem Westen die
“Bedrohungen” klarmacht und erläutert, weshalb diese so unsichtbar und
unidentifizierbar sind:
“Es gibt Dinge, die wissen wir. Dann gibt
es wissendes Nichtwissen, will heißen, es gibt Dinge, von denen wir im Moment wissen,
dass wir sie nicht wissen. Aber es gibt auch nichtwissendes Nichtwissen – also Dinge, von
denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen… will heißen, die Abwesenheit eines
Beweises ist nicht gleichzusetzen mit dem Beweis der Abwesenheit…. nur, weil man keinen
Beweis hat, dass etwas existiert, bedeutet das noch nicht, dass man den Beweis hat, dass
es nicht existiert.”
     Nun,
Rumsfeld macht uns hier wirklich einiges klar. Auf diese Weise erklärt sich auch, weshalb
diese Regierung, ohne genau zu wissen, wo sich die Kriminellen des 11. September
aufhalten, einfach losstürmt und Afghanistan bombardiert bzw. dort einmarschiert –
wobei tausende Menschen getötet werden bzw. hunderttausende aus ihren Häusern
vertrieben. Und anschließend weiß man immer noch nicht, wo die Kriminellen stecken. So
erklärt sich auch, weshalb die Regierung, ohne zu wissen, welche Massenvernichtungswaffen
Saddam Hussein nun genau versteckt hält, in den Irak einmarschiert bzw. ihn bombardiert
– zum Horror eines Großteils der Welt. Tausende Zivilisten und Soldaten werden
getötet und die Bevölkerung terrorisiert. So erklärt sich auch, warum unsere Regierung,
ohne zu wissen, wer Terrorist ist und wer nicht, hunderte Menschen in Guantanamo einsperrt
– unter Bedingungen, die 18 dieser Menschen bereits in den Selbstmordversuch getrieben
haben. Und so lässt sich auch erklären, dass unser Justizminister 20 Millionen
Nicht-Bürgern (der USA) ihre konstitutionellen Rechte entzieht – ohne zu wissen,
welche dieser Menschen tatsächlich Terroristen sind.
     Der
sogenannte “Krieg gegen den Terrorismus” ist nicht nur ein Krieg gegen
unschuldige Menschen in anderen Ländern, es ist auch ein Krieg gegen das Volk der
Vereinigten Staaten. Es ist ein Krieg gegen unsere Freiheitsrechte und unseren
Lebensstandard. Der Reichtum dieses Landes wird dem Volk weggestohlen und an die
Superreichen verteilt. Unseren Jungen wird das Leben gestohlen. Ich finde es interessant,
dass in Umfragen konstant 60 Prozent der Afro- Amerikaner den Irakkrieg ablehnen. Ich gab
einem afro-amerikanischen Radiosender in Washington DC ein Telefoninterview zum (zu
erwartenden) Krieg.
Das Programm hieß “GW on the Hill”.
Nachdem ich mich mit dem Host unterhalten hatte, kamen 8 Anrufe. Kurz zuvor hatte Colin
Powell seine UN-Rede über Massenvernichtungswaffen gehalten. Was die Anrufer zu sagen
hatten, habe ich mir notiert:
John: “Was Powell gesagt hat, war
‘politischer Müll’”
Ein Anrufer: “Powell hat doch nur das Spiel
gespielt. Sowas passiert, wenn die Leute einen hohen Posten bekommen”.
Robert: “Wenn wir einen Krieg anfangen, werden
unschuldige Leute sterben, ohne dass es einen guten Grund gibt”.
Kareen: “Was Powell gesagt hat, war Quatsch…
Ein Krieg wäre nicht gut für dieses Land”.
Susan: “Was ist so gut daran, ein mächtiges
Land zu sein?”
Terry: “Es geht doch nur ums Öl”.
Und noch ein Anrufer: “Die USA wollen ein
Imperium, und sie werden stürzen wie damals die Römer. Erinnert euch, wie Ali damals
gegen Foreman kämpfte. Er schien zu schlafen, aber als er erwachte, war er wild. So
werden (auch) die Menschen erwachen”.
     Immer
mehr wird zur Gewissheit: Dieser Krieg fordert seine Opfer nicht nur im Ausland sondern
auch hier. Häufig hört man, sie würden mit diesem Krieg durchkommen, weil, anders als
damals in Vietnam, die Opferzahl gering ist. Stimmt, nur ein paar hundert starben auf dem
Schlachtfeld – anders als in Vietnam. Aber es geht nicht nur um die Toten der
Schlacht. Wenn ein Krieg zu Ende geht, steigt die Opferzahl weiter – durch Krankheit,
Traumata. Nach dem Vietnamkrieg beispielsweise berichteten die Veteranen von
Geburtsfehlern in ihren Familien; schuld war Agent Orange, das in Vietnam versprüht
wurde. Im ersten Golfkrieg starben auf dem Schlachtfeld nur ein paar hundert (Amerikaner).
Aber neulich berichtete die ‘Veterans Administration’, dass in den ersten 10
Jahren nach dem Krieg 8000 Veteranen starben. 200 000 der insgesamt 600 000
Golfkriegsveteranen reichten Klage ein – sie leiden an Beschwerden und Krankheiten,
die auf den Einsatz von Waffen zurückgehen, die unsere Regierung im Krieg einsetzte. Und
was den neuen Krieg betrifft, bleibt abzuwarten, welche Folgen das abgereicherte Uran und
andere tödlichen Waffen für unsere jungen Frauen und Männer, die man dorthin geschickt
hat, haben werden.

Was ist unser Job? Unser Job ist es, auf das alles hinzuweisen.

    Wir
glauben daran, dass Menschen Gewalt und Terror nur dann unterstützen, wenn sie belogen
werden. Finden sie – wie während des Vietnamkriegs – die Wahrheit heraus,
werden sie sich gegen die eigene Regierung wenden. Wir haben die ganze restliche Welt
unterstützend an unserer Seite. Die USA können nicht ewig so weitermachen und jene 10
Millionen ignorieren, die am 15. Februar überall auf der Welt protestierten.
Regierungsmacht ist eine fragile Angelegenheit – egal, welche Waffen und Finanzmittel
zur Verfügung stehen. Wenn eine Regierung ihre Legitimität in den Augen ihres Volkes
verloren hat, sind ihre Tage gezählt. Wir müssen zu jeder Aktion greifen, die uns
geeignet scheint. Keine Aktion ist zu kleindimensioniert oder zu kühn. Denn die
Geschichte des sozialen Wandels war immer eine Geschichte der Millionen Aktionen –
großer und kleiner. An einem bestimmten geschichtlichen Punkt fallen sie in eins und
erzeugen eine Macht, die Regierungen nicht mehr zu unterdrücken vermögen.